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(c) Pester Lloyd / POLITIK       19. April 2020


Coronavirus Ungarn

Krisenstrategie Euthanasie: Orbáns Soldaten entscheiden über Leben und Tod

Dass die, die für das Töten ausgebildet wurden, in Ungarn heute über jene bestimmen, die Leben retten wollen, ist so grauslig wie bezeichnend. Per Regierungsorder begann man in Ungarn in der abgelaufenen Woche damit, 60% der Krankenbetten für Coronavirus-Patienten zu "reservieren", also ganze Etagen in Krankenhäusern zu räumen - unter der Aufsicht des Militärs. Darunter waren auch etliche frisch Operierte sowie Patienten, die einer permanenten ärztlichen Aufsicht bedürfen. Gleichzeitig überließ man Hot Spots wie Altenheime lange sich selbst. - Skizzen aus einer Diktatur.

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Krankenhauskommandanten geben Ärzten Anweisungen. Das Militär soll zur “Beruhigung” der Bevölkerung eingesetzt werden...
Fotos: MTI, Népszava, privat

Superminister Miklós Kásler, dem auch die Gesundheit untersteht und der Mitglied des Krisenkabinetts ist, rief in den Hospitälern bis zum heutigen Sonntag verpflichtend 32.900 leere Betten ab, weitere 3.500 sollen im Laufe der kommenden Woche exklusiv für Coronavirus-Patienten bereit stehen. Offiziell gibt es in Ungarn aber mit Stand Samstag, 18. April, nur 1.916 nachgewiesene Coronavirus-Fälle, einschließlich all jener, die gar keine Krankenhausbetreung brauchen. Kásler will zudem die Zahl der Intensivplätze von 2.000 auf 8.000 erhöhen, wo offiziell doch nur 60 Menschen künstlich beatmet und 120 auf Intensivstationen wegen Covid-19 behandelt werden müssten. Hingegen wurden 14.000 unter Hausquarantäne gestellt.

Ungarn könnte über XXX zensiert XXX

Orbáns Krisenteam muss offenbar über Informationen zu Ausmaß und Prognose der Coronavirus-Epidemie in Ungarn verfügen, die weit über das von den offiziellen Zahlen Ablesbare hinausgehen. Offiziell gab es Sonntagmorgen (19. April) 189 Tote durch und mit Coronavirus, das entspräche etwa 10% Mortalitätsrate. Das ist ein Hinweis: Diese Todersrate hat auch Spanien, wo die für die Regierung arbeitenden Virologen offen zugeben, dass die Zahl der Infizierten wahrscheinlich nur 10%-15% der tatsächlich mit dem Virus angesteckten Menschen spiegelt - und dabei gehört Spanien mittlerweile und nach langer Verzögerung - zu den Ländern mit den meisten Tests, rund 40.000 pro Tag, so viel, wie Ungarn insgesamt bis jetzt gemacht hat (46.353 Stand Sonntag).

armeekrankenhausintensivstationHU (Andere)Auch wenn Spanien fünf mal mehr Einwohner hat, bleibt der Unterschied gewaltig. Das heißt nichts anderes, als das Ungarn bereits 20.000 und mehr Infizierte haben könnte. Das Problem: In Spanien gibt die Regierung Fehler zu, korrigiert sie, so gut sie kann und steckt dafür mediale und oppositionelle Prügel ein. In Ungarn weiß niemand außerhalb des engen Zirkels um Orbán, was vor sich geht. Kritische Schreiber können jahrelang im Gefängnis verschwinden -
auch das steht in den Krisenverordnungen. Ein anschaulicher Unterschied zwischen (einer keineswegs perfekten) Demokratie und einer sich immer deutlicher abzeichnenden Diktatur.

Und ein lohnender Unterschied: Nur eine kleine Episode, aber sozusagen systemisch: Der für die Besorgung von Schutzmasken von Orbán persönlich beauftragte Fidesz-Jungfunktionär erledigte seinen Auftrag schnell und präzise. Er kaufte aus China für 16,5 Millionen Euro Masken ein, über die Importfirma, in der sein Vater Vorstandschef ist. Nachzulesen auch auf Englisch bei
www.direkt36.hu

Warum geht man erst jetzt in die Altersheime?

Erst am Mittwoch begann man in Ungarn mit der konzertierten Kontrolle von 1.579 Altersheimen und ähnlichen Einrichtungen. Auch hier weiß man schon seit über einem Monat - unter anderem aus Italien und Spanien - dass sich dort schnell Infektions-Hot-Spots bilden können. 10 Coronavirus-Tote in einem Heim in einem Budapester Vorstadtbezirk und 200 Infizierte allein in zwölf Budapester Heimen (darunter auch viel Personal) lassen ahnen, wie es um Covid-19 in Ungarn tatsächlich bestellt ist.

Dass MTI überhaupt darüber so berichtet hat einen einfachen Grund: Budapest wird von der Opposition regiert, der man in den Staats- und Parteimedien nun Versagen vorwerfen kann und das auch ausführlich tut. Dabei bestimmen Orbáns Militärkommandeur darüber, wo außerhalb von Krankenhäusern untersucht, desinfiziert oder evakutiert wird. Begann man daher so spät mit den Kontrollen? Mussten in den Heimen erst viele sterben und erkranken, damit sich Orbán an der in Budapest siegreichen Opposition rächen konnte? Wer widerlegt diese These - und womit?

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Temperaturscan bei Orbán. Über den Zustand des Gerätes ist nichts bekannt.

Unkäufliche Klinikchefs gefeuert

Die andere Lesart der allgemeinen Patientendeportation: Wie immer sich die Lage in Ungarn entwickelt, Orbán wird damit glänzen können, zu jeder Zeit ausreichend Betten zur Verfügung gehabt  - die Lage also in weiser Voraussicht stets im Griff gehabt zu haben. Dass ein paar tausend andere Patienten dafür in Lebensgefahr (und natürlich werden viele diese "Sonderbehandlung" nicht überleben) gebracht werden, lässt man einfach unter den medialen Operationstisch fallen.

Wo sich Klinikleiter dem Militär entgegenstellten, wurden sie zunächst verwarnt, in mindestens zwei Fällen auch stante pede entlassen und vom Militär abgeführt. Dabei sickert durch, dass die beiden betreffenden Klinikleiter gar nicht den "Befehl" verweigert hätten, sondern wohl aus anderen Motiven entfernt wurden. Lautstarke Proteste ihrer Mitarbeiter halfen nichts. Minister Kásler unterschrieb die fristlose Kündigung. Hierzu sollte man wissen, dass viele Klinikleiter in den allesamt von Orbán verstaatlichten Krankenhäusern als Teil des neuen "Beschaffungssystems" mitwirken. Einige Unbestechliche nervten offenbar die Nomenklatura der Krankenhaus-Zulieferer, jetzt war ein guter Zeitpunkt, sie loszuwerden.

Schlaganfallpatienten wie Pizza abgeliefert

Ärzte schilderten viele konkrete Fälle anonym auf Facebook, bei denen sie fürchten, dass die Zwangsentlassung zu dauerhaften Schäden oder sogar zum Tode führen wird. Familien beklagten sich, dass ihnen ihre Kranken zu Hause regelrecht "abgeladen" wurden, oft ohne ausreichende Information zur Behandlung und heimischen Pfelge und ohne die adäquate Ausstattung und Medikation. In einigen Fällen wurden Medikamente ohne Anwendungshinweise übergeben, in anderen lediglich Rezepte für teils komplexe Kombinations-Behandlungen ausgestellt. Etliche sind Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten, die gerade erst von den Intensivstationen entlassen worden waren und noch nicht einmal Reha-tauglich seien.

Dass die, die für das Töten ausgebildet wurden, in Ungarn heute über jene bestimmen, die Leben retten wollen, ist so grauslig wie bezeichnend. Dass das Leben des Einzelnen nicht der entscheidende Faktor für die Kommandeure der 140 staatlichen Krankenhäuser ist, liegt in der Natur der Sache. Ihr Berufsbild sieht das nicht vor. Sie sind ja schließlich keine Ärzte. Sie sind Befehlsausführer. Orbáns Notstandsdekrete sehen medizinische Entscheidungen durch die Militärkommandeure in den Spitälern eigentlich nicht vor. Die Krankenhauskommandeure sollten laut diesen zwar die Funktionsfähigkeit, das Personal, die Belieferung und das Rechnungswesen überwachen - was absurd genug erscheint  -, aber immerhin keine medizinischen Entscheidungen treffen. Doch in der Praxis sieht das anders aus. Die Praxis ist eine Gewaltherrschaft über Leben und Tod. Fachwort: Euthanasie.

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Hier müsste das Propaganda-Ministerium nochmal nachschulen: Arzt ohne fachgerechte Maske, dazu mit freier Nase, beide ohne Handschuhe. Ein ungarisches Krankenhaus mit abfallenden Kacheln, einem nicht sachgerecht befestigten Feuerlöscher und eine Aufzug außer Betrieb? Undenkbar. Erst recht, wenn der Chef im Haus ist.

Uschi prüft, Autoindustrie "immer bereit"

Daneben verblassen alle anderen Nachrichten aus und über Ungarn dieser Woche: Dass das Land aus einem Ersthilfefonds der EU mehr Milliarden einstreichen konnte als Italien, dass das EU-Parlament seine Missbilligung gegenüber Polen und Ungarn verkündete, dass Orbán in einem Schauprozess 12 Iraner verurteilen und ausweisen ließ, weil sie das Coronavirus nach Ungarn gebracht haben sollen, dass Chinas Maskendiplomatie (Europaletten mit "Hoch lebe Ungarn!") und Orbáns Propaganda ein fein eingespieltes Duett ergeben, dass Ursula von der Leyen und somit die EU-Kommission "prüfen", ob in Ungarn vielleicht etwas falsch läuft, in der EVP werden wieder Stimmen lauter, Fidesz auszuschließen. - Derweil: siehe oben. Achja: Die
deutsche Autoindustrie in Ungarn hat Orbán versichert, "jederzeit bereit für einen Neustart der Produktion zu sein." Man muss Prioritäten setzen.

red.

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