Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 2004

Das Wehklagen der Nachdichter

Ein Gedicht von Endre Ady in verschiedenen Übersetzungen

„Das ungarische Jahr 1848 heißt Petöfi. Das ungarische Jahr 1918 heißt: Andreas von Ady. (…) Ady ist ein barscher, schroffer, kantiger Dichter. Er gebraucht nie gehörte Worte, unerhörte Reime, ungeheuerliche Bindungen, neugewagte Metren und Formen. Er müßte in der wuchtigen, wilden Sprache des jungen Goethe, doch mit dem feinsten Stilempfinden der deutschen Moderne übersetzt werden. Die getreuen, den Gefühls und Gedankeninhalt des Originals genau widerspiegelnden Übersetzungen erscheinen in bekannten Formen und in glatten, bereits gegebenen Reimen. Die Übersetzung scheint und glänzt, wo das Original glüht und flammt.”

Lajos Hatvany

Die von Lajos Hatvany geschilderten Probleme der Ady-Übersetzung bzw. Nachdichtung treten uns in den folgenden drei Beipielen in voller Härte entgegen. Die erste, von Heinrich Horváth, ist noch ganz im Duktus der deutschen Romantik geschrieben. Sie bemüht sich gar nicht erst Adys Spezifik zu übernehmen, sondern findet ihre eigene Melodie, um in einer neuen Geschlossenheit der anderen Geschlossenheit des Originals eine Entsprechung zu geben. Hier klingt uns fast ein Schubert-Lied entgegen, Text: ein später Wilhelm Müller.

Die zweite Übersetzung dagegen scheut die Ecken und Kanten nicht. Sie hangelt sich mehr am Original entlang, um das Neugewagte auch als solches erkennbar zu lassen. Von Schönheit im Sinne eines lyrischen Gusses aus dem ein einheitlicher Glanz erstrahlt, spürt man in der Arbeit des damals jungen Dichters Henrich Gerhold allerdings wenig. Ja manche Wortverbindungen, auch der Rhythmus, wirken hier nicht nur ungewohnt, sondern fast, und natürlich unfreiwillig, komisch.

Die dritte Übersetzung hingegen scheint mir fast so glatt als wäre das Gedicht nicht von Ady sondern einem Poesiealbum entlehnt, wenn auch einem originellen. Wenn wir aber resümieren, daß die entfernteste der Nachdichtungen, zugleich die gelungenste, weil in ihrer eigenen Sprache schönste ist, dann stehen wir ratlos vor dem allgemeinen Phänomen der dichterischen Übertragung und hier speziell vor dem Fall, der ein Charakterzug ist: daß Ady ganz, nur dem Ungarischen angehören wird. ph.

Aus: Pester Lloyd, 25. Dezember 1913, in „Moderne ungarische Lyrik”,
Nachdichtung von Heinrich Horvát

Wehklagen unter dem Lebensbaum

Ich stehe unten und starre mich blind
In dein Laub, wo die roten Wunder sind,
Leben, verruchtes Leben!

So hat sich keiner dir verschrieben,
So kann dich keiner, keiner lieben –
Und immer nur warten und warten…

Nur einen Blick von Deinem Thron,
Nur einmal nenne mich deinen Sohn –
Erbarmen, Erbarmen, Erbarmen!

Es ruft dich mein Blut, es lockt dich mein Blut,
Ich brenne in Haß und in Liebeswut –
Und immer nur schauen und schauen.

Und aus der Tiefe nur zu dir beten…
Ich weiß: ich bleibe hier zertreten,
Zertreten sterb’ ich im Staube.


Aus: Auf neuen Gewässern, E. P. Tal & Co. Verlag. Leipzig – Wien – Zürich, 1921
Rohübersetzung: Zoltán Franyó und Lajos Hatvany, Nachdichtung: Henrich Gerhold

Weinen unter dem Baum des Lebens

Ins Urgeäst muß ich dir sehen,
Wo roter Wunder Dolden stehen,
Weh mir!
Im Elend, im Elend, im Elend,

Keinen hat Sehnsucht so getrieben,
So kann dich keiner, keiner lieben.
Weh mir!
Vegeblich, vergeblich, vergeblich.

Nur sollst du mir ein Wunder schenken,
Und einmal deines Sohns gedenken:
Weh mir!
Ich warte, ich warte, ich warte.

Dich ruft mein Blut, ich will Dich fassen,
Dich liebt mein Blut und muß Dich hassen.
Weh mir!
Dich schauen, nur schauen, nur schauen.

Hier muß ich bleiben tief im Staube,
Zertreten unter Deinem Laube.
Weh mir!
Und sterben, und sterben, und sterben.


Aus: „Auf dem Flammenwagen der Lieder“, Verlag von Gustav Pollak, Andrássy út 10, Budapest, 1926, ins Deutsche übertragen von Albert Hetényi Heidelberger

Weinen unter dem Baum des Lebens

Von unten seh ich wie dein Gezweige
Von Schätzen beladen zur Erde sich neige.
Weh mir!
Oh Elender du! Oh Elender!

Noch nie so sehnte nach dir sich Einer,
So innig geleibt hat dich noch Keiner.
Weh mir!
Vergebens, vergebens, vergebens.

Mit deinen Wundern nur einmal erfreu mich,
Wie deinen Sohn nur einmal betreu mich.
Weh mir!
Wie wart ich drauf, wie wart ich.

Ich locke und rufe mit meinem Blut dich,
Ich bete dich an, ich hasse voll Wut dich.
Weh mir!
Von fern ich dich seh nur, von fern.

Und hier muss im Staub ich mein Ende finden,
Ich weiss es, zertreten mich winden.
Weh mir!
Zu Tode verwundet, zu Tode.