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Rubel, Rüstung, Rezession – Wie lange hält Russlands Kriegsökonomie noch durch? - Analyse

Haushaltsdefizit, schwindende Reserven und eskalierende Inflation – das wirtschaftliche Fundament des Kremls gerät unter wachsendem Druck. 2026 droht das Ende eines Systems zu werden, das sich selbst überhitzt.

Moskau. Im dritten Kriegsjahr hat sich die russische Wirtschaft vollends auf Kriegsmodus eingestellt, mit allen negativen Konsequenzen. Die Staatsausgaben explodieren, die Einnahmen stagnieren, der Rubel steht unter Dauerstress. Die letzten Reserven werden aufgebraucht, während neue Steuerbelastungen und Versorgungsengpässe die Binnenwirtschaft lähmen. Die Frage ist nicht mehr, ob das Modell durchhält – sondern wie lange.

Der Nationale Wohlstandsfonds (NWF), einst Finanzpuffer und und stolze Reserve der russischen Föderation, ist weitgehend erschöpft. Von ursprünglich rund 210 Milliarden US-Dollar sind nur noch rund 49 Milliarden als liquide Mittel verfügbar. Parallel schießt das Haushaltsdefizit in die Höhe: bis Ende August 2025 betrug es bereits über zwei Prozent des BIP. Bis Jahresende dürfte es mehr als 9 Billionen Rubel erreichen, ein Rekordwert. Die Finanzierungslücken füllt der Kreml notdürftig mit Rubel-Anleihen zu zweistelligen Zinssätzen, während Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit inzwischen mehr als 40 Prozent des Haushalts verschlingen.

Die Struktur der Einnahmenseite ist fragil. Trotz stabiler Ölförderung brechen Russland durch westliche Sanktionen, Preisdeckel und Transportrestriktionen zentrale Exportmargen weg. Der Versuch, die entfallenen Einnahmen durch Schattenflottenverkäufe auf intransparente Kanäle zu verlagern, verliert an Wirksamkeit – mehr als 400 der genutzten Tanker sind inzwischen von neuen Sanktionspaketen betroffen. Reedereien wie Sovcomflot verzeichnen erstmals operative Verluste.

Kriegsschäden

Zugleich bringt die Ukraine mit Drohnenangriffen gezielt die russische Energieinfrastruktur ins Wanken. Allein in den ersten Monaten 2025 wurden mehr als ein Drittel der russischen Raffinerien zumindest temporär außer Betrieb gesetzt. Der Ausfall von bis zu einer Million Barrel Raffineriekapazität täglich wirkt sich direkt auf den Binnenmarkt aus: Dieselpreise sind in vielen Regionen um mehr als 30 Prozent gestiegen. Auch die Landwirtschaft leidet – nicht nur unter gestiegenen Transportkosten, sondern unter Inflation bei Saatgut, Düngemitteln und Lebensmitteln. Die Verbraucherpreise für Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln sind regional um 20 bis 30 Prozent gestiegen. Die ländliche Bevölkerung trägt die Hauptlast – dieselbe, die auch den Großteil der Soldaten stellt.

Finanzierung auf Biegen und Brechen

Die staatliche Reaktion auf die Fiskalkrise: Steuererhöhungen. Ab 2026 soll die Mehrwertsteuer von 20 auf 22 Prozent steigen. Eine Maßnahme, die über 1,3 Billionen Rubel an Mehreinnahmen bringen soll aber zugleich den Konsum weiter dämpfen wird. Kleine Unternehmen verlieren durch neue Schwellenwerte ihren steuerlichen Sonderstatus, was ihre operative Existenz akut gefährdet. Der wirtschaftliche Spielraum für Binnenentwicklung schrumpft weiter.

Die russische Zentralbank versucht unterdessen, die Inflation mit einer Leitzinspolitik von über 20 Prozent einzufangen. Der Preis: Investitionsstau, Kreditklemme, Konsumrückgang. Die offiziellen Inflationszahlen liegen bei nahezu 10 Prozent – in vielen Haushalten liegt die reale Teuerung deutlich darüber. Der Rubel steht weiterhin unter Druck, trotz Stützungskäufen durch Devisenreserven. Sollten Ölpreise weiter sinken – zuletzt fiel Brent unter 70 Dollar -, drohen zusätzliche Löcher in der Haushaltsplanung. Jeder Rückgang um zehn Dollar bedeutet Einnahmeverluste von über 1,6 Billionen Rubel, also mehr als die Mehrwertsteuerreform einbringt.

Die Folgen sind absehbar: Die Belastbarkeit des russischen Finanzsystems erreicht ihre Grenzen. Ohne neue externe Finanzierungsquellen – die China bislang nur unter harten Bedingungen gewährt – bleibt Moskau nur der Rückgriff auf monetäre Staatsfinanzierung. Ein Szenario, das schnell in eine Währungs- und Vertrauenskrise führen könnte. Die Alternative, eine drastische Reduktion der Kriegsausgaben, steht politisch nicht zur Debatte.

Genau diese Entscheidungen könnten sich in den kommenden zwölf Monaten erzwingen. Denn während der Kreml auf Dauerkrieg setzt, erodiert im Inneren das Fundament: Realeinkommen sinken, soziale Spannungen nehmen zu, Regionen melden Haushaltsengpässe.

Faule Zwangskredite

Ein besonders brisantes Element der russischen Schuldenproblematik ergibt sich aus der Zwangsfinanzierung der Rüstungsindustrie durch staatlich verordnete Kreditvergabe. In einem zunehmend ausgehöhlten Finanzsystem werden Großbanken wie Sberbank, VTB oder Gazprombank dazu verpflichtet, milliardenschwere Darlehen an staatliche Rüstungsunternehmen wie Rostec, Kalaschnikow oder Almaz-Antej zu vergeben – oftmals unterhalb des Marktzinses, meist ohne klare Aussicht auf Rückzahlung. Die Folge ist eine stille Vergiftung der Bankbilanzen, die sich in wachsender Kreditrisikovorsorge und abnehmender Kreditqualität niederschlägt. Externe Analysen der Zahlen der Zentralbank legen nahe, dass mehr als 20 % der Kredite im ersten Halbjahr 2025 an Unternehmen der militärisch-industriellen Sphäre flossen – ohne Kreditwürdigkeit oder transparente Rückzahlungsstruktur – diese Gelder sind als faule Kredite zu bewerten. Damit entsteht ein gigantischer Schattenhaushalt außerhalb des offiziellen Budgets, dessen Last langfristig entweder den Steuerzahlern oder den Banken selbst aufgebürdet wird. Zugleich gibt es dadurch eine Kreditklemme für zivile Sektoren, insbesondere im Mittelstand, der sich zunehmend aus dem Finanzierungsraum verdrängt sieht – Zinssätze jenseits der 25% sind selbst für Gutverdiener und hochprofitable Unternehmen unleistbar.

Die militärische Schuldenausweitung gleicht einem fiskalischen Brandbeschleuniger, der das russische Finanzsystem überdehnt und strukturell deformiert.

Die fiskalische Resilienz des Systems ist weitgehend aufgebraucht. Bleibt der Kurs unverändert, droht Russland 2026 eine Währungs-, Haushalts- und Inflationskrise in einer Kombination, die das System Putin erstmalig ernsthaft destabilisieren könnte – und endlich Frieden für die Ukraine bringen kann.

Infobox: Russland im Kriegsmodus – Zentrale Kennzahlen im Halbjahresvergleich

ZeitraumGefallene Soldaten*NWF – liquide Reserven
(in Mrd. USD)
Inflation
(offiziell)
Leitzins
CBR
Haushaltsdefizit
(kumuliert, Mrd. USD)
Januar 2023ca. 120.00015511,8 %7,5 %
Juli 2023ca. 145.0001436,6 %8,5 %12,3
Januar 2024ca. 170.0001307,4 %16 %32,1
Juli 2024ca. 195.000978,3 %20 %55,8
Januar 2025ca. 223.000679,7 %21 %72,4
Juli 2025ca. 245.0005210,5 %21 %98,6
September 2025ca. 255.0004911,1 %20,5 %>110

*Schätzungen basierend auf westlichen Nachrichtendiensten und unabhängigen Quellen. Offizielle russische Angaben bleiben unberücksichtigt.


Quellen:
Russian Ministry of Finance, Haushaltsberichte 2024-2025
IEA: Oil Market Report, August 2025
Kyiv School of Economics: Sanctions Tracker & Chartbook, Mai-August 2025
Reuters, September 2025: Berichte zu Haushaltsdefizit, Zinspolitik, Steuerplänen
The Moscow Times: Artikel zur NWF-Entwicklung, Dieselpreise, Inflation
Carnegie Endowment, Russland-Briefings 2025
Meduza: Steuerreformen und Schattenflottenanalysen
Everymansci.com: Is Russia headed for economic ruin in 2025?

Photo: Gazprom Hauptquartier in St. Petersburg. © Ad Meskens / Wikimedia Commons

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