Wie Orbán aus der Akku-Industrie ein politisches Narrativ formt
Die ungarische Regierung unter Viktor Orbán präsentiert den Aufbau einer leistungsfähigen Batterieindustrie als Beweis für wirtschaftspolitische Weitsicht. Riesige Investitionen, vor allem aus China und Südkorea, werden als Zeichen einer goldenen Zukunft gefeiert. Tatsächlich aber dient die Branche zunehmend als propagandistische Projektionsfläche für eine Regierung, der wirtschaftlich wie politisch die Luft ausgeht.
Der ehemalige Premierminister Péter Medgyessy bringt es in einem Interview mit dem Portal Index.hu auf den Punkt: Die Konzentration auf Akkufabriken sei zwar technisch nachvollziehbar, aber politisch und ökonomisch einseitig. Batterien würden in der Mobilität und Energiewirtschaft eine wichtige Rolle spielen, doch eine nachhaltige Industriestrategie müsse auch Forschung, Entwicklung und eigene Technologieanbieter umfassen. In Ungarn hingegen setzt die Regierung ausschließlich auf große Montagestrukturen ausländischer Herkunft. Medgyessy fragt zu Recht: Was wäre die Alternative? Diese Frage bleibt bislang unbeantwortet.
Was im Regierungsdiskurs als wirtschaftlicher Befreiungsschlag erscheint, ist bei näherem Hinsehen Teil einer längst bekannten Abhängigkeit. Die ungarische Industrie agiert seit Jahrhunderten als Zulieferer fremder Zentren: einst der Donaumonarchie, heute der Bundesrepublik Deutschland. Ein Viertel der Exporte geht ins Nachbarland, ein Fünftel der Importe stammt von dort, ebenso ein Großteil der Direktinvestitionen. Besonders gravierend ist die Abhängigkeit vom deutschen Automobilsektor, der wiederum selbst ins Wanken geraten ist.
Parallel dazu drängen chinesische Akteure mit Nachdruck in den ungarischen Standort. Ob CATL in Debrecen oder BYD in Szeged – die Regierung stellt Flächen, Subventionen und politische Rückenstärkung bereit. Damit stellt sich Ungarn nicht nur in den Dienst einer fragwürdigen Form asiatischer Expansion, sondern ignoriert zugleich die geopolitischen Warnungen aus Brüssel und Washington. Inmitten des europäischen Abkopplungsdiskurses vollzieht Budapest eine Annäherung an Akteure, die nicht gerade für Wertepartnerschaft stehen.
Der propagandistische Mehrwert ist jedoch hoch: Gigantische Baustellen, modernistische Rendergrafiken und wortreiche Ansprachen geben einer sichtlich erschlafften Regierung die Möglichkeit, Handlungsfähigkeit zu inszenieren. Die wirtschaftliche Realität ist weniger erbaulich. Die EU-Kommission mahnt geringe Produktivität und geringe Innovationskraft an, Brüsseler Gelder fließen spärlich, die Inflationsdynamik ist ungebremst.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es überhaupt Alternativen zu dieser Form der wirtschaftlichen Integration gibt. Ungarn hat beschränkten Handlungsspielraum. Medgyessy bleibt hier realistisch: Solange keine eigenen Konzepte existieren, bleibt Ungarn strukturell abhängig – von Berlin, Peking oder Moskau. Andere zeigten, wie es anders gehen könnte. Polen etwa betreibt eine gezielte Diversifikationsstrategie, erweitert seine Industriepolitik um Verteidigung, Energie und Kooperation mit angelsächsischen Staaten.
Orbán hingegen beschwört seit Jahren eine „konnektive Souveränität“: gleichzeitig Osten und Westen, ohne sich festzulegen. In der Praxis jedoch hat sich Ungarn in ein Labyrinth wachsender Abhängigkeiten manövriert. Der Batterieboom mag kurzfristig Schlagzeilen liefern, doch ohne substanzielle Weiterentwicklung droht er zum Menetekel einer Politik zu werden, die von gestern spricht, während sie übermorgen beschwört.
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Titelbild: SK Battery Bürogebäude in Komárom, Wikipedia.
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