Mit dem Wahlsieg des proeuropäischen Bürgermeisters von Bukarest wendet sich Rumänien gegen nationalistische Strömungen und setzt ein klares Signal für Rechtsstaatlichkeit, Westbindung und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Bukarest/Warschau/Lissabon: Der unabhängige Kandidat und Bürgermeister der Hauptstadt Bukarest, Nicuşor Dan, hat die richtungsweisende Präsidentschaftswahl in Rumänien gewonnen. Mit 54 Prozent setzte er sich gegen den rechtsextremen Herausforderer George Simion durch, der eine politische Allianz mit illiberalen Kräften in der EU angestrebt hatte. Die Wahl gilt als entscheidend für Rumäniens geopolitische Verortung und innenpolitische Stabilität und ist auch für die EU von Bedeutung.
In Polen setzte sich der zentristische Bürgermeister Warschaus im ersten Wahlgang knapp gegen seinen rechtspopulistischen Gegner durch. Am 1. Juni kommt es zu einer Stichwahl. In Portugal konnte der Mitte-Rechts-Premierminister Luís Montenegro seine Unterstützung festigen, allerdings unter den unangenehmen Zwängen einer weiteren Minderheitsregierung – ist damit auf Unterstützung der Sozialistischen Opposition angewiesen.
Ein Land auf der Kippe
Kaum eine Wahl seit dem Ende der Ceaușescu-Diktatur hatte ein vergleichbares Gewicht: Die rumänische Präsidentschaftswahl 2025 wurde von Beobachtern als „entscheidend für den postkommunistischen Kurs des Landes“ bezeichnet. Mit knapp 65 Prozent lag die Wahlbeteiligung deutlich über dem ersten Wahlgang vom 4. Mai (53 Prozent), was maßgeblich der Mobilisierung junger Wählerinnen und Wähler sowie der rumänischen Diaspora zu verdanken war – Gruppen, die sich mehrheitlich für den prowestlichen Kurs aussprachen.
Der 55-jährige Nicuşor Dan, der bereits zweimal Bürgermeister von Bukarest war und für seinen langjährigen Kampf gegen die Korruption in der Immobilienbranche bekannt ist, erhielt in der entscheidenden Stichwahl 54 Prozent der Stimmen, wie aus den von der rumänischen Wahlbehörde veröffentlichten Endergebnissen hervorgeht. Sein Gegner, der rechtsextreme George Simion, erhielt 46 Prozent.
Kampf um den Kurs des Landes
Dan, ein ehemaliger Aktivist und promovierter Mathematiker der Pariser Sorbonne, stellte den Wahlkampf bewusst als Konflikt zwischen einem „prowestlichen und einem antiwestlichen Rumänien“ dar. Er versprach nicht nur eine fortgesetzte EU-Integration, sondern auch eine gestärkte Rolle Rumäniens als Unterstützer der Ukraine, institutionelle Reformen und die Rückkehr zu einem „Dialog der Vernunft“ anstelle von nationalistischem Hass.
„Die heutige Wahl hat die unglaubliche Kraft der rumänischen Gesellschaft gezeigt“, Dan sprach am Sonntag seine Anhänger an. „Eine Gemeinschaft von Rumäninnen und Rumänen, die einen tiefgreifenden Wandel wollen, hat gewonnen.“ Gleichzeitig warnte er vor überzogenen Erwartungen: „Habt Geduld. Eine schwierige Zeit liegt vor uns – notwendig, um die wirtschaftlichen Grundlagen für eine gesunde Gesellschaft zu schaffen.“
Simion und das rechtsextreme Lager
Simion, der sich noch am Wahltag selbst zum „neuen Präsidenten“ erklärte, räumte seine Niederlage in der Nacht zu Montag ein. „Wir haben vielleicht eine Schlacht verloren, aber sicher nicht den Krieg“, ließ er auf X verlauten. Sein politischer Kurs war geprägt von EU-Skepsis, der Ablehnung weiterer Ukraine-Hilfe und einem prononcierten Kulturkampf gegen westliche Werte. Simion hatte angekündigt, im Falle seines Wahlsieges den vom Verfassungsgericht disqualifizierten Călin Georgescu – einen Moskau-nahen Nationalisten unter strafrechtlicher Untersuchung – zum Premierminister ernennen zu wollen.
Die Wahl ist ein Wiederholungsvotum: Die Präsidentschaftswahl vom November 2024 war wegen massiver Unregelmäßigkeiten – darunter illegaler Technikeinsatz mittels TikTok, mutmaßliche russische Einflussnahme und Verstöße gegen das Parteiengesetz – annulliert worden. Georgescu war damals Wahlsieger, durfte aber nicht erneut kandidieren.
Europäische Signale und internationale Reaktionen
Die Wahl fand nicht nur in Bukarest oder Brüssel Aufmerksamkeit. Auch aus Kiew kamen Glückwünsche: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gratulierte Dan zu einem „historischen Sieg“ und lobte Rumäniens verlässliche Partnerschaft in einer geopolitisch sensiblen Phase. Rumänien ist eines der wichtigsten logistischen Drehkreuze für Hilfslieferungen in die Ukraine und gilt in der Region als Stabilisator.
Präsident der EU -Kommission Ursula von der Leyen gratulierte auch Dan zu seinem Sieg:
Der Bukarester Bürgermeister ist der erste Unabhängige, der die rumänische Präsidentschaft gewinnt. Im europäischen Kontext könnte Dans Wahlsieg als Gegengewicht zur illiberalen Achse Orbán-Fico-Simion gesehen werden. Während Simion ein informelles Bündnis mit den nationalkonservativen Regierungen Ungarns und der Slowakei anstrebte, positionierte sich Dan klar gegen autokratische Tendenzen und für eine europäische Wertegemeinschaft.
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Ausblick: Institutionelle Herausforderungen und politische Koalitionen
Die rumänische Präsidentschaft ist halb-exekutiv, verfügt jedoch über erhebliche Machtbefugnisse: Der Präsident nominiert den Premierminister, kann das Parlament auflösen und hat Einfluss auf Justiz, Außen- und Sicherheitspolitik. Dans erste Herausforderung wird es sein, eine tragfähige Koalition zu ermöglichen, nachdem die vorangegangene Regierung durch das Erstarken der extremen Rechten implodierte.
In einem Land, das in den vergangenen Jahren wiederholt von politischer Instabilität, Justizkrisen und Einflussversuchen autoritärer Akteure erschüttert wurde, könnte Dans Sieg ein Wendepunkt sein – sofern es gelingt, den gesellschaftlichen Aufbruch in politische Realität umzusetzen.
Quellen: The Guardian, CNN, Reuters, Bloomberg
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