Aber Budapest wehrt sich
Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei haben wieder zugeschlagen: Unter dem Vorwand des „Kinderschutzes“ hat das ungarische Parlament am 18. März 2025 ein Gesetz verabschiedet, das öffentliche Versammlungen verbietet, die angeblich „Homosexualität an Minderjährige vermitteln“.
Damit ist die diesjährige Budapest Pride offiziell untersagt worden – zu ihrem 30 jährigen Jubiläum.
Wer dennoch marschiert oder einfach nur teilnimmt, riskiert Strafen von bis zu 200.000 Forint (etwa 500 €). Die Veranstalter müssen sogar mit einem Jahr Haft rechnen. Und weil das noch nicht kafkaesk genug ist: Die Polizei darf künftig Gesichtserkennung einsetzen, um Demonstrierende ausfindig zu machen – eine groteske Orwell’sche Repression von andersliebenden BürgerInnen.
Orbáns ungarischer Kulturkampf – Made in Moscow
Dass Orbán den autoritären Kulturkampf zum neuen Staatsprogramm erhoben hat, überrascht niemanden, der Ungarn in den letzten zwanzig Jahren beobachtet hat. Nach russischem Vorbild („Propagandaverbot nichttraditioneller Lebensweisen„) wird nun auch in Budapest die Existenz von LGBTQ+-Menschen unsichtbar gemacht.
Wen Orbán nicht kontrollieren kann, den macht er zum Sündenbock.
Ähnlich wie Putins Russland gibt sich Ungarn eine Staatsideologie, die vorgibt, Kinder zu schützen – während sie in Wirklichkeit die Gesellschaft infantilisiert und Hass normalisiert.
Die neu designierte österreichische Außenministerin Beate Meinl-Reisinger sprach von einem „verheerenden Signal“ für Europa, und auch 22 ausländische Botschaften protestierten geschlossen gegen das Gesetz. Doch Orbán interessiert das längst nicht mehr. Was zählt, ist die Macht – und deren Sicherung durch Angst.
Orbán fühlt sich offenbar in der Gesellschaft von Staaten wie Russland, Saudi Arabien, Uganga wohler als in jener der europäischen Demokratien, deren Werte sein Regime Tag für Tag weiter verrät.
DW: Ungarn geht mit Riesenschritten in Richtung Russland
Ungarn wehrt sich
Doch ganz so reibungslos läuft der Kulturkampf nicht. Schon am Tag der Abstimmung gingen in Budapest, Pécs und später auch in Szeged tausende Menschen auf die Straße. Sie blockierten Brücken, forderten lautstark ihre Rechte ein – und trotz massiver Polizeipräsenz weigerte sich die Menge, einfach zu verschwinden. Der unabhängige Abgeordnete Ákos Hadházy organisierte spontane Proteste, bei denen unter anderem Rauchbomben gezündet und Plakate gezeigt wurden, auf denen Orbán und Putin sich küssen – ein Symbolbild, das man kaum treffender hätte wählen können.
Die Organisator:innen der Budapest Pride erklärten trotzig:
„Wir werden marschieren. Mehr denn je.“
Der Bürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, kündigte vor versammelten Protestierenden an, dass die Pride stattfinden wird – größer und lauter als je zuvor. Denn Ungarns queere Community war nie einfach nur „da“ – sie war immer auch ein Protest gegen das Vergessen, gegen die Repression, gegen die Angst.
Mittlerweile wurde von den Protestierenden zur Graypride aufgerufen, also dem proaktiven tragen grauer Kleidung, angesichts des Verbots von „schwuler“ Regenbogenfarbener Kleidung.
Verfassung contra Verfassung
Parallel zum Verbot wurde auch die ungarische Verfassung geändert. Kinderrechte haben künftig Vorrang vor fast allen anderen Grundrechten – ein juristischer Nebelvorhang, um repressive Maßnahmen zu legitimieren. „Familien würden ohnehin nicht in die Nähe der Pride kommen“, so Gergely Gulyás, Orbáns Kanzleramtsminister, in einer entlarvenden Begründung. Der Schutz von Kindern wird so zur Chiffre für die volkstümlich populäre Repression missliebiger Lebensformen.

Das Ungarische Helsinki Komitee warnte bereits, dass diese Maßnahmen elementare Rechte wie Versammlungsfreiheit, Datenschutz (schließlich wird ein Biometrisches Register von Teilnehmerinnen der Pride durch die Polizei erstellt) und Schutz vor Diskriminierung verletzen.
Michael O’Flaherty, der Menschenrechtskommissar des Europarats, forderte den ungarischen Präsidenten auf, das Gesetz zu stoppen – vergeblich.
Der Kulturkampf soll vom eigentlichen Drama ablenken
Orbáns Angriff auf die Budapest Pride ist keine Laune, sondern Strategie. Ungarn steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Inflation frisst die Einkommen, Millionen Ungar:innen leben in Armut. Internationale Investitionen brechen weg. Die Opposition wächst.
Also wird ein „Feind“ konstruiert – wie in anderen (befreundeten) autokratischen Staaten, wenn die Machtbasis zu bröckeln beginnt.
Dass sich Orbán ausgerechnet jetzt gegen die queere Community wendet, ist keine Überraschung: Es ist der altbekannte Reflex des Despoten, wenn ihm die Kontrolle entgleitet.
Die Korruption durchzieht alle Ebenen des Staates, die Pressefreiheit ist zu einer Fußnote verkommen. Die unabhängige Justiz wurde kaltgestellt und das Bildungssystem wird systematisch entkernt. Viel ist ohnehin nicht mehr übrig, Ungarn gleicht einer Alternativkulturellen Wüste. Doch auch diese kann bei Regen zur fruchbaren Oase werden – und die Ungarische Bevölkerung, zumal in Budapest, steht nicht (mehr) hinter Orban.
Statt Reformen gibt es Sündenböcke: Migranten, Soros, „Gender-Ideologie“ – und nun also wieder die LGBT-Community.
Graypride statt Gaypride – die Budapest Pride wird marschieren
Dass Orbán die Pride verbieten lässt, ist ein Symbol. Aber nicht nur für die Verachtung einer Minderheit – sondern für die Angst eines Regimes, das weiß, dass seine Zeit abläuft.
Kein noch so lauter Kulturkampf wird die fatalen Folgen von zwei Jahrzehnten autoritärer Machtausdehnung vertuschen können.

Ungarn 2025 ist ein Land, in dem Grundrechte wie Versammlungsfreiheit eingeschränkt sind, Oppositionelle kriminalisiert und Menschenrechte systematisch ausgehöhlt werden.
Eine Demokratie? Vielleicht noch auf dem Papier. Aber längst nicht mehr in der Wirklichkeit.
Die Budapest Pride wird trotzdem marschieren. Und damit zeigen: Freiheit lässt sich nicht per Dekret abschaffen, auch nicht durch korrupte alte Männer, die den Geist der 1950er-Jahre unter Vorwänden in neuen Verfassungsparagraphen einfrieren.
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