Budapest. Die ungarische Bürgerrechtsorganisation Társaság a Szabadságjogokért (TASZ) sieht sich derzeit mit einer Klage der Eigentümer des Getränkeherstellers Hell Energy konfrontiert. Anlass ist die Berichterstattung über ein bereits rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren, das ursprünglich vom Unternehmer-Brüderpaar Barabás gegen das Magazin Forbes angestrengt worden war. Der Fall steht exemplarisch für ein Problem, das in mehreren europäischen Ländern im Wachsen inbegriffen ist: das Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Macht, öffentlicher Kommunikation und juristischer Methodik.
Laut Stellungnahme von TASZ, die der Redaktion vorliegt, richtet sich die Klage gegen Äußerungen der Organisation im Zusammenhang mit der medialen und rechtlichen Aufarbeitung des ursprünglichen Forbes-Prozesses. Die Kläger fordern unter anderem eine Entfernung kritischer Inhalte, eine öffentliche Entschuldigung sowie zehn Millionen Forint Schadensersatz. TASZ kündigte an, diesen Forderungen nicht nachzukommen.
Die Organisation beruft sich auf ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, das die Brüder aufgrund ihres wirtschaftlichen Gewichts und der staatlichen Förderstruktur ihrer Unternehmensgruppe als Personen des öffentlichen Lebens einstuft. Diese Einstufung impliziere laut TASZ eine erhöhte Toleranzschwelle gegenüber kritischer Berichterstattung und öffentlicher Meinungsäußerung.
Der Fall wird von TASZ selbst als Beispiel für ein sogenanntes SLAPP-Verfahren (Strategic Lawsuit Against Public Participation) eingeordnet – ein international verwendeter Begriff für missbräuchliche Klagen, die in erster Linie dazu dienen sollen, Kritiker durch zeit- und kostenintensive Prozesse zum Schweigen zu bringen. In diesem Fall treffe dies nun nicht nur Medienhäuser, sondern auch zivilgesellschaftliche Akteure.
Zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten
Ungeachtet der konkreten juristischen Bewertung stellt der Vorgang grundsätzliche Fragen an den Zustand der öffentlichen Diskursräume in Ungarn. Der Pester Lloyd nimmt zu laufenden Verfahren keine inhaltliche Stellung, verweist jedoch auf die demokratiepolitische Relevanz der Debatte: Zivilgesellschaftliche Organisationen, journalistische Redaktionen und auch Einzelpersonen dürfen nicht systematisch durch Klagedrohungen von der öffentlichen Auseinandersetzung abgehalten werden.
Der Begriff „SLAPP“ ist in Ungarn nicht rechtlich definiert, jedoch bereits mehrfach in wissenschaftlichen, journalistischen und politischen Kontexten aufgegriffen worden – auch auf europäischer Ebene. Die EU-Kommission hat im Jahr 2022 entsprechende Schutzmaßnahmen gegen solche Verfahren angeregt, bislang allerdings ohne bindende rechtliche Umsetzung in den Mitgliedstaaten.
Öffentlichkeit als Schutz
TASZ ruft derweil zu Transparenz und öffentlicher Unterstützung auf und hat eine Spendenkampagne gestartet, um die mit dem Verfahren verbundenen Kosten abzufedern. Die Organisation verweist darauf, dass finanzielle Belastung Teil der Einschüchterungsstrategie sei und betont zugleich, dass sie ihre Arbeit im Bereich der Grund- und Freiheitsrechte unbeirrt fortsetzen werde.
Auch wenn der Pester Lloyd aus journalistischer Vorsicht keine Bewertung der Vorwürfe oder juristischen Argumente vornimmt, halten wir es für geboten, auf diese Entwicklung aufmerksam zu machen. Eine freie, kritische Öffentlichkeit lebt vom Zugang zu Informationen, vom Austausch konträrer Sichtweisen und von der Möglichkeit, Machtverhältnisse zu hinterfragen – ohne dafür existenziell bedroht zu werden.
Redaktioneller Hinweis:
Der Pester Lloyd unterstützt keine einzelnen juristischen Positionen, sondern berichtet über Vorgänge von öffentlichem Interesse unter Wahrung der journalistischen Sorgfaltspflicht. Bei rechtlich sensiblen Themen erfolgt die Berichterstattung grundsätzlich faktenbasiert und unter Verzicht auf wertende Formulierungen zu laufenden Verfahren.
SLAPP steht für Strategic Lawsuit Against Public Participation – auf Deutsch etwa: strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung. Dabei handelt es sich um rechtliche Verfahren, die weniger auf tatsächlichen Schadensersatz oder Rechtsschutz zielen, sondern primär dazu dienen, kritische Stimmen einzuschüchtern oder zu lähmen. Typische Merkmale: – Kläger sind häufig wirtschaftlich oder politisch mächtige Akteure – Beklagte sind meist Journalistinnen, NGOs, Aktivisten oder Wissenschaftler – Die Klagen zielen oft auf hohe Geldforderungen, Unterlassung oder Rufschädigung – Verfahren sind meist langwierig und kostenintensiv, selbst wenn sie unbegründet sind SLAPPs gelten international als Bedrohung für Meinungsfreiheit und demokratische Teilhabe. Die EU-Kommission hat im Jahr 2022 eine Initiative zum Schutz vor SLAPP-Verfahren gestartet und empfiehlt unter anderem frühzeitige Verfahrenseinstellung, Kostenerstattung und Sanktionen bei missbräuchlicher Klageführung. In Ungarn ist SLAPP bislang nicht rechtlich definiert, aber zunehmend Gegenstand öffentlicher Debatten und juristischer Auseinandersetzungen. |
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