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Bezahlt marschieren für Orbán? – Fidesz lockte Unterstützer mit Gutscheinen und Gratisreisen zum „Friedensmarsch“

Staatlich organisierte Gefolgschaft oder patriotische Massenbewegung? Ein geleaktes Flugblatt zeigt: Die Teilnahme an Orbáns Großveranstaltung zum 23. Oktober war alles andere als spontan.

Budapest. Ein internes Mobilisierungsdokument, das dem Pester Lloyd vorliegt, wirft einen düsteren Schatten auf den sogenannten „Békemenet“ (Friedensmarsch) am 23. Oktober in Budapest. Offiziell als patriotische Demonstration inszeniert, offenbarte das in mehreren Regionen verteilte Flugblatt eine gezielte und organisierte Anwerbung von Teilnehmern – mit finanziellen Anreizen, Gratisverpflegung und bezahlten Transportmitteln.

„Die Teilnahme wird vergütet“ – wortwörtlich

Das Flugblatt, das an Unterstützerinnen und Unterstützer der Regierungspartei Fidesz gerichtet ist, beginnt mit martialischem Ton:

„Unser Land ist in großer Gefahr, dunkle Wolken ziehen auf! Fremde Mächte wollen uns ihren Willen aufzwingen und eine Brüsseler Marionette an die Macht bringen.“

Die rhetorische Aufladung soll offenbar politische Mobilisierung mit existenzieller Bedrohung koppeln, wie gewohnt. Doch entscheidender ist der pragmatische Teil des Schreibens:

  • Die Hin- und Rückfahrt mit dem Zug wird vollständig bezahlt
  • Kalte Verpflegung und Mineralwasser werden am Treffpunkt verteilt
  • Jede teilnehmende Person erhält einen Einkaufsgutschein im Wert von 5.000 Forint (etwa 13 Euro)
  • Fahnen und Schilder stellt der Veranstalter

Einziger Gegenwert: pünktliches Erscheinen um 7:30 Uhr am Bahnhof, Abfahrt zum Kossuth tér, wo Ministerpräsident Viktor Orbán persönlich eine Rede hält.

Reisebusse und Gutscheine – keine Spontanversammlung

Ergänzende Hinweise aus mehreren Landesteilen bestätigen: Neben den kostenlosen Zugfahrten wurden dutzende Reisebusse eingesetzt, um „interessierte Bürger“ aus strukturschwachen Regionen in die Hauptstadt zu bringen. Lokale Fidesz-Organisationen übernahmen die Koordination – inklusive Anmeldung beim „körzeti harcos“, dem regionalen „Kämpfer“.

Was nach engagierter Bürgerbeteiligung aussieht ist inszenierte Gefolgschaftsschau.

Gekaufte politische Kulisse

In der aktuellen politischen Lage, geprägt von wirtschaftlichem Druck, wachsender Unzufriedenheit und einer sich neu sortierenden Opposition, setzt die Fidesz-Führung gezielt auf große öffentliche Demonstrationen als Machtsymbol. Dass dabei mit direkten materiellen Vorteilen operiert wird, ist in einer Demokratie mindestens erklärungsbedürftig.

Die Teilnahme an einer Kundgebung – insbesondere zum Gedenken an die Revolution von 1956 – sollte auf innerer Überzeugung basieren, nicht auf Lunchpaketen und Einkaufsgutscheinen.

Die Wortwahl im Flugblatt („kämpfen“, „gemeinsam protestieren“, „Brüssels Kriegspläne“) zeigt: Es geht weniger um zivilen Diskurs als um emotionale Mobilisierung entlang eines Feindbildes. Die EU wird zur Bedrohung stilisiert, innenpolitische Gegner als ferngesteuerte Agenten diffamiert.

Wahlkampf mit staatlicher Logistik?

Die Frage, wer die Kosten für Transport, Gutscheine, Verpflegung und Material trägt, bleibt unbeantwortet. Wird aus staatlichen Mitteln mobilisiert? Oder über parteinahe Stiftungen und Tarnorganisationen?

Sicher ist: Die Praxis, politische Loyalität mit geldwerten Leistungen zu belohnen, fügt sich in ein Muster klientelistischer Herrschaftsausübung, das in Ungarn unter Orbán systematisch ausgebaut wurde.

In einem Land, in dem viele Menschen mit teils existenziellen wirtschaftlichen Problemen kämpfen, kann ein Gutschein über 5.000 Forint mehr bewegen als ideologische Debatten. Traurigerweise.

Eine Lektion in orchestrierter Masse

Der „Friedensmarsch“ am 23. Oktober sollte das Bild eines geschlossenen, kämpferischen Ungarn zeichnen. Was das Flugblatt belegt: Die Einheit war teuer erkauft.

Ironischerweise war die Kundgebung der Tisza Partei, ganz ohne gekaufte Besucher, weit populärer: laut ELTE nahmen ca. 160.000 Menschen Teil, Orbán kam lediglich auf ca. 90.000 – ein starkes Signal dafür dass die Regentschaft der Fidesz trotz solcherlei Aktionen bald zu Ende sein könnte.

Quellen: Leserzuschrift an die Redaktion
Photo: Screenshot, Urheber unbekannt

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