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(c) Pester Lloyd / GESELLSCHAFT       13. März 2020



Politisierte Seuche: Coronavirus in Ungarn

- UPDATE 14.3.: Schulen jetzt doch zu - A-Teams - Orbán macht den Trump
- Regierung ruft Notstand aus, lauwarmes Maßnahmenpaket
- Orbán schiebt Epidemie auf "illegale Einwanderung"
- Chaos und Verunsicherung in Krankenhäusern und Schulen
- Theater nein, Thermal-Bad ja: Budapest legt öffentliches Leben - ein bisschen - lahm, Nahverkehr kostenlos
- Milliarden-Hilfen und "brutale Änderungen" in Ungarns Wirtschaft angekündigt


Update, Samstag, 14. März, 12 Uhr:

Auch Ungarn schließt die Schulen - "A-Teams" sollen Land retten - Orbán oberster Virologe

Nachdem das erste, ohnehin späte Maßnahmenpaket allgemein als unzureichend qualifiziert wurde, legte Premier Orbán am Freitag ein Facebook-Video nach. Danach sind ab Montag alle Schulen und Kindergärten sowie Unis und sonstige Bildungseinrichtungen geschlossen. Die Direktoren haben aber zu erscheinen. Der Unterricht soll von zu Hause aus online weitergeführt werden, was vor allem in den armen, ländlichen Regionen am Mangel von Computern, Internetzugängen scheitern muss. Die Abiturprüfungen sollen wie geplant durchgeführt werden.

Zehn "Aktionsgruppen" für Versorgung, Kommunikation, Grenzschutz, Wirtschaft usw. sollen das Land während der Krisenphase am Laufen halten.

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Dr. med. V. Orbán: Niemand hat die Absicht eine Schule zu schließen... Ein paar
Stunden später dann hatte der oberste Virenspezialist des Landes neue Erkenntnisse gewonnen. Foto: MTVA

Noch am Mittwoch wurden Schul- und Kindergartenschließungen per Dekret verboten. Orbán verlautbarte noch am Freitagmorgen im Koosuth-Rádió, dass "Kinder vom Coronavirus nicht betroffen" seien, soweit man weiß. Schulschließungen seien daher nicht nötig. Sollte es neue Erkenntnisse geben, werde man die Maßnahmen anpassen. Dabei war längst bekannt, dass Kinder natürlich auch angesteckt werden können und erkranken, wenn auch meist nicht mit so schweren Verläufen. Außerdem wirken sie genauso wie alle anderen als Überträger und sogar Super-Spreader. Ähnlich wie Trump, maßte sich auch Orbán also an, seine persönliche Einschätzung als Maßgabe für das Handeln zu benutzen. Typisch für autoritäre Gestalten.

Auch den Vorwurf, das von ihm verstaatlichte öffentliche Gesundheitswesen sei nicht gerüstet, widersprache Orbán am Freitag. Die Laboratorien könnten "tausende Tests durchführen", man habe 22 Millionen Schutzhandschuhe, 1,2 "chirurgische Gesichtsmasken", eine weitere Million sei unterwegs. 2.000 Beatmungs- und 2.000 Narkoseeinheiten seien verfügbar. Zeugenaussagen von Personal aus Krankenhäusern zeichnen ein völlig anderes Bild.

Ungarn werde zudem aktiv an einem Impfstoff arbeiten, so Orbán, auch dafür gibt es ein eigenes A-Team.

Derweil wurde das Einreiseverbot auch auf Israelis ausgeweitet, nach Iran, China, Südkorea und Italien.


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Fiebermessen bei der Einreise nach Ungarn, hier aus Slowenien. Foto: MTI


Erstartikel, 12. März:

Auf dem Seuchenticker der ungarischen Regierung
koronavirus.gov.hu (dort finden Sie auch die amtlichen Infos und Telefonnummern) standen am Freitag, 13. März, 10.05 Uhr 19 bestätigte Infizierte mit dem Coronavirus zu Buche, einer davon auf der Intensivstation. Offiziell starb bis dato niemand in Ungarn an Covid-19. 79 Personen stünden unter Quarantäne. Die Regierung lässt in ihren Medien ausdrücklich betonen, dass 80% der Fälle Ausländer betreffen.

Premier Orbán erklärte in Brüssel, dass es "einen direkten Zusammenhang zwischen illegaler Einwanderung und der Coronavirus-Epidemie" gebe, denn "viele illegale Einwanderer kommen aus dem Iran oder durch ihn nach Europa." Orbán hatte daher das Asylrecht - ohnehin in Ungarn kaum mehr gewährleistet -
gänzlich ausgesetzt.

Diese Aussage ist falsch. Die Iraner, die in Ungarn die ersten positiv getesteten Covid-Fälle waren, kamen über ein Studienaustauschprogramm der Orbán-Regierung mit dem Mullah-Staat. Teil der Strategie "neuer strategischer Partnerschaften" außerhalb der EU. Eine vorgeschaltete Agentur mit Monopolstellung verdient dabei gutes Geld, Eigentümer ist ein Orbán-Vertrauter.

Die Zahlen kann man getrost vergessen, die Testdichte in Ungarn ist so gering, dass man nicht mal ansatzweise einen Überblick hat. Die Regierung spricht von 858 Tests, die bis Freitagmorgen durchgeführt wurden. Die geringe Testdichte und die Unsicherheit bei den Zahlen trifft nicht nur auf Ungarn zu. Dort kommt aber hinzu, dass sich die schlechte materielle und personelle Ausstattung der Krankenhäuser nun in der Praxis rächt. Es fehlt - außer im Militärkrankenhaus, das auch von der Nomenklatura benutzt wird - praktisch überall an adäquater Schutzkleidung. Patienten mit Symptomen werden Pi mal Daumen behandelt, aber meist nach Hause geschickt. Die Krankenhäuser wurden unter Orbán verstaatlicht, aber miserabel geführt, Investitionen tröpfeln nur, wichtig war nur die Zentralisierung der Lieferanten, bei denen Fidesz-nahe Unternehmen Geld abschöpfen können. Alle paar Monate gleicht der Staatshaushalt die neu aufgelaufenen Schulden der Spitäler aus.

Derzeit herrscht ein Bild der Überlastung der großen Krankenhäuser, dabei ist Ungarn noch tief in der Vor-Italien-Phase der Epidemie.

Schuldirektoren, die Verdachtsfälle melden, werden von der Schulbehörde zurechtgewiesen. Schulschließungen dürfen Sie nicht anordnen, vereinzelt werden Kinder auf eigene Faust nach Hause geschickt. Lehrergewerkschaften fordern eine flächendeckende Schließung aller Bildungseinrichtungen, wie in Frankreich, Spanien oder Österreich beschlossen.

Die Regierung hat mit Ausrufung des Notstandes folgende Maßnahmen beschlossen, gültig ab Donnerstag, 12. März bis auf Widerruf:

- Einreiseverbot für alle aus Italien, China, Südkorea, Iran
- Rückkehrende Ungarn müssen 14 Tage "zu Hause" in Quarantäne
- Grenzkontrollen auch zu den Schengennachbarn
- Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen drinnen und mehr als 500 draußen werden untersagt
- Unis werden geschlossen, Studium geht zu Hause weiter, Pflichtschulen bleiben offen
- Erasmus-Programme und Sprachkurse im Ausland werden für ein Jahr ausgesetzt, ebenso sämtliche Schulfahrten
- Ausländer aus den "Risikozonen" werden in ihren Residenzen unter Quarantäne gestellt. Wer sich nicht daran hält, wird verhaftet und ausgewiesen
- Falschinformationen von Reisenden (z.B. Ungarn, die aus Italien zurückkommen und sagen, sie kommen aus Deutschland) werden als Straftat eingestuft und mit Gefängnis bedroht
- Ausreiseverbot und Urlaubssperre für alle Militärs, Reservisten, Mitarbeiter des Gesundheitswesens, des Finanzamts und aller "Regierungsmitarbeiter".
- EU- und EWG-Ausländer in Ungarn "werden wie Ungarn behandelt", wenn sie über gültige Papiere verfügen
- Die Polizei kontrolliert Quarantäne-Fälle ohne Anmeldung, für deren Versorgung ist die jeweilige Kommune zuständig
- Bereits zuvor wurde verkündet, dass der Feiertag des 15. März ausfällt

Die Verhängung des Notstandes erhöht die Macht der Exekutive, gibt Mittel frei, aber setzt auch ein Notstandsgesetzespaket in Kraft, das bis hin zur Einschränkung der Pressefreiheit sowie der persönlichen Freiheiten der Bürger genutzt werden kann.

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Ob mehr Putzen in den Öffis von Budapest dem Virus imponiert? Foto: MTI

Budapests Bürgermeister Gergeley Karacsóny hat zusätzlich verfügt:

- Alle Theater, Kinos, Museen und Bibliotheken bleiben bis auf Weiteres geschlossen
- Ab Freitag (13.3.) ist der öffentliche Nahverkehr in Ungarn kostenlos, bei Bussen können alle Türen für den Ein- und Ausstieg benutzt werden
- Unternehmen sollten prüfen, die Arbeitszeiten so zu verändern, dass die Rush-Hour entzerrt wird, Home-Office, wo möglich

Budapest fordert die Regierung auf, ein einheitliches, landesweites Seuchenbekämpfungsprotokoll zu publizieren. Karácsony: "Die von der Regierung bisher beschlossenen Maßnahmen, werden nicht ausreichen, um die Epidemie zu bremsen. Wir brauchen mehr Mut." Eigentlich müsste man auch den öffentlichen Nahverkehr einstellen, so Virologen, Budapest versucht es mit mehr Desinfektionsmitteln. Laut Vize-Bürgermeisterin Kata Tüttő sind die Thermalbäder nicht von den Sperren betroffen, man erwarte hier noch eine Entscheidung.

Bereits am Dienstag hatte Premier Orbán vor Wirtschaftsvertretern gesagt, er erwarte von ihnen Meldungen, wo Hilfen gebraucht würden, kündigte ein "Milliardenhilfsprogramm" an und außerdem "ein Jahrzehnt brutaler Veränderungen in Ungarns Wirtschaft, angestoßen durch den Coronavirus". Also weiter Richtung Staatskapitalismus. Die Opposition fordert hingegen, zunächst die Renten zu erhöhen und zwar deutlich und sofort. Das sei der beste Schutz für die am stärksten gefährdete Bevölkerungsgruppe der 65+, so die MSZP.

Fazit: Ungarn durchläuft die gleichen Unsicherheiten hinsichtlich der Bedeutung und der Auswirkungen der Seuche wie die anderen EU-Staaten, ist vom Gesundheitssystem - aber auch vom Grundgesundheitszustand der Bevölkerung - deutlich schlechter vorbereitet als die meisten anderen Länder. Orbán versucht den starken Mann zu markieren und die Epidemie für seine xenophobe Agenda zu nutzen sowie nach Innen freie Hand zu bekommen. Die weitere Umverteilung von öffentlichen Mitteln nach privat ist unter dem Deckmantel eines Hilfspaketes ein Leichtes. Sollte die Seuche außer Kontrolle geraten und einen anderen Verlauf nehmen als in anderen EU-Staaten, könnte Orbán in durchaus ernste Turbulenzen geraten. Das gilt allerdings auch für andere Regierungschefs der EU.

Artikel wird bei Bedarf aktualisiert.

red.



 




 

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