Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Ignorierter ICC-Haftbefehl: Den Haag leitet Verfahren ein - Völkerrecht

Budapest/Den Haag. Weil Ungarn den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu trotz eines internationalen Haftbefehls nicht festgenommen hat, hat der Internationale Strafgerichtshof das Land an seine Mitgliedsstaatenversammlung verwiesen. Die Reaktion aus Budapest folgte prompt und aggressiv.

Offene Missachtung des Völkerrechts

Netanjahu, dem zusammen mit mehreren Mitgliedern der israelischen Regierung Kriegsverbrechen im Gazastreifen vorgeworfen werden, war im April zu einem offiziellen Besuch in Budapest. Der Haftbefehl gegen ihn war zu diesem Zeitpunkt in Kraft. Die ungarische Regierung ließ ihn dennoch unbehelligt. Die Richter des ICC (International Criminal Court) erklärten, dass „die Verpflichtung zur Zusammenarbeit für Ungarn hinreichend klar“ gewesen sei. Das Verhalten Budapests untergrabe die Funktionsfähigkeit des Gerichts.

„Das Versäumnis Ungarns untergräbt in erheblichem Maße die Fähigkeit des Gerichts, sein Mandat zu erfüllen.“
– Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs

Ungarn argumentierte, das Rom-Statut sei nie in nationales Recht überführt worden. Die Kammer wies diese Begründung zurück. Es liege in der Verantwortung eines Mitgliedstaats, eine entsprechende Gesetzgebung sicherzustellen.

Politische Retourkutsche

Die Reaktion der Regierung Orbán fiel scharf aus. Außenminister Péter Szijjártó bezeichnete das Verfahren als „kleinkarierte politische Rache“ und erklärte, der Gerichtshof habe „jegliches Prestige verloren“. Der IStGH sei „irreversibel zu einem politischen Gremium degeneriert“. EU-Minister János Bóka ging noch weiter und warf dem Gericht vor, es habe sich „auf die Seite von Terroristen gestellt“ und handle „ohne moralischen Kompass“.

„Das ist ein schwacher und kleinlicher Schritt, der unsere Entscheidung bestätigt, den Gerichtshof zu verlassen“

– Szijjártó.

Bereits kurz nach Netanjahus Besuch hatte die ungarische Regierung angekündigt, aus dem Rom-Statut auszutreten. Der formale Prozess läuft. Ungarn wäre damit der erste EU-Staat, der dem IStGH den Rücken kehrt.

Geopolitisches Signal

Das Vorgehen folgt einer klaren Linie. Orbán nutzt das Verfahren, um seine außenpolitische Allianz mit Netanjahu öffentlich zu unterstreichen – und zugleich internationale Institutionen weiter zu delegitimieren. Die ungarische Führung verweist regelmäßig auf angebliche politische Schlagseite multilateraler Organisationen und stellt nationale Souveränität über völkerrechtliche Verpflichtungen.

Dass Netanjahu in Budapest einen roten Teppich erhielt, war nicht nur diplomatisches Protokoll, sondern bewusste Machtdemonstration. Israel erkennt den IStGH nicht an, Ungarn unterläuft nun dessen Handlungsfähigkeit von innen heraus. Es ist der dritte Fall innerhalb eines Jahres, in dem ein Mitgliedstaat eine Festnahme verweigert – zuvor waren bereits Italien und die Mongolei wegen ähnlicher Verstöße gerügt worden.

Konsequenzen offen

Der IStGH selbst verfügt über keine exekutiven Mittel. Die Vertragsstaatenversammlung, die im Dezember tagt, kann formale Schritte gegen Ungarn prüfen – konkrete Sanktionen sind allerdings unwahrscheinlich. Politisch ist der Schaden dennoch erheblich: Ein EU-Mitglied verwehrt sich offen gegen völkerrechtliche Grundsätze und verteidigt das als Prinzipienfestigkeit.

„Ungarn kann sich mit einer solchen Institution weder rechtlich noch politisch gemein machen“

erklärt EU-Minister Bóka.

Der Fall Netanjahu wird so zum Schauplatz eines grundsätzlichen Konflikts: zwischen einer multilateralen Rechtsordnung und jenen Regierungen, die internationale Institutionen als Hindernis ihrer Macht betrachten. Ungarns Austritt ist nicht symbolisch sondern ein weiterer Schritt in der systematischen Demontage der (inter)nationalen Rechtsstaatlichkeit.

Gib den ersten Kommentar ab

    Schreibe einen Kommentar