(c) Pester Lloyd / 2007 ESSEN & TRINKEN _______________________________________________________
Kult & Kitsch bei Kaffee & Kuchen
Das legendäre Caféhaus New York in Budapest
Nach unendlicher Restaurierungszeit probiert sich das New York in der
Gegenwart wieder an Vergangenem - Die Atmosphäre, die geschaffen werden sollte, ist nicht entstanden, seinen Zweck erfüllt es trotzdem.
Was London der Pub und Paris das Bistro, das ist Budapest das Kaffeehaus.
Mehr als 500 dieser Prunkpaläste tummelten sich im Budapest der Jahrhundertwende und zogen Kunstliebende ebenso an wie Kunstschaffende.
Journalisten, Touristen, Schriftsteller, Musiker – eine gute Mischung, die zur Kreativität gleichermaßen verhalf wie zur Entspannung und Erbauung. Der
Zweite Weltkrieg zerstörte den Großteil der Kaffeehauskultur und heute sind nur noch wenige Originale erhalten. Im Mai diesen Jahres erwachte einer
dieser nostalgischen Paläste erneut zum Leben: Das New York Café unternimmt den Versuch, die gute alte Zeit wieder lebendig werden zu lassen.
Ganz Budapest spricht vom Glanz der vergangenen Zeit und vom Kaffeehauszauber. Ich will sehen, ob die Gerüchte
um eines der prächtigsten Kaffeehäuser Budapests stimmen. Ich bin auf der Suche nach einem Ort zum Entspannen, zum nur so Dasitzen, zum kreativen Denken. Stimmen die Geschichten über die
ungarischen Kaffeehäuser, in denen Meisterwerke der Musik und Literatur ihren Anfang genommen haben sollen, dann bin ich dort genau richtig.
Beim Betreten des prachtvollen Baus stehen bereits zwei Bedienstete bereit, um mich
herzlich willkommen zu heißen. Beschämt versuche ich meine Flipflops zu verstecken, doch mein völlig verlotterter Look ist bereits bemerkt und
gnädig ignoriert worden. Ein Kellner im Designeranzug stolziert voraus, um mich an meinen Tisch zu bringen. Hier wird der Gast platziert, ob er will
oder nicht. Ich laufe devot hinter dem Designeranzug her zu meinem Tisch, der direkt vor meiner Nase noch einmal auf Hochglanz poliert wird. Schade,
denke ich, dieser Wasserfleck hätte es ein wenig realistischer gemacht. Nun sitze ich da und kann mich beim besten Willen nicht auf die Speisekarte konzentrieren.
Die Geschichte erschlägt mich. Von der Decke, von den Wänden sieht mir
die vergoldete Vergangenheit zu, wie ich klein und unbedeutend in der Gegend herum staune. Am 23. Oktober 1894 öffnete das New York Café
zum ersten Mal seine Türen. Der Prunkpalast wurde nach den Plänen von Alajos Hauszmann erbaut und basiert auf dem Stil der italienischen
Renaissance. Malereien von Gusztáv Mannheimer und Ferenc Eisenhut zierten die Decke. Anfang des 20. Jahrhundert hatte das Café seine
Blütezeit und wurde zum Lieblingsplatz von Künstlern, Schriftstellern und Journalisten. Die Elite der Theater- und Filmwelt nannte das New York Café ihr zweites Zuhause.
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Mit dem ersten Weltkrieg und der Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren
setzte der Verfall des Cafés ein. Zusätzlich wurden noble Nachtclubs zu ernsten Konkurrenten. Der zweite Weltkrieg zerstörte die Kaffeehauskultur
Budapests fast gänzlich. Nach zwischenzeitlicher Zweckentfremdung als Sportgeschäft und Reisebüro wurde das Kaffeehaus 1954 unter dem Namen
„Café Hungária“ wiedereröffnet. Der Regimewechsel in den Jahren 1989/90 gab dem Café seinen Namen zurück. Im Februar 2001 begann die
italienische Boscolo Gruppe mit der Wiederherstellung des Gebäudes und im Mai 2006 öffneten sich die Türen des Cafés erneut.
Die vier Brüder der Boscolo Gruppe verstehen sich als Botschafter
italienischer Lebenskunst. Das erklärt auch die vorrangig italienische Speisekarte, der ich mich nun zugewandt habe: Pizzabrötchen,
Nudelgericht, italienische Salate. Ich entscheide mich für einen Cäsar-Salat für 1.000 Forint. Meine Kellnerin heißt Moniká und beendet jeden Satz mit „Ma’am“.
Während ich auf meinen Salat warte, schlürfe ich an meinem Pfirsichsaft
und beobachte die Gäste. Außer den zwei älteren Damen am Nebentisch ist kein Ungar da. Franzosen, Engländer, Deutsche. Offensichtlich sind sie alle
dem Stadtgeflüster und Hörensagen um den historisch-legendären Palast gefolgt und starren so wie ich die mit Gold und Engelsfiguren üppig verzierten Wände und opulenten Deckengemälde an.
Es will sich kein Wohlgefühl einstellen. Der dunkelrote Stoff, der alle Stühle und Sofas ziert, soll wohl zusammen mit den dunkelroten
Glastischplatten ein königliches Gefühl projizieren, verfehlt aber seine Wirkung. Die ganze Einrichtung wirkt eher kitschig. Gleichzeitig vermittelt
der riesige offene Raum den Eindruck einer - zugegeben prachtvollen - Bahnhofshalle. Die Vorstellung vom Kellner, der zu Kaffee und Kuchen gleich
Tinte und Papier für den Herrn „Chefredakteur“ reicht, misslingt. Moniká stürzt mit meinem Salat an mir vorbei. Sie sei heute „very confused“,
entschuldigt sie sich. Sie ist sympathisch. Als Wiedergutmachung kommt sie mit dem Pfefferstreuer auf mich zu und bietet Gewürze an. Ich bedanke
mich und verzichte. Ohnehin hätte Pfeffer nicht viel geholfen. Der Salat ist eher sachlich angerichtet. Links Hühnerbrust, mittig grüne Salatblätter,
rechts Croutons. Mit der Anchovis-Paste bestreiche ich das Brot und kaue auf meinen geschmacksneutralen Salatblättern herum.
Moniká erkundigt sich mehrfach nach meinem Wohlbefinden. Ich frage sie
nach dem Restaurant in Untergeschoß des Gebäudes. Vertraulich flüstert sie mir zu, dass dies das „much better and more expensive Restaurant“ wäre.
Ah ja, denke ich. Nachdem mein Tisch abgeräumt wurde und ich die Rechnung verlange, die nicht Moniká, sondern der dafür zuständige Kellner –
im Anzug – kredenzt, schaue ich noch ein wenig auf einen der vielen Monitore im Raum, der ununterbrochen Werbung fürs eigene Haus bringt.
Inzwischen hat die Musikband angefangen zu spielen - Jazz natürlich. Ich entschließe mich zum Gehen. Zwei Herren halten mir die Tür auf, Moniká
winkt mir zu und lacht. Sie hätte wunderbar ins gerade geschlossene „Három Holló“ gepasst.
Ich werde das Café New York wohl nicht noch einmal besuchen. So wie viele
Touristen kam ich einmal zum „Gucken“ und Staunen und werde in Zukunft in einer gemütlichen Kneipe einkehren. Die Atmosphäre, die geschaffen
werden sollte, ist nicht entstanden. Schade, gerne hätte ich die gute alte Zeit erlebt.
Tanja Kirsten
New York Kávéház 1073 Budapest Erzsébet krt. 9-11 Tel: 86-6111 www.newyorkpalace.hu
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