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Käferbefall: Abtei Pannonhalma ringt um Europas Büchererbe

Die Benediktinerabtei von Pannonhalma sieht sich einer stillen, aber zerstörerischen Bedrohung gegenüber: Ein massiver Käferbefall gefährdet rund 100.000 historische Bücher. Klimaforscher und Restauratoren schlagen Alarm – der Fall könnte zum Menetekel für Europas Kulturgüter werden.

Pannonhalma. Hoch über der nordwestungarischen Landschaft thront die Erzabtei Pannonhalma – ein Monument der europäischen Kulturgeschichte. Seit über 1.000 Jahren sammeln, bewahren und vermitteln hier Benediktinermönche Wissen. Doch nun droht ein unerwarteter Feind, das Vermächtnis von Jahrhunderten zu vernichten: Stegobium paniceum, gemeinhin als Brotkäfer bekannt, hat sich tief in die Regale der Klosterbibliothek gefressen.

„Es ist ein fortgeschrittener Befall“, sagt Chefrestauratorin Zsófia Edit Hajdu. „Wir mussten die gesamte Sammlung als gefährdet einstufen.“ Etwa 100.000 Bücher – ein Viertel des Gesamtbestandes – werden derzeit ausgehoben, verpackt und in luftdichte Kunststoffsäcke eingeschweißt, um sie in einer sauerstofffreien Stickstoffumgebung zu dekontaminieren. Der Prozess dauert sechs Wochen pro Einheit, begleitet von manueller Reinigung und Sichtung.

Zwischen Kornspeicher und Klosterbibliothek

Der sogenannte Brotkäfer gilt als Vorratsschädling. Er befällt typischerweise getrocknete Lebensmittel wie Mehl und Gewürze – doch seine Vorliebe für Gelatine- und Stärkeleime macht ihn zur Gefahr für historische Buchbestände. Sichtbar wird der Befall durch feine Bohrlöcher in Buchrücken und Seiten. Ein Anblick, der Direktorin Ilona Ásványi schmerzt: „Auch wenn ein Buch vielfach nachgedruckt wurde – wenn ein Exemplar zerstört wird, ist das ein kultureller Verlust.“

Die Bibliothek beherbergt unter anderem:

  • 19 mittelalterliche Codices, darunter eine vollständige Bibel aus dem 13. Jahrhundert
  • mehrere hundert Handschriften aus der Zeit vor Gutenbergs Buchdruck
  • zehntausende Werke aus dem 16. Jahrhundert

Die ältesten und wertvollsten Bücher sind in gesonderten Klimakammern gelagert und bislang nicht betroffen wenngleich das Risiko bestehen bleibt.

Klimawandel als Brandbeschleuniger

Die Restauratorin Hajdu sieht im Schädlingsbefall auch eine Folge des globalen Temperaturanstiegs. „In wärmerem Klima durchlaufen die Käfer mehrere Entwicklungszyklen pro Jahr – das gab es früher so nicht.“ Studien des europäischen Copernicus Climate Change Service belegen: Europa erwärmt sich mehr als doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt – um etwa 2,4 °C seit der vorindustriellen Zeit. Nur die Arktis erwärmt sich noch schneller.

Ungarn gehört zu den Regionen mit besonders starkem Erwärmungstrend – eine schlechte Nachricht für Archive, Museen und Bibliotheken.

Reiche Geschichte Pannonhalmas

Die Erzabtei Pannonhalma wurde 996 gegründet, vier Jahre vor dem Königreich Ungarn. Sie überstand mongolische Reitervölker, osmanische Truppen, zwei Weltkriege und den Kommunismus. Jetzt kämpft sie gegen ein Insekt – und gegen die Gleichgültigkeit gegenüber dem drohenden Verlust europäischen Kulturerbes.

„In der Benediktinerregel heißt es, der Besitz des Klosters sei wie das heilige Altargefäß zu behandeln“, so Ásványi. „Wir tragen die Verantwortung für dieses Erbe – nicht nur für Ungarn, sondern für ganz Europa.“

Die Wiedereröffnung der Bibliothek ist für Anfang 2026 geplant. Bis dahin arbeiten Restauratorenteams im Akkord – unterstützt von Mönchen, Forschern und freiwilligen Helfern.

Warnung vor dem Verlust antiker Kulturgüter weltweit

Was sich in Pannonhalma abspielt, ist kein Einzelfall. Experten rechnen damit, dass ähnliche Schadensbilder bald auch in anderen historischen Sammlungen der Welt auftreten werden – vor allem dort, wo steigende Temperaturen auf unzureichend klimatisierte Depots treffen.

Der Klimawandel – mitunter heutzutage auch Klimakatastrophe genannt – ist nicht nur eine Frage von Wetterextremen, wie sie immer gehäufter Auftreten. Er nagt auch leise, systematisch, unwiederbringlich an den Fundamenten unserer kulturellen Identität.

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