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(c) Pester Lloyd / 36 - 2009  BUDAPEST 03.09.09
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Wie ein eigener Kosmos

Ferencváros, einer Legende auf der Spur

Ferencváros ist der erfolgreichste Fußballclub Ungarns und noch viel mehr. Bis in die Zeit der Monarchie lässt sich der Mythos der Grün-Weißen verfolgen. Heute steht er vor allem für eine riesige und oft sehr lautstarke Fangemeinde, die wohl nur mit Kultclubs wie Borussia Dortmund oder Schalke 04 zu vergleichen ist. Was macht Ferencváros, von den Fans liebevoll „Fradi“ genannt, so einzigartig?

Der 1899 gegründete Traditionsclub verdankt seinen Namen einem Stadtteil von Budapest, der eben nicht nach dem prägenden Gesicht der k+k Monarchie, dem Kaiser Österreichs und König Ungarns, Franz Joseph I. benannt worden ist, wie es die meisten glauben, sondern nach Franz II., gekrönt 1792 zum letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (nach 1805 dann als Franz I., Kaiser von Österreich von Napoleons Gnaden und unter Metternichs Fuchtel). Für Joseph, den Gatten Sisis blieb die Józsefváros, Budapests wie Wiens VIII. Bezirk und die Erinnerung der Nachwelt. Franz II. ist dagegen weitgehend in Vergessenheit geraten, er stand schlicht zu sehr im wirklich nicht kleinen Schatten Maria Theresias sowie in dem seines Onkels, des Reformkaisers Joseph II.. Napoleon und die Geschichte stellten ihn dann endgültig ins Abseits.

„Ein Club, ein Vaterland“!

Seit dieser Zeit trägt man in Ferencváros fünf grüne und vier weiße Streifen, die den IX. Bezirk Budapests repräsentieren und ganz nebenbei auch die Vereinsfarben des österreichischen Rekordmeisters Rapid Wien sind. Das Wappen beinhaltet ein dem Adler ähnliches Maßkotchen, einen Turul (ungarischer Nationalvogel und Sagenwesen), der einen Fußball in den Krallen hält. Dennoch werden die Fußballer auch „Grüne Adler“ genannt, was die wahre Identität des Vogelwappens offen lässt.

Im Wappen des Vereins stehen die drei E für „Erkölcs, Ero, Egyetértés“ („Moral, Kraft und Eintracht“), was die apathischen Fradi-Fans gerne auch von den Spielern auf dem Platz fordern. Sie waren schon immer stärkstes Pfund des Clubs und reagierten, z.B. auf die Kriesensaison 2006 / 2007, mit einer Verdopplung der Dauerkartenkäufe.

Die Regierung ersetzte zu stalinistischen Zeiten zwischen 1950 und 1956 den Namen Fradi durch ÉDOSZ SE, aus Sorge vor der Popularität des Clubs, was die Dimension des Fankults verdeutlicht. Tatsächlich gibt sich der Club nicht selten patriotisch, manche extreme Fans auch nationalistisch. Auf zahlreichen Fanseiten wird mit alt-ungarischen Symbolen gespielt und z.B. der Leitspruch aus Monarchiezeiten „Ein Gott, ein Vaterland“ in „Ein Club, ein Vaterland“ umgewandelt. Diese und ähnliche Parolen sind bei den Heimspielen des Vereins zu vernehmen, welche einem Spektakel gleichkommen. Die Menschenmassen auf den Rängen fordern den Sieg lautstark ein und bedienen sich Trommeln, Fackeln und sonstigem Werkzeug, das Aufmerksamkeit garantiert. Ein Klub, wie ein eigener Kosmos.

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Seele des Clubs: Handwerker und Industriearbeiter

Wie aber war es möglich, dass ein solcher Fankult entstand? Dazu ist zu sagen, dass der Bezirk Ferencváros, früher Szentfalva, erst im 18. Jahrhundert in die Stadt Budapest eingemeindet wurde. Die Bewohner, meist Bauern, mussten ihre Stadt mehrfach wiederaufbauen, da die in städtebaulicher Hinsicht nicht professionellen Gebäude den Hochwassern der Donau nicht standhielten. Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich dann vor allem Handwerker und später Industriearbeiter an, die bis heute die eigentliche Seele des Clubs stellen. Auch in diesem Zusammenhang ist die Situation vergleichbar mit den Kultvereinen des Ruhrgebiets, deren Anhänger ursprünglich aus einem ähnlichen Milieu stammten.

Es herrscht sogar eine ähnliche Konkurrenzsituation vor, nur dass die Gegner nicht gelb und blau sind, sondern grün und lila. Die lilafarbenen Spieler des Budapester Stadtbezirks Újpest sind das Feindbild des FTC. (wie in Wien das Lila von Austria) Es lässt sich sagen, dass sowohl seine Tradition als auch die einzigartige Fangemeinde den Verein zu dem machen, was er ist.

28 Meistertitel und 1965 Messecup-Gewinner

Die bekannteste Sportabteilung der Franzstädter ist der Fußball. Seit Gründung dieser Abteilung spielte der FTC durchgehend in der ersten Liga, gewann 28 Meistertitel und errang 20 Cupsiege. Unter anderem gewann man 1965 den Messecup (alter Uefa Cup), indem Gegner wie AS Rom, Manchester United und Juventus Turin ausgeschaltet wurden. Die Mannschaft um den späteren Bremer Krisztián Lisztes qualifizierte sich 1995 sogar als bis heute einzige ungarische Mannschaft für die Gruppenphase der Championsleague.

Am meisten bleibt aber die Meisterschaft von 1931 / 1932 in Erinnerung, in der Ferencváros jedes Spiel gewann, was in der europäischen Fußballhistorie einzigartig ist. 2006 dann die Offenbarung: Dem FTC wurde wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten die Lizenz für die erste Liga entzogen. Das gesteigerte ungarische Medieninteresse dieser Tage war vergleichbar mit einem hypothetischen Abstieg des FC Bayern in Deutschland. Nun, wieder frisch aufgestiegen, spielt Ferencváros 2009 / 2010 wieder erstklassig.

Frisches Geld kam vom englischen Verein Sheffield United, der den ungarischen Traditionsverein nun endgültig aufgekauft hat. Neben dem Fußball besitzt der Verein national und international erfolgreiche Abteilungen im Turnen, Handball, Radfahren, Wasserball, Eishockey, Ringen, Schwimmen, Leichtathletik und Kegeln. Besonders erfolgreich ist das Damenhandball-Team (siehe Foto), das gerade 2006 den wichtigsten internationalen Pokal im Handball, den EHF-Pokal gewinnen konnte.

Tibor Wilhelm Benedek

Fußballstadion : 1091 Budapest IX., Ülloi út 129
Tel.: 215-60-25, Fax: 215-36-98
Homepage :
www.ftc.hu

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