Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 2009

Wo man den Hund mit SIE ansprach...

Erinnerungen an den PESTER LLOYD

Von Thomas Edmund Konrad, London

Vor 15 Jahren, kurz nachdem der PESTER LLOYD wieder ins Leben kam, habe ich bereits einmal über meine Kindheit bei der Zeitung geschrieben. Meine Mutter war dort im Jahre 1938 als Stenotypistin angestellt, ein Beruf, den es heute gewiss nicht mehr gibt. Sie ist aber dann in den folgenden sechs Jahren zur Lektorin anvanciert, zumal ihre Sprachkenntnisse dabei wichtig waren.

Ich habe viele Stunden meiner so genannten Freizeit in den Räumen der Redaktion verbracht und auf diese Art die meisten Mitarbeiter kennen gelernt. Darüber hatte ich damals bereits geschrieben. Heute, mit meinen 80 Jahren, bin ich vermutlich der letzte überlebende „Mitarbeiter“ des alten PESTER LLOYD. Über meine Laufbahn beim PESTER LLOYD hat die Zeitung dann auch im Mai 1995 berichtet. Meinen Posten als Sportberichterstatter hatte ich verloren, als ich vergaß, über ein Handballspiel zwischen Deutschland und Ungarn zu berichten.

Damals erhielt der Sportredakteur eine Verwarnung und ich die Kündigung. In meinen damaligen Erinnerungen hatte ich nicht deutlich genug über die Rolle einiger Mitarbeiter geschrieben. So möchte ich z.B. jetzt die Tatsache erwähnen, dass Dr. György Kecskeméti, der stellvertretende Chefredakteur, schon unter dem früheren Chef, Joszéf Vészi, die meisten Leitartikel schrieb und das blieb auch so, als Ottlik das Blatt übernahm.

Kecskeméti war, wie Vészi und viele andere, Jude und konnte offiziell nicht Chefredakteur werden. Dass so viele Juden beim Blatt beschäftigt waren, ist hauptsächlich auf deren deutsche Sprachkenntnisse zurückzuführen.

Die Leitartikel haben den Charakter der Zeitung bestimmt. Sie waren oft von der Regierung bestellt, schließlich war der PESTER LLOYD in dieser Zeit ein halb-offizielles Organ. Für die Zusammenstellung, den Inhalt des jeweiligen Tageblattes (Morgen- und Abendausgabe) war der von mir bereits damals erwähnte Bródy bácsi (Onkel Bródy) verantwortlich.

Die meisten Mitarbeiter haben nur für eine der beiden Ausgaben gearbeitet. Meine Mutter war dabei eine Ausnahme. Ihre Arbeitszeit begann um 9 Uhr morgens und endete zwischen 23 und 2 Uhr in der Nacht, je nach Blattschluss der Morgenausgabe.

Ein wichtiger Mitarbeiter jener Tage war Dr. Dezsô Kiss, der den Bereich Außenpolitik leitete. Ich kann mich noch gut an ihn erinnern. Er hat Mutti oft Privatarbeit zugeschanzt. Noch besser erinnere ich mich an seinen Hund, einen weißen schottischen Terrier, mit dem man vorsichtig umgehen musste.

Unsere gute Freundin, die Münchnerin Gisa Weiser, habe ich auch damals erwähnt. Nachtragen muss ich aber noch, dass ihr Vater Maler und Bildhauer war und die meisten seiner Werke in Kirchen hingen. Mit Hitlers Machtantritt wollte er nicht mehr in Deutschland bleiben. Eine andere gute Freundin war die Telefonistin Kató Kiss, in deren winziger Stube ich viele Stunden verbrachte, wenn Mutti sehr beschäftigt war. Sie wanderte nach Israel aus und starb dort.

Beim alten LLOYD gab es einige Bürodiener, die man auf Ungarisch als „altiszt“, also Unteroffizier, bezeichnete. Die Witzbolde bei der Zeitung nannten sie allerdings nur Altisten. Einer von ihnen wurde von der Bürozeit verständigt, dass seine Frau soeben Zwillinge auf die Welt gebracht hat. Und wie soll deren Namen sein? „Morgenblatt és Abendblatt“ meinet der schlagfertige „altiszt“.

György (Georg) von Ottlik, den Chefredakteur, habe ich nur einige Male getroffen. Wenn er diktieren wollte, musste Mutti in sein vornehmes Büro kommen. Er war der einzige mir bekannte Mann, der seinen Hund per SIE ansprach, was angeblich ein Beweis für dessen aristokratische Herkunft sei. Ottlik war aber sehr menschlich und allgemein beliebt...

Thomas Edmund Konrad ist Musikwissenschaftler und Buchautor in London. Er verfasste u.a. eine maßgebliche Biografie zu Ludwig Ritter von Köchel. Er ist vermutlich der letzte Überlebende des alten Pester Lloyd.