Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 2006

Marco Schicker

Kollege Bambi - Das "fabelhafte" Leben des Felix Salten

Es gehört zum Selbstlauf der Dinge, daß nach, oft schon vor Ablauf eines Lebens selbiges nach schlagwortartig Erinnerbarem durchsiebt wird. Salten, das ist doch der mit dem urniedlichen Reh und dem Schweinkram... Und da muß man schon froh sein, daß die Leute nicht glauben, Bambi wäre von Walt Disney erfunden worden. Die zwei Erfolgsstücke, Bambi und Mutzenbacher, sollten also das Schicksals jenes Mannes werden, der eigentlich als großer Schriftsteller und Universaltalent im Gedächtnis bleiben sollte und dessen Werke, vor allem die Bücher, nach wie vor lesenswert sind.

1869 wurde er als Siegmund Salzmann in Pest in eine jüdische Ingenieursfamilie mit einer langen Ahnenreihe von Rabbinern geboren, wuchs in Wien auf und arbeitete zuerst bei der Phönix-Versicherung im Innendienst. Bald verfasste er nebenher Kurzgeschichten unter dem Pseudonym Felix Salten und widmete sich ansonsten dem Literaten- und Lebenskünstlerkreis "Junges Wien" um Hugo v. Hoffmansthal, Gustav Klimt (den er in seinen Artikeln später förderte) und Arthur Schnitzler, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft und zahlreiche gemeinsame Geliebte verbinden sollten. 1896 wechselte er auch hauptberuflich ins Zeitungsgewerbe und übernahm die Stelle des Feuilletonchefs der "Allgemeinen Wiener Zeitung" (Vorgänger war übrigens Theodor Herzl).

Tänzer und Feuerspucker: "Kulturkritiker" zu sein, war für einen denkenden Menschen im von der Germanistik so verschraubt bezeichneten "Fin de siécle", insofern er nicht vom System aufgekauft war, eigentlich eine unausweichliche Maßnahme der Selbsthygiene, intellektuelle Überlebenstaktik und nicht unbedingt gleich ein Verdienst. Andererseits, und dies ist typisch für die Wiener Ambivalenz der damaligen Zeit, gestaltete das Universaltalent Salten den Kulturbetrieb selbst entscheidend mit, den er dann so genial kommentierte und zuweilen hart verriss. Ein Tanz auf dem Vulkan braucht auch Tänzer, nicht nur Feuerspucker. Salten war beides.

Ein echter Ritterschlag hingegen war die innige Feindschaft, die ihn mit Karl Kraus verband. Die beiden scharmützelten sich nicht nur regelmäßig in ihren Blättern sondern tauschten auch mehrmals Ohrfeigen im Café Griensteidl aus. Kraus, selbsternannte oberste Instanz der reinen Sprache und Fackelträger des liberalen Ethos, ließ die Ehre, jemanden durch feinste Sprachschärfe zu kleinen bunten Putzlappen zu verarbeiten, nicht jedem angedeihen.

Salten werkelte neben seinem Feuilletonistendasein auch als Drehbuchautor für Stumm- und den frühen Tonfilm, war mäßig erfolgreicher Kabarett-Unternehmer und sogar Operetten-Librettist (unter dem Pseudonym Ferdinand Stollberg schrieb er für Johann Strauß Sohn und Oscar Strauß), Reiseschriftsteller, arbeitete dann in Berlin, wo er kurze Zeit Chefredakteur der B.Z. am Mittag und der Berliner Morgenpost wurde. 1906 erschien im "Privatdruck" die "Josefine Mutzenbacher", als Erinnerungen einer Wienerischen Dirne "von ihr selbst erzählt". Während die Bibliothekare noch stritten, ob das Buch Schnitzler oder Salten anzulasten sei, verbot es die Obrigkeit, was dem Werk zum allgemeinen Durchbruch verhalf. Die satirische Erzählung "Herr Wenzel auf Rehberg und sein Knecht Kaspar Dinckel" erschien 1907. 1911 folgten gesammelte Kommentare als "Wurstlprater", in dem nicht nur teils geniale Skizzen der damaligen Gesellschaft sondern in gewissem Sinne eine Abrechnung mit dem ganzen k+k-Siff erfolgte. Daß ausgerechnet ein Text mit dem Titel "Wurstlprater" der Forschung als ein "Schlüsseltext" der Wiener Moderne gilt, sagt viel über Wien, über die Moderne, über die Forschung.

Ein Reh und 15 Hasen: Salten schrieb im allgemeinen Katzenjammer nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend häufiger politische Essays, nun als Redakteur der "Neuen Freien Presse", damals die führende und damals noch unabhängige Tageszeitung Österreichs, ohne sich dabei aber vollends mit den Regierenden zu überwerfen. Die Theaterkritik, die oft auch Gesellschaftskritik war, wurde sein Hauptbetätigungsfeld. In den Bänden "Das Burgtheater" und noch eindrucksvoller in "Schauen und Spielen" sind die schönsten seiner Feuilletons und Rezensionen gesammelt erschienen.

Seit etwa 1910 erschienen auch erste Beiträge von Felix Salten im Pester Lloyd, bis zu seinem Gang ins Exil sollten über Hundert weitere folgen. Durch die freundschaftliche Bekanntschaft mit dem Feuilletonchef Julian Weisz übersandte Salten längst nicht nur Zweitverwertungen, sondern verfasste bald auch exklusive Beiträge für die Zeitung seines Herkunftslandes. Diese bedankte sich durch regelmäßige Rezensionen seiner Neuerscheinungen. 1923 besprach man ein eigentümlich fabelhaftes Büchlein, namens "Bambi". Herzig, aber etwas infantil, durchaus schön geschrieben, war das Urteil des Redakteurs Julian Weisz. Ende der 30er Jahre verkaufte Salten die Rechte nach Amerika an Walt Disney. Man würde heute sagen, für die lächerliche Summe von 5.000 USD. Damals ein Vermögen. Das nicht lange hielt. Bambi ist heute eine Weltmarke geworden. Salten brachte es ein, daß die Verleger (er arbeitete exklusiv für Zsolnay) nun mehr und mehr nach immer weiteren Tiergeschichten und möglichst nur noch Tiergeschichten verlangten. "Fünfzehn Hasen" (1929) ist als Kleinod noch das lohnenswerteste dieses Teils der Produktion.

1933: Deutschland verbrannte Bücher - Salten sich die Finger: 1933 erschien "Florian, das Pferd des Kaisers", ein Gleichnis auf die Hinterlassenschaft der Gottesgnadentümler und wieder eine kritische Rückschau.1925 übernahm Salten die Leitung des Wiener P.E.N.-Zentrums. Ein Schritt, der ihn bald in große Probleme bringen sollte. Im Mai 1933, kurz nach den Bücherverbrennungen im nun faschistischen Deutschland, fand in Ragusa, bei Dubrovnik, der internationale P.E.N.-Kongress statt, auf dem sich Salten die Finger verbrennen würde. Salten, an seiner Seite die sehr wandelbare, ja anpasslerische Grete von Urbanitzky, pochte nicht nur auf den Grundsatz der "Nichteinmischung" in politische Fragen des Schriftstellerverbandes, sondern verstieg sich auch noch zu der Äußerung, daß man Deutschland, mit dem "Österreich eine tausendjährige gemeinsame Geschichte" verband, nicht angreifen solle. Es ging schlicht darum, ob man auf dem Kongress eine Debatte und Verurteilung der Verfolgung von Schriftstellern überhaupt zuließ.

Kurz, die ganze Sache endete in einem Eklat. Als Ernst Toller, Vertreter der deutschen Exilschriftsteller, das Wort ergreifen wollte, verließ nicht nur die schon weitgehend gleichgeschaltete deutsche Delegation (die später aus dem Club ausgeschlossen wurde) den Saal, sondern auch der "nationale" Teil der Schweizer und Österreicher - und: Salten. Er rechtfertigte sich später damit, nur die Statuten der Organisation eingehalten zu haben. Ein naives Kalkül - in Deutschland dem Bann zu entgehen - mag eine Rolle gespielt haben, wäre aber Unterstellung. Ein unter den Intellektuellen der damaligen Zeit häufig anzutreffendes tragisches Beispiel fahrlässiger politischer Naivität ist es allemal. Salten erzählte später seinen Kollegen beim Pester Lloyd, daß er beim Verlassen des Saales gerufen habe: "... obgleich ich Jude bin und man sich wohl denken kann, wie ich zu dem heutigen Deutschland stehe, bin ich dafür, daß die deutsche Delegation beim Kongress verbleibt..." Mehr als unglücklich war dann Saltens Beitrag im PL, in dem er sich wand: "... Uns leitete die Erwägung: wenn es dazu kommt, daß der deutsche Zustand jetzt vor aller Welt am Pranger steht, dann soll sich das deutsche Österreich der aktiven Teilnahme am Schimpf enthalten..." Salten empfing bei seiner Rückkehr dafür den Schimpf von Werfel, Polgar und Zweig. Er trat von seinem Posten als P.E.N.-Präsident zurück.

Bald auch veränderte sich das Klima in Österreich. Erst Sozialistenjagd, die meisten Juden schwiegen dazu, dann, schon ab 1934, und nicht erst - wie immer wieder gepflegt - nach dem Anschluss, nahm im "Ständestaat" auch die öffentliche, ja sogar offizielle Judenhetze zu. Salten bekam Probleme mit dem Verlegen seiner Bücher. Seine Beiträge im Pester Lloyd wurden wieder politischer, wenn auch verblümt („Dank aus Amerika”, 18. März 1936, „Monarchen, Bahnhöfe, Zwischenfälle”, 29. März 1936). 1938 ging er ins Exil in die Schweiz. Nacheinander verliert er seinen Sohn (bei einem Unfall) und seine Frau. 1945, einige unbedeutendere Bücher von ihm sind noch erschienen, stirbt Salten einsam und verbittert in der Fremde. Vor seiner Emigration, aber nur Tage nach dem "Anschluss" 1938 , verabschiedete sich Felix Salten von den Lesern dieser Zeitung mit diesem Text von seiner Heimat und seinem Leben.