Budapest. Am Sonntag protestierten laut Veranstaltern über 40.000 Menschen in Budapest gegen das sogenannte „Transparenzgesetz“, das aus Sicht vieler Kritiker die ungarische Zivilgesellschaft existenziell bedroht. Die Kundgebung auf dem Kossuth tér war nicht nur ein lauter Aufschrei gegen ein autoritäres Gesetzesvorhaben, sondern ein breites gesellschaftliches Bekenntnis zu demokratischen Grundwerten.
Ein Gesetz zur Einschüchterung
Ausgangspunkt der Proteste war der Gesetzesentwurf von Fidesz-Abgeordnetem Halász János, der es der Regierung ermöglichen würde, Organisationen mit ausländischer Förderung, die „Einfluss auf das öffentliche Leben“ nehmen, zu registrieren, zu sanktionieren und im Extremfall zu verbieten. Die Durchsetzung soll durch das eigens dafür geschaffene „Amt für den Schutz der Souveränität“ erfolgen – ein Konstrukt, das in Aufbau und Zielsetzung an russische Vorbild erinnert. Die Repression träfe nicht nur NGOs, sondern auch Medienhäuser und Einzelpersonen.
Vom Protest zur Bewegung
Die Demonstration begann mit einem spontanen Marsch vom Blaha Lujza tér zum Parlament. Auf dem Kossuth tér sprachen in der Folge zahlreiche bekannte Aktivistinnen und Aktivisten, Künstler und Meinungsmacher – viele von ihnen bereits durch frühere regimekritische Aktionen bekannt.
So etwa Pankotai Lili, die betonte:
„Ez a rendszer nem megvéd, hanem felügyel.“
„Dieses System schützt nicht – es überwacht.“
Takács Lara, Mitglied der Schüler*innenbewegung ADOM, warnte:
„Ha nincs szabad sajtó, akkor szavazni sem tudunk őszintén.“
„Ohne freie Presse gibt es keine ehrlichen Wahlen.“
Auch Hodász András, katholischer Priester, wurde deutlich:
„Ez a törvény a fekete autó.“
„Dieses Gesetz ist der schwarze Wagen“ – eine deutliche Anspielung auf stalinistische Verhaftungspraktiken.
12 Punkte für eine demokratische Ungarn
Gegen 19:30 präsentierten die Organisatoren symbolisch ein 12-Punkte-Programm – in bewusster Anlehnung an die Märzforderungen von 1848. Die Liste fordert unter anderem: freie Presse, unabhängige Justiz, soziale Grundrechte, eine demokratisch legitimierte Verfassung, transparente Mittelverwendung und das Ende der repressiven Gesetzgebung per Dekret.
„12 pont érted, értünk“ – „12 Punkte für dich, für uns“, hieß es auf der Bühne.
Von Angst zu Hoffnung
Immer wieder wurde in den Redebeiträgen die Angst vor Überwachung und Zensur thematisiert – mindestens ebenso oft Hoffnung und Handlungswille. So sagte Osváth Zsolt, Influencer und Opfer einer medialen Hetzkampagne:
„Aki fél, az sok mindenre képes. De mi nem félünk.“
„Wer Angst hat, ist zu vielem fähig – aber wir haben keine Angst.“
Lengyel Tamás, Schauspieler, forderte:
„Győzz meg egy embert, aki 2022-ben nem szavazott, hogy 2026-ban menjen el!“
„Überzeuge eine Person, die 2022 nicht gewählt hat, 2026 ihre Stimme abzugeben.“
Ein ziviler Schulterschluss
Von Jugendlichen bis Rentnern, von NGOs bis zu bekannten Medienfiguren – die Demonstration war ein Querschnitt der ungarischen Gesellschaft jenseits parteipolitischer Zugehörigkeit. Der Tenor: Es reicht. Das Gesetz sei keine Einzelmaßnahme, sondern Teil eines schleichenden, autoritären Umbaus, der das Fundament von Pluralismus und Demokratie zerstöre.
Móra Veronika von der Ökotárs-Stiftung brachte es auf den Punkt:
„Magyarország a hazánk. Hiába van sokféle hangunk – ezt akarja eltörölni ez a törvény.“
„Ungarn ist unsere Heimat. Auch wenn wir viele Stimmen sind – dieses Gesetz will sie zum Schweigen bringen.“
Ausblick: Kein Ende, sondern ein Anfang?
Zum Abschluss sang die Menge gemeinsam die Nationalhymne – im einsetzenden Regen, doch ohne Resignation. Organisator Racskó Ádám kündigte an, dies sei nur der Anfang:
„A tüntetést lezárjuk – de még nem köszönünk el, mert úgyis találkozunk.“
„Die Demonstration endet – aber wir verabschieden uns nicht. Wir sehen uns wieder.“
Anhang: Die 12 Forderungen der Demonstranten
- Freie Presse
- Unabhängige Justiz
- Eine vom Volk legitimierte Verfassung
- Freier Zugang zu Bildung
- Hochwertige Gesundheitsversorgung
- Wohnraum für alle
- Starker Sozialstaat
- Faire Wahlen
- Gesetze statt Dekrete
- Öffentliche Gelder im öffentlichen Interesse
- Schutz des Rechtsstaats
- Akzeptanz statt Hetze
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