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EU leitet Vertragsverletzungsverfahren wegen fehlender Medienfreiheit ein

Kommission wirft Ungarn systematische Verstöße gegen EMFA und Medienrichtlinien vor. Orbáns Regierung reagiert gereizt, Wahlkampf verschärft Tonlage

Budapest/Brüssel. Die Europäische Kommission hat am Donnerstag ein förmliches Aufforderungsschreiben an die Regierung in Budapest übermittelt und damit den ersten Schritt eines neuen Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet. Im Zentrum stehen schwere Verstöße gegen das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) sowie Mängel bei der Umsetzung der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie. Der Vorwurf trifft einen wunden Punkt: die enge Verflechtung zwischen dem Mediensektor und dem politischen Machtapparat von Fidesz.

Die Kommission bemängelt unzureichenden Schutz journalistischer Quellen, mangelhafte Rechtswege bei Eingriffen in die redaktionelle Arbeit und strukturelle Intransparenz bei Medienbesitz sowie staatlicher Werbevergabe. Auch die mangelnde Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde steht im Fokus. Budapest hat nun zwei Monate Zeit, die Kritikpunkte auszuräumen. Geschieht dies nicht, folgt eine begründete Stellungnahme, anschließend wäre der Gang zum Europäischen Gerichtshof möglich – inklusive empfindlicher Geldstrafen.

Lange Liste von Vertragsverletzungen

In Brüssel ist die Liste der Verstöße seit Jahren weitgehend deckungsgleich: politisierte Aufsichtsgremien, ein Medienmarkt, der über Stiftungen und Oligarchennetzwerke de facto der Regierungspartei dient, und ein staatliches Anzeigenwesen, das als wirtschaftliches Druckmittel wirkt. Der EMFA, seit August in Kraft, sollte eigentlich garantieren, dass öffentliche Medieninstitutionen unabhängig agieren und der Staat nicht in die redaktionelle Freiheit eingreift. Genau dort sieht die Kommission Ungarn nun „klar im Verstoß“.

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche private Medienunternehmen in das regierungsnahe KESMA-Konglomerat eingebracht, dessen politische Loyalität nie in Zweifel stand. Kritische Redaktionen sind marginalisiert, während der öffentlich-rechtliche Rundfunk MTVA zu einem Sprachrohr der Regierung wurde. In Wahlkampfphasen, wie derzeit, ist die Schlagseite besonders deutlich sichtbar.

Premierminister Viktor Orbán und sein Umfeld reagieren auf Brüsseler Kritik mit Abwehrreflexen, verweisen auf angebliche politische Motive und beklagen vermeintliche Eingriffe in die nationale Souveränität. Außenminister Péter Szijjártó hatte in ähnlichen Fällen stets behauptet, Ungarn werde „für seine unabhängige Politik bestraft“.

Parlamentswahlen 2026

Doch mit Blick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen wächst die Brisanz. Die neue Mitte-rechts-Partei Tisza unter Péter Magyar hat in den jüngsten Umfragen die Fidesz überholt, eine Entwicklung, die in den Staatsmedien bislang nur am Rande Erwähnung findet, während Orbáns öffentliche Auftritte dominieren. Die EU-Verfahren fallen somit in eine Phase, in der der Regierungsapparat seinen medialen Vorteil massiv auszuspielen versucht.

Die strukturellen Probleme, die Brüssel benennt sind nichts neues: fehlende Transparenz über Eigentümerstrukturen, Marktkonzentration zugunsten regierungsnaher Unternehmer und eine staatliche Anzeigenpolitik, die vor allem loyale Medienhäuser finanziert. Für unabhängige Redaktionen bleibt oft nur ein digitaler Nischenmarkt – oder die Abhängigkeit von ausländischer Förderung.

Den offiziellen Link der Europäischen Kommission finden Sie hier.

Quellen: EU Kommision
Photo: Pressfreedom Index 2025 Weltkarte, Ungarn vom orangenen Land auf dem Weg zu einem roten. Wikicommons

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