Am 4. Mai 1949 erschütterte eine der größten Tragödien die Fußballwelt: Beim Flugzeugabsturz von Superga kam fast die gesamte Mannschaft des AC Torino ums Leben – Il Grande Torino, eines der legendärsten Teams der Fußballgeschichte. Unter den 31 Opfern befanden sich auch der Trainer Ernő Egri Erbstein und der Flügelspieler Gyula Schubert – beide ungarischer Herkunft. Damit verband sich dieses Unglück nicht nur mit Italien, sondern auch mit Ungarn.
Von Budapest nach Turin: Der Weg von Ernő Egri Erbstein
Frühe Jahre und Aufstieg im Fußball
Ernő Egri Erbstein wurde 1898 in Budapest geboren, das damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte. Als talentierter Fußballer mit jüdischen Wurzeln begann er seine Karriere zunächst auf dem Spielfeld – unter anderem bei MTK Budapest, einem der führenden Vereine Ungarns. Später spielte er auch in Italien, unter anderem für Torino und Cagliari, bevor er seine eigentliche Berufung als Trainer fand.
In den 1930er Jahren kehrte Erbstein nach Italien zurück, wo er mehrere Mannschaften betreute und schließlich beim AC Torino landete. Mit seiner modernen, offensiv ausgerichteten Spielphilosophie legte er den Grundstein für den späteren Erfolg des Vereins und entwickelte sich zu einer Schlüsselperson im italienischen Fußball.
Verfolgung, Flucht und Überleben im Krieg
Ab Mitte der 1930er Jahre verschlechterte sich die Lage für jüdische Bürger in Europa rapide – auch in Ungarn. 1938 trat dort das erste antisemitische Gesetz in Kraft. Gleichzeitig wurde auch Italien unter Mussolini zu keinem sicheren Ort mehr: Mit den Leggi Razziali (Rassengesetzen) von 1938 übernahm das faschistische Regime offen antisemitische Maßnahmen. Jüdische Bürger wurden aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen, verloren ihre Arbeit und standen zunehmend unter Bedrohung.
Erbstein musste Italien verlassen – vermutlich um 1938 oder 1939 – und kehrte zunächst nach Ungarn zurück. Doch auch dort war er nicht sicher. Mit der deutschen Besatzung 1944 begann die systematische Deportation ungarischer Juden. Erbstein und seine Familie wurden in ein Zwangsarbeitslager verschleppt, überlebten aber unter schwierigen Bedingungen – ein Schicksal, das vielen anderen ungarischen Juden verwehrt blieb.
Rückkehr nach Turin und der Aufbau von Il Grande Torino
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 kehrte Ernő Egri Erbstein nach Italien zurück. Der AC Torino berief ihn erneut zum Trainer – zusammen mit Präsident Ferruccio Novo formte er eines der erfolgreichsten Teams der Fußballgeschichte: Il Grande Torino. Unter seiner Leitung gewann die Mannschaft fünf italienische Meistertitel in Folge – ein Rekord, der bis heute Bestand hat.
Erbsteins Weg – von den Straßen Budapests über Flucht und Verfolgung zurück zur Trainerbank in Turin – steht beispielhaft für die Widerstandskraft eines Menschen, der sich nicht unterkriegen ließ. Sein Vermächtnis prägt den europäischen Fußball bis heute und verbindet auf besondere Weise die Geschichte Ungarns und Italiens.
Ein Spiel von historischer Bedeutung
Am 11. Mai 1947 – zwei Jahre vor der Katastrophe – trafen Italien und Ungarn in einem Freundschaftsspiel aufeinander. Zehn der elf Spieler der italienischen Startelf kamen vom AC Torino. Auf ungarischer Seite spielten Stars wie Ferenc Puskás und Gyula Zsengellér. Das Spiel war ein Symbol für die Fußballstärke beider Nationen in der Nachkriegszeit – und für die zentrale Rolle des AC Torino im italienischen Fußball.
River Plates Geste der Solidarität
Nach dem Unglück von Superga reiste der argentinische Spitzenklub River Plate nach Turin, um ein Benefizspiel gegen eine Auswahl aus Torino-Jugend- und Reservespielern zu bestreiten. Mit Unterstützung von Präsident Juan Domingo Perón und dem Vatikan wurde das Spiel organisiert – ein Akt beispielloser internationaler Solidarität.
Auch der ungarische Flügelspieler István Nyers, der damals für Inter Mailand spielte, nahm teil und erzielte ein Tor – ein weiteres Zeichen der ungarischen Verbindung zur Geschichte von Torino.
Ein bleibendes Vermächtnis
Die Katastrophe von Superga bedeutete das Ende einer Ära im italienischen Fußball. Ernő Egri Erbsteins Einfluss auf den AC Torino ist bis heute unvergessen. Seine Rolle in der Entwicklung des europäischen Fußballs und seine Verbindung zwischen Ungarn und Italien machen ihn zu einer herausragenden Figur der Fußballgeschichte.
Obwohl er in Ungarn heute weniger bekannt ist, bleibt sein Beitrag zum internationalen Fußball ein bedeutendes Erbe.
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