Trotz eines wachsenden Bedarfs an Mehrsprachigkeit in Europa versinkt Ungarn zunehmend in einer alarmierenden Sprachlosigkeit. Neue Zahlen belegen nicht nur den dramatischen Rückgang der Sprachprüfungen, sondern zeigen auch, wie politische Entscheidungen und strukturelle Versäumnisse eine ohnehin fragile Lage weiter verschärfen.
Der drastische Einbruch bei Sprachprüfungen in Ungarn ist mehr als eine statistische Randnotiz. Er offenbart ein tieferliegendes Versagen in der Bildungspolitik und dokumentiert die Isolationstendenzen eines Landes, das sich zunehmend selbst vom europäischen Standard entfernt.
Sprachprüfungen im freien Fall
Die aktuellen Daten des Bildungsamtes (Oktatási Hivatal) zeichnen ein ernüchterndes Bild: Im Jahr 2024 wagten sich lediglich 58.969 Personen an eine staatlich anerkannte Sprachprüfung – ein Absturz gegenüber den 124.500 Prüfungsantritten des Jahres 2019. Besonders dramatisch ist der Rückgang bei Sprachen wie Deutsch (-64 Prozent) oder Spanisch (-60 Prozent). Selbst bei Englisch, dem dominierenden Prüfungsfach, verzeichnete man einen Rückgang von rund 50 % gegenüber 2015.
Ein Jahrzehnt, das Ungarn von einer mühsam aufgebauten Mehrsprachigkeitskultur wieder zurück auf provinzielles Niveau geführt hat. Was die besonders kulturell wichtige und weitverbreitete Sprache Deutsch betrifft, so kann man traurig anführen, dass dem Pester Lloyd die ungarischen LeserInnen abhandenkommen.
Politische Fehlentscheidungen mit Langzeitfolgen
Als Hauptgrund für die Entwicklung gilt die Entscheidung der Regierung Orbán, im Jahr 2022 die Pflicht zur Vorlage eines Sprachzertifikats für Hochschulabschlüsse abzuschaffen. Bereits die pandemiebedingte Amnestie 2020 hatte den Trend verschärft. Der Verzicht auf Anforderungen mag kurzfristig Studienabschlüsse erleichtert haben – langfristig aber zerstört er das Fundament für internationale Wettbewerbsfähigkeit und kulturelle Offenheit.
Während andere Länder den frühen und intensiven Fremdsprachenerwerb forcieren, setzt Ungarn auf nationale Abschottung und sprachliche Selbstgenügsamkeit. Es mutet zynisch an, aber wer nur Ungarisch und etwas Englisch spricht der kann auch kein Opfer von „fremdländischen Interessen“ werden, denn die Medienlandschaft Ungarns ist mehr oder minder gleichgeschaltet. Über die systematische Volksverdummung der FIDESZ hat der PL in der Vergangenheit oft und ausführlich berichtet.
Zahlen, die sprechen
Jahr | Anzahl Sprachprüfungen (insgesamt) | Englischprüfungen | Deutschprüfungen | Erfolgsquote |
---|---|---|---|---|
2015 | 134.996 | 96.615 | ca. 20.000 | – |
2019 | 124.500 | – | – | – |
2023 | 66.000 | – | – | – |
2024 | 58.969 | 49.109 | 7.760 | 79% |
Quelle: Oktatási Hivatal / eigene Aufbereitung
Dabei liegt der Anteil erfolgreicher Prüfungen immerhin bei knapp 80 Prozent. Klingt gut, aber was heißt dass wenn die absolute Zahl massiv gesunken ist?
Bildungsversagen auf mehreren Ebenen
Besonders alarmierend sind die Entwicklungen unter Studierenden. Innerhalb von nur vier Jahren (2019–2023) brach die Zahl erfolgreicher Sprachprüfungen bei den 20-24-Jährigen um 55 Prozent ein, bei den 25-29-Jährigen sogar um 78,5 Prozent. Gerade jene Altersgruppen, die später als Fachkräfte im internationalen Umfeld agieren müssten, verlieren systematisch ihre sprachlichen Werkzeuge.
Noch dramatischer stellt sich die Lage dar, wenn man auf weniger verbreitete Sprachen blickt: Prüfungen in Französisch, Spanisch oder Italienisch erreichen nicht einmal mehr vierstellige Teilnehmerzahlen. Für Sprachen wie Portugiesisch, Rumänisch oder Slowakisch sind die Zahlen de facto auf Null gesunken.
Internationale Vergleiche: Ungarn als Schlusslicht
Laut Eurostat sprachen 2022 rund 51,3 Prozent der ungarischen Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren keine einzige Fremdsprache – der zweitschlechteste Wert innerhalb der EU, nur minimal besser als Bulgarien. Zwar verzeichnete man gegenüber 2016 eine geringe Verbesserung (6 Prozentpunkte), doch im europäischen Vergleich bleibt Ungarn abgeschlagen.
- EU-Durchschnitt (mindestens eine Fremdsprache, 2024): 37,6 Prozent
- Ungarn (2024): 30,6 Prozent
- Ungarn (zwei Fremdsprachen, 2024): 14,2 Prozent (EU-Durchschnitt: 24,7 Prozent)
Strukturelle Probleme im Bildungswesen
Während Länder wie Luxemburg bereits in der Grundschule auf den Erwerb mehrerer Fremdsprachen setzen (80 Prozent der Schüler lernen zwei oder mehr Sprachen), verharrt Ungarn auf erbärmlichen 3 Prozent. Auch wenn im Gymnasium der Anteil der Schüler, die zwei oder mehr Sprachen lernen, auf etwa 80 Prozent gestiegen ist, bleibt der qualitative Unterschied zu westeuropäischen Ländern eklatant.
Eine nachhaltige Sprachstrategie fehlt völlig. Sprachunterricht bleibt auf Englisch fixiert, alternative Sprachen vegetieren dahin – eben auch kulturell wichtige wie Deutsch. Schließlich liegt Ungarn im Zentrum Europas und an einer Schnittstelle von Sprach- und Kulturregionen. Ohne systematische Förderung ab dem Kindesalter wird sich Ungarn weiterhin selbst vom europäischen und damit auch vom globalen Austausch abkoppeln.
Ein Land in freiwilliger Isolation
Der dramatische Rückgang bei Sprachprüfungen ist letztlich Symptom einer größeren Misere: eines Ungarns, das den europäischen Anschluss immer weniger sucht und sich zunehmend selbst genügt – oder darin zumindest politisch bestärkt wird. Aktuell jedenfalls bleibt Ungarn ein Beispiel dafür, wie nationale Bildungspolitik ein Land nachhaltig sprachlos machen kann.
In meiner Kleinstadt (Körmend), in der oesterreichischen Grenznaehe, sind die Einheimischen darauf stolz, dass sie ein paar Brocken Deutsch hervorbringen koennen, wenn sie sich im Gespraech mit einem Auslaender finden. (Ich bin Amerikaner, ein bisschen verblueffend war bei meinen ersten solchen Begegnungen dieser Tick, sieht man mir eben nicht an, dass ich kein Oesterreicher bin ? ! , aber immerhin.) Die Versueche, sich als weltoffen sowie gastfreundlich vorzustellen, sind liebenswuerdig. * * * Interessant waere vielleicht, unsereins mit denen aus Nyiregyháza zu vergleichen, da diese wohl Wenigeres mit Deutschsprachigen zu tun haben. Ist eine geografisch differenzierte Analyse der „Sprachlosigkeit“ vorhanden ?