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Aus dem Pester Lloyd von 1917

Béla Balázs

Frauen in der Politik

Mehr zu Béla Balázs Dazu auch: Die Frau in der Politik, Nordau, 1914

„Ich glaube, dass ich nicht lebe, um zu gehorchen, oder um mich zu zerstreuen, sondern um zu sein und zu werden, und ich glaube an die Macht des Willens und der Bildung, mich dem Unendlichen wieder zu nähern, mich aus den Fesseln der Missbildung zu erlösen und mich von den Schranken des Geschlechts unabhängig zu machen.“ Schleiermachers Katechismus der Vernunft für edle Frauen.

Vor einem Jahrhundert schon erklang dieser Schrei nach Emanzipation der Frauen aus dem Munde eines Mannes! Ist es nicht sonderbar, dass die Männer erst heute ernstlich darauf bedacht sind, den Frauen möglich zu machen, dass sie nicht „nur leben, um zu gehorchen“? Was war es denn, dass dieser Emanzipation im Wege stand? Es war das dunkle Problem der „p o l i t i s c h e n  R e i f e“! Mit diesem mysteriösen Wort zogen die Herren der Welt den Zauberkreis um ihre Macht, den auch die Männer niederer Klassen bis zu den heutigen Tagen nicht überschreiten konnten. „Politische Reife“ hieß das geheimnisvolle Wort. Ich muss gestehen, dass ich mir nie klar machen konnte, was sie damit meinten, denn was ich, selbst nach eifrigstem Nachdenken, darunter verstehen konnte, war etwas zu Einfaches. Politisch reif, fand ich, muss jeder sein, der weiß, was er braucht, also eben das weiß, was nur er und niemals ein anderer wissen kann. Nun schien es aber bis jetzt, dass die Männer gleichwohl viel besser wissen, was die Frauen brauchen, als diese selbst. Allerdings ist es einem sonderbaren und glücklichen Zufall zuzuschreiben, dass sich ihre Interessen immer völlig mit denen der Frauen deckten, was aber nur sehr misstrauischen Leuten als verdächtig erscheinen kann. Nun finden wir, dass die Frauen endlich für das aktive Wahlrecht reif sind. Aber gewählt werden, also selber ihre Interessen vertreten, sollen sie noch immer nicht können. Fürderhin werden sie also die Freiheit haben, für fremde Interessen ihre Stimmen abzugeben, sie werden das Recht haben, zwischen Männern zu wählen, von denen naturgemäß keiner ihre Wünsche vertritt. (Das Wahlrecht des Delinquenten, der zwischen Strick und Guillotine wählen darf, ist allenfalls auch ein Wahlrecht.) Für aktive Politik aber werden die europäischen Frauen des zwanzigsten Jahrhunderts noch nicht reif befunden.

Das ist eine der wunderlichsten Paradoxien der Weltgeschichte! Denn seit einem Jahrhundert schreitet das Werk der Emanzipation der Frauen fort und allmählich wurden ihnen alle Berufe eröffnet. Lauter Berufe, die Frauen nie betrieben haben, denen sich ihre Anlagen, ihre Nerven erst mit der Zeit anpassen müssen, damit sie konkurrenzfähig werden. Trotzdem wurden ihnen diese nie betretenen Wege mit Zuversicht eröffnet. Nur für einen einzigen Beruf hält man sie immer noch nicht geeignet, für den einzigen Beruf, den sie ihr Lebtag betrieben haben, für die Politik! Ueberall läßt man sie als Neulinge herein. Ein einziges Handwerk will man ihnen verschließen: das einzige, für das sie seit den Anfängen der Geschichte urkundlich nachweisbare Vorbestimmung haben! Nicht nur einzelne Auserwählte waren es, nicht nur Königinnen, die ja von der märchenhaften Saba bis zu Elisabeth der Großen, von Katharina der Zweiten bis Maria Theresia fast alle zu den Klassikern der Politik gezählt werden. Aber einfache Frauen, Frauen der Gesellschaft waren es, in deren Hände die Politik ganzer Jahrhunderte gelegt war. Und zwar nicht in „kleine, weiße, duftige Frauenhändchen.“ – (zumindest war nicht das die Hauptsache). Diese Hände waren oft die einzigen Wegweiser, die nicht schwankten noch zitterten. Die Brüder Concourt beschreiben die Frauen des achtzehnten Jahrhundert als das geistige Zentrum jener Epoche, als deren führenden Intellekt und bewegende Energie. Und die Politik Frankreichs, die damals Frauen machten, war die Politik der Welt. Es ist eine bemerkenswerte philologische Tatsache, dass die Sprache der heutigen Diplomatie, dieses politische Argot, dieses Labyrinth fein und streng geschliffener Kunstausdrücke, aus dem Jargon der Pariser Salons des achtzehnten Jahrhunderts entstanden ist.

Natürlich wird der beispiellose Einfluß der französischen Frauen des achtzehnten Jahrhunderts auf den erotischen Zug jener Kultur zurückgeführt. Doch es liegen Dokumente vor, die zeigen, dass hinter der – freilich zum Kampfe benützten – Rüstung weiblicher Grazie oft die Gewalt überlegener Intelligenz, kaltblütiger Willenskraft und tiefer Menschenkenntnis wohnte. Man kann die Macht jener Frauen nicht einfach damit erklären, dass alle Männer dieser Zeit schwachsinnige Wüstlinge waren. Weder Mazarin, noch Richelieu, noch Turgot und Mirabeau waren schwachsinnig! Diese Männer wussten sehr gut, warum sie auf ihre Frauen hörten. Auch diesen Männern ging der Erfolg noch über die Liebe. Von der verblüffenden politischen Gewandtheit der Marquise de Pompadour liegen allbekannte Urkunden vor. Im Salon der Freundin Turgots, Mme. Grammonts, wurde der aufrührerische Geist der Revolution gebraut, und Mme. De Tincin, vielleicht das größte politische Genie jener Zeit, war keine Maitresse eines Mächtigen.

Dass die Politik jener Frauen keine „offizielle“ war, besagt gar nichts. Damals trieben auch die Männer nur Boudoirpolitik, eine andere Politik von Belang gab es nicht. Und was ist denn die Routine der großen Salondame anderes als politische Routine? Das Organisieren und Beisammenhalten hetetogener Elemente, das Lavieren über den Wellen sich widersprechender Interessen, der Sinn und das Verständnis für verschiedenste Geisteseigenarten, die sie dadurch in ihrer Gesellschaft zur Eintracht und zum Zusammenwirken zwingt – sind das nicht die bekannten klassischen Qualitäten der großen Salondamen von jeher, und sind das nicht zugleich katexochen politische Qualitäten?

Man pflegt diesen Frauen, Königinnen wie Maitressen und Salondamen, auch „vorzuwerfen“, dass sie nicht eigentlich selbst etwas taten, sondern bloß talentierte Männer auszuwählen verstanden. Ja, ist denn das nicht mit eines der wichtigsten politischen Talente, für jeden Herrscher und Ministerpräsidenten unerlässlich? Es gibt auch Geschichtschreiber, die behaupten, dass Napoleon „bloß“ begabte Generale hatte. (Es sind dieselben, die ihn als äußerst feminin charakterisieren.) Mit dieser Unvollkommenheit kann man eben die Welt erobern. Ist dieser sehr tief, gleichsam in einer Art geistiger Zuchtwahl wurzelnde Instinkt, dieser feine und sichere Sinn für wertvolle Männer etwas, das wir in unserer Politik nicht gut brauchen könnten?

Der männliche Geist wurde immer als abstrakt und theoretisch dem unmittelbar praktischen Geist des Weibes entgegengestellt. Solange also die mittelalterliche abstrakte Idee des Staates vorherrschend war, die Auffassung nämlich, die dem Staat ein mystisches Sein, ganz unabhängig von der Existenz seiner Bürger, zuerkannte, solange durften natürlich die Frauen nicht an das Ruder kommen. Dieser abstrakte Staat hatte Interessen, die sich mit den Interessen keines seiner Bürger deckten, er hatte ein äußerst empfindliches Ehrgefühl, das beleidigt werden konnte, ohne dass die korrektesten Gentlemen unter den Einwohnern etwas davon wussten. Der primitiv-unmittelbare, der praktisch reale Geist der Frauen verstand diesen Staat allerdings nicht. Aber heute, wo unsere Idee vom Staate sich allmählich ändert, wo wir uns daran gewöhnen, ihn als eine große Wohlfahrtgenossenschaft, einen Monsterhaushalt zu betrachten, mit dem einzigen Sinn: die Wohlfahrt seiner Bürger zu sichern, heute könnten wir auch im Staatshaushalte kluge Staatshausfrauen brauchen. Die „politische Reife“ hat heute eben andere Kennzeichen als ehemals.

Es gibt aber außer den geistigen Kriterien auch ein moralisches Kriterium der politischen Reife, von dem bei uns wenig gesprochen wird; nämlich die Kraft der Ueberzeugung. Politisch reif ist nur der, der für seine Ueberzeugung einsteht mit Leib und Seele, mit seinem ganzen Leben, bis zum Tode. Ob die Frauen diese politische Reife besitzen? Man denke an die russischen Frauen der Revolution. Mit dem Galgen und mit Sibirien vor den Augen Politik zu treiben, dazu gehört Reife: moralische Reife! Wera Figner und Sofia Perowskaja haben es mit der Politik ernst genommen, und Wera Safulitsch, die vielleicht das erste politische Attentat in Russland verübte, wurde damit die erste Russin, die aktive Politik machte. Diese Russinnen strebten nach dem passiven Wahlrecht, von dem Zentralkomitee der Revolution zur Ausführung eines Attentats, also zum sicheren Tode erwählt zu werden (ein Recht, das ihnen viele Männer gern ganz überlassen haben), und sie wurden in dieser allerschwersten Prüfung politisch reif befunden.