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Orbáns Spionage Skandal: Der Feind steht überall - Ukraine

Budapest/Kyiv/Brüsssel. Nach dem außerplanmäßigen Verteidigungsrat in Budapest inszeniert die Regierung unter Viktor Orbán eine beispiellose Verschwörungsrhetorik: Die Ukraine soll gemeinsam mit der EU und der Tisza-Partei an einem Komplott gegen Ungarn beteiligt sein.


Der Verteidigungsrat als Bühne

Am Dienstagmittag trat der Nationale Verteidigungsrat Ungarns zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Der Grund: angeblich „beispiellose“ Spionageaktivitäten fremder Dienste gegen Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orbán nutzte die Gelegenheit für ein dramatisches Video auf Facebook, in dem er der Ukraine eine koordinierte „Schmutzkampagne“ gegen Ungarn vorwirft. Ziel sei es, den Volksentscheid über eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine zu torpedieren – den Orbán und seine Regierung im Rahmen des sogenannten Voks 2025 durchführen wollen.

In einer gewohnt nebulösen Darstellung suggerierte Orbán, die ukrainischen Dienste würden dabei mit ungarischen Oppositionskräften kooperieren – gemeint, wenn auch nicht namentlich genannt, ist die aufstrebende Tisza-Partei unter Péter Magyar.

Kontext: Die TISZA-Brüssel Verschwörung

Die Erzählung vom inneren Verräter

„Seit Menschengedenken hat es das nicht gegeben“, posaunte Orbán und sprach von einer aktiven Beteiligung einer ungarischen Partei an einer ausländischen Geheimdienstoperation. Dabei gehe es um Angriffe „auf die ungarischen Verteidigungskräfte“, initiiert „aus Kiew“. Magyar, Vorsitzender der Tisza-Partei und aktueller politischer Gegenspieler Orbáns, reagierte umgehend: Er warf dem Premierminister vor, die Geheimdienste für eine politische Kampagne zu instrumentalisieren und kündigte eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs und staatsgefährdender Desinformation an.

In einem symbolisch aufgeladenen Schritt kündigte Magyar an, am Mittwoch zu Fuß von Budapest nach Oradea zu marschieren – ein Marsch gegen die „Angstherrschaft“, wie er es nannte.

Chronic: Ungarns Schatten in Transkarpatien – Spionagevorwürfe eskalieren bilateralen Konflikt mit der Ukraine

Eskalation auf diplomatischer Bühne

Die Verhaftung zweier ungarischer Staatsbürger in der Ukraine wegen Spionage wurde in Budapest als gezielte Provokation aufgefasst. Das ungarische Außenministerium reagierte mit der Ausweisung zweier ukrainischer Diplomaten, woraufhin Kiew umgehend mit dem gleichen Schritt konterte. Angeblich hätten die Inhaftierten als Informanten der ungarischen Militärgeheimdienste agiert.

Teile der ungarischen Presse, insbesondere das regierungsnahe Portal index.hu, sprechen offen von Drohnenüberflügen in der Tokajer Region, die angeblich aus der Ukraine stammen. Konkrete Beweise wurden bislang jedoch nicht vorgelegt.

Die Spin-Architektur der Regierung

Was bleibt, ist eine bemerkenswerte Verdichtung altbekannter Erzählmuster: Brüssel, Opposition und Ukraine bilden in Orbáns Darstellung ein orchestriertes Ensemble von „Feinden Ungarns“. Die Verteidigungsrat-Sitzung erscheint rückblickend nicht als Reaktion auf Ereignisse, sondern als aus dem Hut gezauberte Inszenierung. Dass der Premierminister am selben Tag mit vorgefertigtem Videomaterial auftritt und Bildmontagen von Tisza-Funktionären präsentiert, zeig einen abgestimmten Spin.

Zentraler Bezugspunkt ist dabei die Volksbefragung Voks 2025, mit der Orbán seine Ablehnung eines ukrainischen EU-Beitritts demokratisch legitimieren möchte. Laut Außenminister Péter Szijjártó drohe bei einer Integration der Ukraine eine „Flutung des Arbeitsmarkts“ durch billige Arbeitskräfte und ein „Einfallstor der ukrainischen Mafia“. Die rhetorische Eskalation kennt keine Grautöne – es geht um ein Bedrohungsszenario existentieller Größe.

Kontext: Wahlkampf, Geheimdienste und die Fidesz-Strategie

Der aktuelle Vorgang steht in einer Linie mit früheren Versuchen der Regierung, innenpolitische Gegner durch Sicherheitsdiskurse zu marginalisieren. Bereits 2018 wurden Journalisten und NGO-Mitarbeiter unter dem Vorwurf der „Soros-Verschwörung“ öffentlich denunziert. Auch die jetzt kolportierten Spionagevorwürfe reihen sich in eine Logik ein, bei der politische Opposition nicht als legitimer Mitbewerber, sondern als Sicherheitsrisiko geframet wird.

Mit Péter Magyar als charismatischem Herausforderer hat Fidesz erstmals seit Jahren wieder einen ernsthaften Gegenspieler. Die strategische Antwort ist eindeutig: diskreditieren, kriminalisieren, delegitimieren.

Die Konstruktion einer allumfassenden Bedrohungslage – außenpolitisch durch die Ukraine, innenpolitisch durch die Tisza-Partei – folgt einem bekannten Muster autoritärer Herrschaftsstabilisierung. Dabei wird der Staatsschutz zur PR-Maschine und der Verteidigungsrat zum Bühnenbild.


Zitate

„Er hätte nicht ein Facebook-Video machen sollen, sondern eine Anzeige erstatten müssen.“
– Péter Magyar, Vorsitzender der Tisza-Partei

„Wenn Sie die Chronologie der letzten fünf Tage betrachten, muss man sehr naiv sein, um an Zufälle zu glauben.“

„Das sollte als ukrainische Propaganda und deshalb mit der nötigen Vorsicht behandelt werden.“
– Péter Szijjártó, Außenminister, Fidesz

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