Budapest/Révfülöp. Am Plattensee wird es bald laut. Die ungarische Regierung hat in dieser Woche ein kurzfristiges Maßnahmenpaket beschlossen, um die drohende ökologische Schieflage des Balaton zumindest temporär abzufedern. Bis Ende Oktober soll mit der Ausbaggerung mehrerer Uferzonen begonnen werden. Das Projekt wird mit 1,5 Milliarden Forint (rund 3,76 Millionen Euro) dotiert und aus Mitteln des Nachhaltigkeitsprogramms für die Region finanziert.
Von Anwohnern längst gefordert ließen die Maßnahmen bisher zu wünschen übrig.
Hinter der Reaktivierung des 2021 gestarteten Aktionsplans steht der Minister für öffentliche Verwaltung und Regionalentwicklung, Tibor Navracsics, der bei einer Pressekonferenz in Révfülöp pompös ankündigte, dass insbesondere sogenannte Schlammfallen und kritische Flachwasserbuchten gereinigt werden sollen. Die praktische Umsetzung obliegt dem Energieministerium unter Beteiligung der Wasserwirtschaftsbehörde Mitteltransdanubien sowie dem seit Jahrzehnten aktiven Balaton-Verband.
„Die Wasserqualität ist derzeit noch gut, aber das Gleichgewicht ist fragil“, so Navracsics.
Der See – ökologisch sensibel, klimatisch exponiert und touristisch überlastet – stehe zunehmend unter Druck. Die Algenblüte nehme zu, Mückenplagen seien längst keine Randnotiz mehr. Der Minister ließ keinen Zweifel daran, dass das Projekt eine Notmaßnahme sei:
„Wir müssen handeln, bevor sich die Prozesse verselbständigen.“
Manch ein Anwohner fühlt sich nur all zu sehr an „ungarische Verhältnisse“ erinnert: Es passiert, wenn überhaupt, erst dann etwas, wenn die Missstände unverkennbar werden.
Baggern ohne eigenes Gerät
Da staatseigene Kapazitäten fehlen, sollen externe Firmen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens mit der Durchführung der Baggerarbeiten beauftragt werden. Die Ausschreibung soll bis Ende September abgeschlossen sein, danach beginnen die eigentlichen Arbeiten – sofern der Zeitplan hält.
Die letzte großangelegte Ausbaggerung des Sees liegt kaum drei Jahre zurück. 2020 bis 2022 flossen rund vier Milliarden Forint in ähnliche Projekte. Unabhängige Umweltgutachten zu deren langfristiger Wirkung liegen bislang nicht öffentlich vor. Kritiker bemängeln, dass kurzfristige Eingriffe immer wieder als Ersatz für systemische Reformen herhalten müssten – insbesondere was die Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft und den Umgang mit Hochwasser betrifft.
Ein Ausbaggern wird zwar den See entlasten, aber nicht langfristig Ungarns in vielen Bereichen widersprüchliche Emissionspolitik lösen: Es gilt eine Lösung für die Emissionen der Landwirtschaft zu finden, der Ballaton-Tourismus ist bedroht.
Interessen zwischen Badegästen und Bewohnern
Der Vorsitzende des Balaton-Verbands, Róbert Pali, unterstrich die Dringlichkeit des Vorhabens. Seine Organisation vertritt 93 Gemeinden rund um den See, insgesamt etwa 270.000 Einwohner – eine Zahl, die während der Feriensaison um ein Vielfaches überschritten wird. Die touristische Übernutzung habe zu einer dauerhaften Belastung geführt, auf die man mit „wissenschaftlich fundierter, aber entschlossener Politik“ reagieren müsse.
„Es geht nicht nur um Strände oder Molen“, so Pali, „sondern um den gesamten westlichen Balaton, der besonders gefährdet ist.“
Er kündigte an, der Verband werde künftig verstärkt Daten aus lokalen Beobachtungen und Forschungsprojekten aufbereiten, um Entscheidungsträger auf nationaler Ebene gezielter informieren zu können.
Der Balaton – Ungarns sensibles Binnenmeer
Der Balaton ist mit rund 594 km² Fläche der größte Binnensee Mitteleuropas. Er erstreckt sich etwa 80 Kilometer in Ost-West-Richtung und ist an seiner breitesten Stelle rund 14 Kilometer weit. Die mittlere Tiefe beträgt lediglich drei Meter, im südlichen Bereich oft sogar unter zwei. Diese geringe Tiefe macht den See besonders anfällig für klimatische und ökologische Schwankungen. Das Einzugsgebiet des Sees umfasst etwa 5.200 km² und erstreckt sich über weite Teile Westungarns. Rund 200 Zuflüsse speisen den See, wobei der Zala-Fluss im Westen als größter Einleiter gilt. Der einzige natürliche Abfluss ist der Sió-Kanal.
Ökologisch gilt der Balaton als Flachsee mit hohem biologischen Potenzial, jedoch zugleich als empfindlich gegenüber Eutrophierung. Bereits in den 1980er Jahren kam es infolge hoher Phosphatbelastung zu einer kritischen Algenblüte, die Maßnahmen zur Abwasserbehandlung und Gewässerpflege nach sich zog. Touristisch ist der Balaton von enormer Bedeutung. Der See ist nicht nur Sommerziel, sondern auch Zuzugsort für Budapester Mittelschichten – mit spürbarem Druck auf das ökologische Gleichgewicht. Eine Vertiefung ist eine logische Schutzmaßnahme.
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