Budapest. Die ungarische EU-Abgeordnete und Vorsitzende der Partei Demokratikus Koalíció (DK), Klara Dobrev, hat am Samstag eine Strafanzeige gegen unbekannt eingebracht. Anlass ist der Verdacht, dass ungarische Stellen im Interesse Russlands Spionagehandlungen gegen Institutionen der Europäischen Union vorgenommen haben könnten. Dobrev sprach bei einer Pressekonferenz in Budapest von einem „noch nie dagewesenen Angriff auf die EU von innen“.
Nach Einschätzung der DK-Politikerin sei es „offensichtlich, dass die Orbán-Regierung für Vladimir Putin spioniert haben könnte“. Sie verwies dabei auf außenpolitische Entscheidungen und Energieabkommen, die ihrer Ansicht nach nicht mit europäischen Interessen vereinbar seien, sowie auf ungarische Vetos, die russischen Oligarchen schützen. Auch die Informationssicherheit des ungarischen Außenministeriums, so Dobrev, sei in der Vergangenheit in den Fokus russischer Dienste geraten.
Im Zentrum ihrer Ausführungen stand die Frage, ob durch das Verhalten ungarischer Regierungsstellen gegen § 261 des ungarischen Strafgesetzbuches verstoßen worden sei. Dieser sieht Freiheitsstrafen zwischen zwei und fünfzehn Jahren für Personen vor, die im Auftrag eines Drittstaates Informationen gegen Organe der Europäischen Union beschaffen.
„Das ist kein politischer Widerspruch mehr, sondern Spionage“
sagte Dobrev.
„Ein solcher Angriff auf EU-Institutionen von einem Mitgliedstaat aus ist beispiellos.“
Untermauert wurden die Aussagen mit Verweis auf eine Darstellung in der französischen Tageszeitung Le Monde, wonach ein Diplomat gegenüber dem Blatt erklärt habe, dass „Budapest von innen gegen die Europäische Union spioniere“ und Berichte an den Kreml übermittle.
Dobrev hatte bereits im Europäischen Parlament eine Untersuchung auf EU-Ebene angestoßen. Konkrete Ergebnisse aus Brüssel liegen bislang nicht vor, auch von Seiten der ungarischen Behörden gibt es keine Stellungnahme. Die Strafanzeige richtet sich ausdrücklich gegen unbekannte Täter – namentliche Beschuldigungen gegen Mitglieder der Regierung wurden nicht erhoben. Dennoch machte Dobrev deutlich, dass sie politische Verantwortung bei der Führung des Landes verortet:
„Ich will, dass die, die die Befehle gaben, und die, die sie ausführten, zur Rechenschaft gezogen werden.“
Ob die Staatsanwaltschaft die Anzeige aufnimmt und ob daraus konkrete Ermittlungen folgen, ist offen. Dobrev äußerte sich skeptisch über die Unabhängigkeit der Justiz, verwies aber zugleich auf das Interesse der europäischen Institutionen an einer lückenlosen Aufklärung. „Wenn sich bestätigt, was in der Presse berichtet wurde, dann wird auch Brüssel nicht untätig bleiben“, sagte sie.
Die politische Tragweite der Anzeige ist noch nicht absehbar. In der ungarischen Innenpolitik steht die DK unter Druck, sich gegenüber anderen Oppositionskräften zu behaupten. In Umfragen liegt die DK derzeit weit abgeschlagen. Gleichzeitig bleiben die Beziehungen zwischen Budapest und Brüssel frostig – nicht zuletzt wegen anhaltender Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit und wegen außenpolitischer Alleingänge Ungarns, wie etwa zuletzt dem zuerst pompös angekündigten und dann abgesagten Trump-Putin Gipfel in Budapest.
Der Vorwurf der Ausspähung im Interesse eines Drittstaates ist ein neuer bzw. weiterer Tiefpunkt in der Beziehung Ungarn-EU.
Quellen: MTI, atv.hu, DK Sajtóiroda, Le Monde
Photo: Klara Dobrev, European Parliament




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