Budapest. In einer schonungslosen Analyse der politischen Lage in Ungarn spricht Politologe Péter Tölgyessy von einem „Point of No Return“ und diagnostiziert einen weiteren Tabubruch Viktor Orbáns, der das Fundament des Fidesz-Regimen ins Wanken bringt. Gleichzeitig zeichnet er das Bild einer politischen Ordnung, die jederzeit in sich zusammenfallen könnte.
Der Politologe macht deutlich: Orbáns omnipräsente Auftritte seien kein Zeichen von Stärke, sondern Ausdruck wachsender Nervosität: ein sichtbarer Versuch, die eigene Anhängerschaft hinter verschlossenen Türen neu zu mobilisieren. Die Stimmung habe sich gewandelt: Wo zuvor Stabilität herrschte, spüre Orbán nun „dauerhaft nennenswerte negative Trends“, die eine politische Katastrophe heraufbeschwören könnten.
Seine Prognose ist zugespitzt: „Fidesz oder totale Zerstörung.“ Sollte Orbán verlieren, sei das System nicht stabil genug für einen geordneten Übergang: der Zusammenbruch käme abrupt, ähnlich dem der MSZP.
Drei Auslöser für den Stimmungsumschwung
Tölgyessy nennt drei Hauptgründe, weshalb die Bevölkerung heute sensibler auf Korruption reagiert:
- das Ausbleiben von Wirtschaftswachstum,
- der spürbare Abwärtstrend der Fidesz
- Orbáns moralischer Tabubruch: er habe das Bild des volksnahen Politikers zugunsten persönlicher Bereicherung zerstört.
Im Gegensatz zu früheren autoritären Führungsfiguren wie Irénée Javrin oder János Kádár habe Orbán systematisch Vermögensakkumulation ermöglicht und damit „sein überlebensnotwendiges Image beschädigt“. Der Skandal um die Luxusvilla in Hatvanpuszta, den Ákos Hadházy öffentlich machte, gilt als Symbol dieser Entwicklung.
Sozialpolitik ohne nachhaltige Wirkung
Zwar versucht die Regierung, mit familienfreundlichen Maßnahmen wie zinsgünstigen Wohnkrediten oder Steuerbefreiungen für kinderreiche Familien Pluspunkte zu sammeln, doch verpuffen diese Effekte schnell. Während Budapest und andere Großstädte längst verloren seien, wackeln inzwischen auch mittelgroße sowie kleinere Städte. Im Wahlkampf könnten nur noch die kleinsten Gemeinden den Ausschlag geben.
Präsidentenwechsel als Spiegel der Schwäche
Auch der Wechsel im Amt des Staatspräsidenten gilt als Symptom. Katalin Novák folgte auf den blassen László Sulyok, doch selbst ein Rückzug Orbáns in dieses Amt wäre ohne vorherige Systemreform politisch kaum zu legitimieren.
Hoffnung auf geopolitische Entlastung – und der Trump-Faktor
Überraschend verweist Tölgyessy auf Donald Trump: Die Rückkehr des früheren US-Präsidenten könnte Orbán international in die Karten spielen. Trumps Dynamik – „ein Tempo, das man seit dem New Deal nicht erlebt hat“ – ebne den Weg für ein geopolitisches Re-Arrangement im Westen, von dem Ungarns Premier profitieren könne
Neue Stimmen aus dem Ausland: Orbán könnte doch abtreten
Auch außerhalb Ungarns wächst die Aufmerksamkeit. David Baer, Politikwissenschaftler an der Universität von Texas, schreibt im konservativen US-Portal Bulwark, Orbán wirke angeschlagen und begehe Fehler, die sich kaum noch kaschieren ließen. Selbst konservative Beobachter sehen erstmals realistische Chancen auf ein Ende des „Orbanismus“, nicht zuletzt durch die wachsende Popularität von Péter Magyar.
Zwar fürchten viele, Orbán könnte sich mit faschistoider Rhetorik und Drohgebärden an die Macht klammern, Baer verweist auf seine Angriffe gegen Gerichte und NGOs, in denen er am 15. März gar von „überwinternden Käfern“ sprach. Doch zugleich schließt der US-Politologe nicht aus, dass Orbán am Ende den Hut nimmt, falls eine Wahlniederlage eindeutig und unbestreitbar wäre: „Der Preis, das Ergebnis zu ignorieren, wäre zu hoch.“
„Noch nie so besorgt um dieses Land“
Tölgyessys Fazit fällt ernüchternd aus: „Es kann noch schlimmer kommen, aber Fidesz zu erhalten ist nur noch das bereits bekannte Übel. Eine Wende aber ist ein großes Abenteuer, das schlimm enden könnte. Ich war noch nie so besorgt um dieses Land.“
Ungarn steht damit vor einem entscheidenden Prüfstein: Bleibt Orbán – oder folgt eine neue Ära?
Quellen: Index.hu, hvg.hu
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