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„Frontlinien“ – Christian Wehrschütz über den Krieg und die Kunst, neutral zu bleiben - Buchvorstellung

Graz/Wien. Mit „Frontlinien“ legt der langjährige ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz eine persönliche, zugleich nüchtern erzählte Chronik von 25 Jahren Kriegsberichterstattung vor. Ein Buch, das nicht nur informiert, sondern Haltung zeigt – gegen die Verflachung durch Lagerdenken.

Christian Wehrschütz ist vieles: Slawist, Reserveoffizier, Jurist, Balkan-Kenner, diplomatisch geschulter Beobachter, brillanter Erzähler – aber vor allem eines: ein unermüdlicher Journalist. Seit Jahrzehnten berichtet er aus jenen Regionen Europas, die der Westen zu oft nur durch die Linse geopolitischer Interessen wahrnimmt. Sein neues Buch „Frontlinien“ ist ein intimer Blick zurück auf ein Berufsleben, das geprägt ist vom Versuch, mitten im Lärm der Waffen die Zwischentöne zu hören – und zu vermitteln.

In einer Zeit, in der Medien allzu rasch in Narrative von Gut und Böse verfallen, bleibt Wehrschütz einer der letzten großen Neutralitätsfanatiker. Seine Berichte aus der Ukraine, dem Balkan, aus Russland oder Transnistrien folgen keiner Parteilinie, sondern dem unbedingten Willen, zu verstehen. Und: zu erklären, „wie es eigentlich gewesen ist“, wie es Leopold von Ranke einst forderte.

Modular, zugänglich, eindringlich

„Frontlinien“ ist kein durchkomponiertes Epos. Das Buch ist modular aufgebaut, in essayistische Kapitel gegliedert, die man unabhängig voneinander lesen kann – und genau das ist seine Stärke. Es ist kein trockener Bericht aus dem akademischen Elfenbeinturm, sondern ein Werk, das sich auch Lesern ohne Vorkenntnisse erschließt. Mit klarer Sprache, persönlichen (oft mit Gänsehaut – Stichwort „Zweiter Geburtstag“) Anekdoten und historischer Tiefenschärfe spannt Wehrschütz den Bogen von Lenin bis zum Maidan, von Donezk bis Pristina.

Schon der Einstieg macht deutlich, worum es dem Autor geht: historische Kontinuitäten sichtbar zu machen, ohne sie ideologisch auszuschlachten. Dass Lenin, ausgerechnet, der Ukraine zur Nationwerdung verhalf – ein Gedanke, der in Donezk kaum goutiert wird -, ist für Wehrschütz keine Provokation, sondern analytischer Ausgangspunkt.

Zwischen den Blöcken

Wehrschütz sieht die neue Blockbildung mit Sorge. Als Großvater denkt er an die Zukunft seiner Enkel – und spricht sich nachdrücklich gegen die „Militarisierung des Diskurses“ aus, wie er es nennt. Es sei ein gefährlicher Irrweg, glaubt er, wenn Diplomatie durch Drohkulissen ersetzt werde. Die Sprachlosigkeit zwischen Ost und West, die Rigidität der Lager, die absichtsvoll gepflegten Feindbilder – all das diagnostiziert Wehrschütz mit wachsender Skepsis.

Dabei schöpft er nicht aus zweiter Hand: Kaum ein anderer Journalist war so konstant vor Ort, sei es auf dem Maidan oder in den serbischen Enklaven des Kosovo. Seine Gesprächspartner reichen von ukrainischen Präsidenten bis zu Oligarchen, von NATO-Generälen bis zu einfachen Soldaten. Ihm wurde zugehört – gerade weil er zuhört.

Abschied eines Unabhängigen

Im kommenden Jahr wird Christian Wehrschütz in den Ruhestand treten. „Eine wohlverdiente Pause“, sagt er selbst, wohl wissend, dass ihn seine Konfliktregionen nicht ganz loslassen werden. Er wolle sich künftig nicht mehr zu allem äußern müssen – ein Luxus, den er sich redlich verdient hat.

„Frontlinien“ ist kein Schlusswort, aber ein Zwischenruf. Ein Zeugnis eines Lebens an den Rändern Europas, in den Grauzonen zwischen Demokratie und Despotie, zwischen Hoffnung und Ernüchterung. Es ist ein leises, kluges Buch – und ein Vermächtnis gegen die Verflachung.

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Quellen: Christian Wehrschütz „Frontlinien“, ORF, Interviewmaterial
Photo: ORF

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