Szekszárd. Ungarns bekanntester Korruptionsaufdecker Ákos Hadházy spricht im Gespräch mit dem Pester Lloyd über den Umbau des Staates unter Viktor Orbán, die Finanzierung des Landsitzes in Hatvanpuszta, verdeckte Auslandstransaktionen und seine Erwartungen an die Wahlen 2026.
Als unabhängiger Abgeordneter und langjähriger Aufdecker von Fällen systemischer Korruption hat sich Ákos Hadházy einen Ruf weit über Ungarn hinaus gemacht. Im Interview spricht er über seine Recherchen, die Rolle der EU, den Zustand der Demokratie und warum es 2026 keine freien Wahlen geben wird. Das Gespräch führte Jasper Reichardt am 17. Oktober.
Herr Hadházy, Sie haben sich intensiv mit den Eigentumsverhältnissen rund um Viktor Orbáns Anwesen in Hatvanpuszta beschäftigt. Was gibt es Neues über den berühmt-berüchtigten „Zoo“ zu berichten?
Ich habe kürzlich Fotos erhalten, die eine neue Tierart auf dem Gelände zeigen: einen Elch. Dafür ist eine besondere Genehmigung notwendig – und die liegt, anders als für Zebras oder Antilopen, nicht vor. Doch viel wichtiger ist die Finanzierung von Hatvanpuszta. Offiziell stammt das Geld vom Vater Viktor Orbáns. Dieser besitzt zwar einen Steinbruch, doch laut öffentlichen Daten erwirtschaftet sein Betrieb Gewinnmargen von 30 bis 40 Prozent – üblicherweise liegt dieser Wert in der Branche bei maximal 10 bis 15 Prozent.
Die entscheidende Frage ist: Wie kommt es zu dieser Rendite? Hat er eine geheime Technologie die ihn viel rentabler wirtschaften lässt? Verkauft er zu überhöhten Preisen? Hat er Zugang zu staatlich bevorzugten Projekten? Unsere Recherchen zeigen: Sehr viele dieser Steine werden für große Bauprojekte verwendet, die mit EU-Geldern kofinanziert sind. Das heißt: Der Staat bekommt EU-Mittel, die Aufträge gehen an Oligarchen – meistens Lőrinc Mészáros – und dieser kauft die Steine wiederum vom Vater Orbáns. So fließt europäisches Steuergeld indirekt in den Familiensitz des Ministerpräsidenten.
Hinzu kommt: Neue Fotos belegen, dass Baugeräte mit dem Namen Mészáros‘ Firmen auf dem Gelände verwendet wurden. Es gibt sogar ein Dokument, laut dem Mészáros eine Zahlungsgarantie für den Fall gegeben hat, dass Orbáns Vater nicht zahlen kann. Sollte das Anwesen auch nur zehn Prozent unter Marktpreis errichtet worden sein, wäre es ein großer Fall von Korruption.
Korruption überall, strukturell.
Sie waren früher selbst Fidesz-Mitglied. Was war der Wendepunkt?
Ich war früher in der Fidesz-Fraktion, ja. Der letzte Tropfen war der Tabakskandal: In meiner kleinen Stadt wurde alles zu überhöhten Preisen von Freunden des Bürgermeisters gekauft. Später habe ich gesehen, dass dies ein landesweites Muster ist. Kleine Geschäfte wurden verdrängt, Konzessionen gingen an regimenahe Kreise. Es erinnerte mich stark an den Kommunismus und an den Raubzug gegen meine Großeltern: Auch dort wurde das Vermögen und die Ländereien von normalen Menschen an Regimegünstlinge verteilt. Nach meinem Austritt begann ich, systematisch zu den EU-Subventionen zu recherchieren. Das Ergebnis: Korruption überall, strukturell.
Gibt es neue Erkenntnisse zur „Villa Orbán“ im norditalienischen Varese?
Leider nicht. Die Transaktion verlief über ein Finanzvehikel, das mit einer Orbán-nahen Bank verknüpft ist. In Ungarn werden riesige Vermögen in Private-Equity-Fonds versteckt. Diese Strukturen sind fast undurchsichtig. Hatvanpuszta ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch in Rumänien, Serbien oder Frankreich vermuten wir solche Anlagen, aber vieles liegt noch im Dunkeln.
Orbán hat Sie jüngst als „armseligen Halbnarren“ bezeichnet. Was entgegnen Sie ihm?
Ich finde ihn unverstehbar. Früher war er klug, rational, sogar freiheitlich. Doch seit dem Treffen mit Putin 2009 in Sankt Petersburg hat sich etwas verändert. Ich denke, er ist entweder gekauft worden oder wird erpresst. Wahrscheinlich beides.
Wie funktioniert Ihre Aufdeckungsarbeit konkret?
Ich arbeite mit einem kleinen Team, auch mit Juristen. Wir nutzen viele öffentliche Datenbanken. Informationen bekomme ich täglich von Menschen aus dem ganzen Land. Die Korruption ist so verbreitet, dass man sie nicht wirklich suchen muss. Ich arbeite auch mit Organisationen wie Transparency International zusammen.
Sind Sie Bedrohungen ausgesetzt?
Physische Angriffe gab es nicht. Die Polizei ist teils aggressiv aufgetreten, aber die größere Gefahr sind Drohungen von Einzelpersonen. Ich nehme das nicht so ernst, aber ich weiß nie, wie konkret das ist. Ich habe keine Angst, aber wachsam muss man sein.
Gibt es aktuelle Fälle, die Sie derzeit untersuchen? Auf ihrer Webseite https://korrupcioinfo.hu/ gibt es einiges zu lesen.
Viele. Was groß und was klein ist, ist schwer zu sagen: Mal geht es um 100.000 Euro, mal um Millionen. OLAF (Anmerkung: EU-Antikorruptionsbehörde) hat viele meiner Hinweise übernommen. Doch die ungarische Staatsanwaltschaft sabotiert: Entweder sie ermittelt nicht oder zieht Verfahren über Jahre in die Länge, bis alles versandet.
Warum bleibt Fidesz trotz dieser Enthüllungen so stark?
Weil es keine Demokratie ist. Wir leben in einem hybriden Regime. Zwei Säulen tragen die Macht: die Staatsanwaltschaft und die Propagandamaschine. Letztere ist wohl die stärkere. Ein großer Teil der Bevölkerung erfährt nie von Hatvanpuszta oder anderen Skandalen. Die wenigen freien Medien erreichen die Massen nicht. Und wenn doch, dann werden die Informationen sofort durch die Propaganda relativiert.
Wird es 2026 eine gemeinsame Oppositionsliste geben?
Ich werde wahrscheinlich als unabhängiger Kandidat antreten. Doch selbst wenn sich die Opposition einigt: Faire Wahlen wird es nicht geben. Der Staat gibt jährlich rund 150 Milliarden Forint – etwa 400 Millionen Euro – für Regierungspropaganda aus. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind vollkommen gleichgeschaltet. Zwischen 2018 und 2022 bekam kein Oppositionspolitiker nennenswerten Sendeplatz im Staatsfernsehr: Nur einmal fünf Minuten für den Ministerpräsidentschaftskandidaten und einmal zehn Minuten für Budapests Bürgermeister Karacsony. Dazu kommen Umfragen, die vor 2022 ein Kopf-an-Kopf-Rennen suggerierten – und dann kam der Krieg. Orbán stellte sich als Friedenshüter dar, die Opposition wurde zur Kriegspartei umgedeutet bzw umgelogen. Das wirkte. Es ist in Zentraleuropa kaum vorstellbar, aber bei soviel Propaganda auf den Straßen und im Internet funktioniert so etwas.
Befürchten Sie Manipulation oder Gewalt?
Ja. Wir wissen aus Serbien, Belarus, Georgien oder der Türkei, wie solche Regime funktionieren. Sie geben die Macht nicht freiwillig ab. Wenn sie unter Druck geraten, kommt es oft zu Gewalt. In Diktaturen geht sie direkt vom Staat aus. In hybriden Regimen sind es die Anhänger, die auf die Straße gehen. Das kann auch in Ungarn passieren. Fidesz wird in jedem Fall behaupten, gewonnen zu haben.
Welche Botschaft haben Sie für die Menschen in Ungarn?
Korruption ist nicht nur unschön – sie tötet das Land. Man kann sie nicht einfach tolerieren. Viele sagen: „Alle sind korrupt.“ Vielleicht. Aber nicht in diesem Ausmaß. Es gibt kein Limit. Sie hören erst auf, wenn wir sie stoppen.
Photo: Fejér Bálint, Wikimedia Commons
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