Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 2004

Gotthard B. Schicker

Dezsö Keresztúry (1904-1996)

Dem Wissenschaftler, Lehrer, Schriftsteller, Dichter, Kulturminister und Kultur-Chef des Pester Lloyd zum 100. Geburtstag

Sein Name ist sowohl mit der älteren wie auch der neueren Geschichte dieser Zeitung eng verbunden. Schließlich übernahm der langjährige freie Autor und spätere Feuilleton-Redakteur im Jahre 1938 das Kultur-Ressorts des PESTER LLOYD. In einer Zeit also, in der bereits die Gesetze gegen die Juden ihre Wirkungen in Ungarn zeigten und auch tiefe geistige und personelle Einschnitte in Redaktion und Verlag verursachten. Als nahezu einziger „Arier“ versuchte er das liberale Konzept der Zeitung unter diesen veränderten politischen Verhältnissen zu wahren und sich schützend vor seine Redaktionsmitglieder zu stellen. Inwieweit es Kersztúry dabei gelungen ist, den einen oder anderen jüdischen Mitarbeiter vor dem Abtransport in die Todeslager zu bewahren, ist nicht belegt.

Ein wirkliches Rätsel bleibt auch, wie dieser Mann es fertig bringen konnte, bis zum bitteren Ende der Zeitung im Jahre 1945 in der dann faschistisch angepassten Redaktion unter dem vom Reichspropagandministerium abgestellten NSDAP-Mitglied und Offizier Dr. Günther Oelze von Lobethal, journalistisch zu überleben und mit dieser Vergangenheit der erste Nachkriegs-Kulturminister Ungarns zu werden. Diese bisher unbeantwortete Frage lässt Raum für Spekulationen: Entweder war er ein Anpassler, der es geschickt verstand in dem „unpolitischen“ Ressort Kultur immer die noch mögliche Kurve zu bekommen und wenig Auffälligkeiten zu zeigen, bzw. mit in das aus Berlin fern- und direkt gesteuerte Propagandahorn zu blasen.

Blättert man die Ausgaben der letzten Jahre darauf hin durch, so kann man in den – nahezu nie mit seinem Namen gezeichneten - Beiträgen eher die erstere Formen ablesen. Beiträge u.a. über das „Romantische Ungarn“ (1938), „Goethe und Ungarn“ (1940) oder „Der größte ungarische Dramatiker, József Katona“ (1941) sind dort von ihm zu finden. Immer wieder ist es ihm in dieser Zeit auch gelungen, ungarischen Schriftstellern, die in Deutschland nicht mehr veröffentlicht werden durften, wie etwa Tíbor Déry, Spalten in der Zeitung zur Verfügung zu stellen oder eigene Essays u.a. über Mihály Babits, Zsigmond Móricz oder Zoltán Ambrus (alle 1942) zu platzieren. Anderseits wäre es auch möglich - und auch dafür gibt es ein anderes Beispiel aus der Redaktionsgeschichte des PESTER LLOYD - dass Keresztury im Auftrag einer fremden (Schutz)Macht seine Tätigkeit bei der Zeitung absolvierte.

Da die Jahre zwischen 1945 und 1947 von Zeitzeugen als die demokratischsten vor der kommunistischen Machtergreifung geschildert werden, in denen durchaus sowohl ein ideologischer Anpassler an das faschistische ungarische Regime, wie auch ein Informeller Mitarbeiter eines machtsichernden Geheimdienstes zunächst einmal fast alles in Ungarn werden konnte, - möglicherweise auch Kulturminister. Ob er dieses Geheimnis jemals gelüftet hat, oder ob es dazu vielleicht sogar glaubwürdige Aufzeichnungen und Klarstellungen gibt, wissen wir nicht. Im Gespräch, das wir im Jahre 1994 mit ihm – zwei Jahre vor seinem Tod – noch führen konnten, kam die Rede leider nicht auf dieses Thema. Vielmehr sprachen wir mit ihm in einer heiter entspannten Weise über die alten Redaktionszeiten, über die Atmosphäre unter den Journalisten, über die oftmals kuriose Verwendung der deutschen Sprache in der Zeitung, und wir ließen uns Ratschläge für die bevorstehende Wiederbelebung dieses traditionsreichen Blattes geben.

Viel zu wenig fragten wir ihn damals über sein Leben aus. Eine intensivere Beschäftigung mit seiner deutsch-ungarischen Biographie erfolgte erst mit seinem Ableben. Ein Lebensbild über diese bedeutende ungarische Persönlichkeit, mit einer überaus starken Affinität zur deutschen Kultur, ist bisher in jener Sprache, die er so vollkommen beherrschte und nachweisbar liebte, noch nicht gezeichnet worden.

Die später im In- und Ausland hochgeschätzte Integrationspersönlichkeit für die deutsch-ungarischen Beziehungen, Prof. Dr. Dezsö Kerestúry, ist am 6. September 1904 in der westungarischen Kleinstadt Zalaegerszég in eine gutsituierte Bürgerfamilie hineingeboren worden. Trotz des frühen Todes seines Vaters garantierte ihm sein familiäres Umfeld eine bürgerlich-katholische Erziehung und eine intellektuelle Entwicklung. So sind es insbesondere das Budapester Elite-Gymnasium Rákócziánum und das Eötvös-Collegium, die seinen wissenschaftlichen Lebensweg bestimmen, die liberale Grundhaltung ausprägen und weitgefächerte Kulturinteressen befördern. Auch die Beschäftigung mit der deutschen Sprache und Kultur fällt in diese Zeit am Budapester Collegium, was ihm bei seinem Aufenthalt im Jahre 1927 im Collegium Hungaricum in Wien zugute kam. Er schließt die Studien in deutscher und ungarischer Sprache und Literatur ab und folgt 1929 als junger Philologe dem Ruf aus Berlin, um dort an der Königlichen Universität (spätere Humboldt-Universität) die Nachfolge des Direktors des Finno-ugrischen Institutes (Ungarisches Institut) anzutreten und über sieben Jahre hier als Dozent, Lektor und Sprachlehrer zu wirken. In diese Zeit fällt auch der Auftrag der Berlitz-School an ihn, ein Ungarisch-Lehrbuch zu verfassen, nachdem nun bereits mehrere Generationen die Muttersprache Kereszturys erlernt haben.

Drei Jahre nach der Machtergreifung Hitlers hielt es der Kulturmensch in der sich „abzeichnenden deutschen Barbarei“ nicht mehr aus und ging zurück nach Budapest, um nunmehr am hiesigen Eötvös-Collegium selbst zu unterrichten. Parallel dazu wird er verstärkt schriftstellerisch tätig, er verfasst Aufsätze für Literaturzeitschriften und Beiträge für Zeitungen. In diese Zeit fallen auch seine ersten Kontakte mit dem PESTER LLOYD, dem er bekanntlich von 1938 bis vermutlich April 1945 als Kultur-Redakteur angehört und ab 1941 das Kultur-Ressorts der Zeitung leitet.

Nach dem zweiten Weltkrieg finden wir ihn zunächst kurzzeitig auf dem Posten des Direktors des Eötvös-Collegiums und dann als Kulturminister wieder. Für den späteren Dissidenten-Kardinal József Mindszenthy war die Wahl des liberalen und welterfahrenen Katholiken Keresztúry – die er unterstützte - eine gewisse Garantie dafür, dass der Einfluss der katholischen Kirche im ungarischen Bildungssystem nicht verloren ging. Der sich bereits in den Nachkriegsjahren abzeichnende Druck auf die bürgerlichen Intellektuellen, der später in deren Verfolgung mündete, war ein Grund mit, warum die Amtszeit dieses Ministers nur ein reichliches Jahr währte. Wieder ging er an sein Collegium zurück, um nach dessen - für den ungarischen Wissenschaftlernachwuchs – verhängnisvollen Schließung im Jahre 1951 in den „persönlichen Untergrund“ abzutauchen.

Die Abteilungsleiterposition in der Széchenyi-Bibliothek konnte ihn intellektuell nicht ausfüllen, und so sind auch aus dieser Zeit wenig Texte von ihm bekannt. Erst mit dem einsetzenden politischen Tauwetter nach 1972 (Helsinki-Konferenz) finden sich wichtige und umfängliche Schriften in zahlreichen Publikationen. Nahezu bis zu seinem Lebensende schreibt er auch über das Verhältnis der Deutschen zu den Ungarn und umgekehrt. In einem eleganten Stil und unter Verwendung plastischer Bilder räumt er mit Klischee-Vorstellungen auf beiden Seiten auf und versucht so, um Verständnis für die Eigenarten der jeweils anderen Nation zu werben.

In seinen späteren Lebensjahren tritt er uns auch als Lyriker entgegen. Leider sind nur wenige seiner Gedichte bisher in deutscher Sprache veröffentlicht. Bei unserer Begegnung mit diesem „Träumer der wahrhaften Träume“ im Jahre 1994 war er zwar schon körperlich gebrechlich, aber geistig enorm rege. Seine Erfahrungen eines langen journalistischen Lebens beim PESTER LLOYD und seine Empfehlungen für dessen Wiederbelebung vor 10 Jahren haben wir dankbar angenommen, damit das traditionsreiche Blatt bereichert und somit in seinem Sinne weiter ausgestaltet.