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Aus dem Pester Lloyd von 1863

Adolf Dux

Jókai Mór

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A.D. Das Gemüth des Poeten ist eine Aeolsharfe, von der es bald wie Sturmesbrausen, bald wie fröhliches Kichern, bald wie leises Klagen tönt, je nach der Stimmung der Zeit. Das ist eine bekannte Tatsache, die aber gewöhnlich den lyrischen und dramatischen Dichtern nachgesagt wird. Aber auch der Romandichter, dem es nicht gegönnt ist, seinen Honig aus duftenden Blumen zusammen zu tragen, der seine Studien in der derben Wirklichkeit zu machen hat, und der gewiß nicht eher ein rechter Romandichter wird, als bis sein Herz aus tausenderlei harten Berührungen Schwielen davon getragen hat, die von gewöhnlichen Menschenkindern für angeborenen oder anstudirten philosophischen Gleichmuth gehalten werden,- auch der Romandichter kann sich der Einwirkungen der Zeit nicht entschlagen, ebenso wenig, wie ein zart besaitetes lyrisches Herz. Am auffalendsten ist uns diese Erscheinung an Jókai, dem vaterländischen Romancier par excellence. Am merklichsten aber sind in seinen Werken die Einflüsse des Temperaturzustandes in der politischen Atmosphäre.

Sein letzter Roman: „Der neue Grundherr”, den wir zu besprechen Gelegenheit hatten, trug, wie wir damals bemerkten, das Gepräge der Zeit seiner Entstehung sehr deutlich an sich; es war etwas vom Ton der Adreßreden darin. Nicht minder polemischer Natur dürfte, wenigstens der Anlage nach, der im Feuilleton des „Hon” mitgetheilte neue Roman Jokai’s „Politische Moden” sein, wenn andere dieses Werk nicht beim Austritt aus der vor zwei Jahren abgeschlossenen Zeitströmung in eine Periode von bedeutend herabgemindeter Temperatur an Farbe und Form stark gelitten hat. Es scheint uns dergleichen der Fall zu sein, doch wollen wir heirüber nach der tropfenweisen Lektüre der stets nach langen Pausen fortgesetzen Feuilletons nicht apodiktisch sprechen, und unser Urtheil aufsparen, bis der Roman im Buchhandel erschienen sein wird, und wir den Inhalt desselben in einem Zuge in uns aufnehmen können. Inzwischen ist ein anderer Roman von Jókai „Verkehrte Welt” im Verlag von Gustav Heckenast erschienen, der durchaus nicht politischer Natur ist, und sich gleich dne nationalen Bestrebungen wahrend des Provisorismus rein auf sozialem Gebiet bewegt. Wir loben dies, weil der soziale Roman zu dne Aufgaben unserer Zeit gehört, und sowohl was die Produktion, als auch die Konsumtion betrifft, heutzutage am besten gedeiht, wie die vorzüglicheren neuen Romane der Franzosen, noch mehr aber diejenigen der Engländer und der Deutschen beweisen. Was den ungarischen sozialen Roman anbelangt, so können wir dieses Gedeiehen noch nicht aus vollem Herzen begrüßen. Der ungarische Dichter hat noch keinen genügend tiefen Blick in alle Lebenskreise der ihn umgebenden Gesellschaft gethan, um mit der Schilderung des Lebens, wie der soziale Roman sie bedingt, allseitig befriedigen zu können.

So können wir es nicht ale ein poetisches Wiedergeben selbtgeschauten Lebens bezeichnen, wenn Jókai in seinem eben genannten Roman einen Kaufmann, der ein Schwindler ist, damit charakterisirt, daß er von ihm sagt, er habe ganze Magazine voll von Säcken gehabt, die mit – Sand anstatt mit Getreide gefüllt waren. Ein Schwindler, welcher der ganzen Welt sogar auch seiner eigenen Familie Jahre lang Sand in die Augen streute, wird sich wohl hüten, eine große Menge von Arbeitern, Magazineuren u.s.w. zu Mitwissern seines Betruges zu machen, und durch sie seine Säcke mit Sand füllen lassen. Man kann viele Magazine voll mit Getreide haben, und doch ein Schwindler sein, wenn die Aktiva den Passiven nicht die Wage halten. Besser ist dem Verfasser die Charakterschilderung eines jungen Edelmannes gelungen, der sich durch technische Kenntnisse und ausdauernde bürgerliche Thätigkeit zu einem reichen Grundbesitzer aufschwingt und schließlich die Hand einer liebenswürdigen jungen Dame aus der Aristokratie des Landes erlangt.

Außerdem zeichnet sich dieser Roman noch durch manche andere schöne Partien aus; namentlich sind es die ländlichen Kreise der ungarischen Gesellschaft, auch normale Gestalten der Aritokratie, die Jókai in mustergiltiger Weise vorführt. Schlechte Schößlinge der letzteren hingegen, wie hier den eitlen Gecken Baron Ludvéghy, karrikirt der Dichter mit einer Heftigkeit, die über das Ziel hinausschießt. Zu bemerken haben wir noch schließlich, daß dem Werke die Hast der Arbeit und der Mangel an Feile zu sehr anzumerken ist. Es hat nichts zu bedeuten, wenn ein in diesem Roman vorkommender Hund auf der einen Seite „Dráva”, und auf der anderen schon „Száva” heißt; es kommen darin aber noch ärgere und geradezu komische Widersprüche vor. So beginnt die Schilderung einer gewissen Lokalität in einem Wirtshause mit der Versicherung, daß ein Zimmer darin noch einen Ausgang habe; am Schluß der betreffenden Schilderung kann der darin eingesperrte Bösewicht nicht hinaus, weil das Zimmer NICHT noch einen Ausgang hat. Solche Eskamotagen stehen einem Kunstwerk sehr schlecht an, und wir bitten den Dichter dringend, seine Manuskripte zum Heil seines guten Rufs und seiner Leser vor der Drucklegung noch einmal zu überlesen.