(c) Pester Lloyd / 2007
STADTLEBEN _______________________________________________________
Zerbröckelnde Schmuckkästchen
Die Hoflandschaften von Budapests VII. Bezirk sind historische Zeitzeugen und architektonische Schönheiten - Leider investiert die Stadt nicht genügend in ihre Renovierung.
Die insgesamt 23 Bezirke der Hauptstadt haben die unterschiedlichsten
Gesichter. Da wäre der V. Bezirk, der mit seiner herausgeputzten Váci utca und der Donaupromenade zum Pflichtprogramm eines jedes Touristen gehört. Da
wäre der XII. Bezirk, der mit seinen grünen Bergen und frischer Luft zum erholsamen Wandern einlädt. Der I. Bezirk, der das gesamte Burgviertel
umspannt, welches für das ungarische Selbstbewusstsein und die magyarische Geschichtsschreibung von so hoher Bedeutung ist, steht in einem
unüberbrückbaren Gegensatz zum XIV. Bezirk, dessen Stadtbild von eng aneinander gereihten kommunistischen Plattenbauten geprägt ist. Und dann
wäre da der VII. Bezirk, dessen einzigartige Architektur 1987 teilweise von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde.
Ohne Zweifel ist dieser Bezirk eine der
schönsten Ecken Budapests, in dessen verwinkelten Gassen und versteckten Höfen sich beim Spazierengehen immer wieder Neues entdecken lässt. Ein Hauch von Mystik schwebt über diesem Stadtteil, da er
vor allem immer von der jüdischen Kultur geprägt war und somit auch als jüdisches Viertel bekannt ist. Hier befinden sich die größte Synagoge Europas, das Jüdische
Museum, koschere Restaurants und Geschäfte, kleinere Gebetshäuser, Thoraschulen sowie Europas einziges Rabbinerseminar. Im Verlauf des 18.
Jahrhunderts hatten sich hier zahlreiche jüdische Familien niedergelassen. Während der deutschen Okkupation im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des
Bezirks in ein Ghetto umfunktioniert, in dem sich über 70.000 Juden aufhalten mussten. Heute erwacht die jüdische Kultur wieder zu neuem Leben. Im
Labyrinth der engen, ungeraden Gassen befinden sich über vielen Hauseingängen hebräische Schriftzeichen, die einem den Weg zum jüdischen Bad oder zu Gemeinderäumen weisen.
Neben der jüdischen Kultur, die innerhalb Ungarns hier ihr Zentrum gefunden
hat, bietet der VII. Bezirk seinen Betrachtern einen einzigartigen und geschichtsträchtigen Hofkomplex. Der Gozsdu Udvar ist ein architektonisches
Meisterwerk, bestehend aus sieben Gebäuden mit sechs Innenhöfen, die die Király mit der Dob utca verbinden. Seinen Namen erhielt der Bau nach dem
mazedonisch-rumänischen Juristen Emanuel Gozsdu, der sein Familienvermögen in Immobilien investierte und die Pflege der rumänischen Kultur in Ungarn
finanziell unerstützte. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte der Architekt Gyözö Czigler die Pläne für den Bau, der unter anderem auch das Budapester
Széchenyi Bad konstruierte. Emanuel Gozsdu starb 1869 und vermachte seinen Reichtum der Instandhaltung des Hofgebäudes. Obwohl es so schien, als ob dem
Gozsdu Udvar durch seinen wohlhabenden Ziehvater zumindest in finanzieller Hinsicht eine sorgenfreie Zukunft bevorstehen würde, kam es 1951 zur
Verstaatlichung des Komplexes. Erst 1999 konnte das Hofgebäude endgültig privatisiert werden und befindet sich seit 2004 in den Händen der Firma Autóker. Diese hat Großes mit dem Gozsdu Udvar vor.
Seit April diesen Jahres laufen Renovierungsarbeiten an dem 4.800 qm
umfassenden sechsstöckigen Bau. Durch die Investition von acht Milliarden Forint (31,7 Mio. Euro) will der sich in israelischem Besitz befindliche Immobilienentwickler
Luxuswohnungen und exklusive Geschäfte im historischen Hofkomplex errichten. Die Bauarbeiten sollen bis 2006 beendet sein und die Höfe in neuem Glanz erstrahlen lassen. Der
Gozsdu Udvar wird für die Zukunft instand gesetzt, er wird noch viele kommende Generationen mit seiner Schönheit erfreuen können. Doch was wird mit den restlichen, so
historischen und rchitektonisch wertvollen Gebäuden des VII. Bezirks geschehen? Der Stadtteil verfügt über einen unglaublichen Charme, der durch den Verlauf der Zeit im wahrsten Sinne des
Wortes zu zerbröckeln droht. Viele der Häuser und Höfe sind ungepflegt und längst renovierungsbedürftig.
Die Fußgängerzone der Király utca wurde einer mehr oder weniger erfolgreichen
Erneuerungskur unterzogen und versucht, Passanten im frischen Anstrich in ihre Restaurants, Bars und Läden zu locken. Die vielen von den Hauptstraßen weiter
abgelegenen engen Gassen des Bezirks haben keine finanzielle Ausschlachtung zu bieten. Es sind reine Wohnhäuser, die sich hier befinden. Die Art der Höfe, die
sich hinter Türen und Toren ungeahnt verbergen, findet man in Europa sonst vielleicht nur noch in Städten wie Wien oder Berlin. Auf Nachfrage, wie die
Bezirksverwaltung die Zukunft des Stadtteils plane, antworteten der Vizebürgermeister József Gergely und der Hauptarchitekt der Gegend, Miklós
Bartjai, dass man sich der hohen Verantwortung der Erhaltung des ursprünglichen Stadtteilbildes bewusst sei. 2002 seien umfassende Pläne zur
weiteren Gestaltung des VII. Bezirks beschlossen worden, die eine weitere dichte Bebauung zu verhindern suchen würden. Die bereits sehr dichte historische
Bauart, die auf das 19. und 20. Jahrhundert zurückgehe, wolle man im Gegensatz dazu jedoch erhalten. Ziel der Umbaupläne sei die Bewahrung des
alten Stadtbildes, gleichzeitig wolle man die historischen Gebäude an die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts anpassen. Um neue luftige Lebensräume zu
schaffen, wird daher geplant einige Hofseiten abzureißen.
Einer Renovierung schützenswerter Häuser und Höfe stimme man zu, die
zunehmende Privatisierung der Gebäude führe jedoch zu Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Projekte. Die Renovierungsarbeiten könnten von
Privatbesitzern meist nicht finanziell gedeckt werden, so dass die Verwaltung des Bezirks die anfallenden Kosten mit der Errichtung von Geschäften in den alten
Häusern zu decken versuche. Die Verwaltung des Bezirks scheint vor einem Dilemma zu stehen, gerade die erzwungene Modernisierung und der Abriss
einiger Hofwände führen unweigerlich zu einem Wandel des historischen Stadtbildes.
Wie die UNESCO schon vor 20 Jahren bemerkte, sind diese Gebäude
architektonische Zeugen der Geschichte und wert, allein wegen ihrer Schönheit geschützt zu werden, obwohl sie vielmehr sind als “nur” schön.
Amanda Kovács
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