Der am 12. November 2025 veröffentlichte Monitoring Report, der als erster Länderbericht der neuen Reihe des International Press Institute und des Media and Journalism Research Center erscheint, zeichnet ein detailliertes Bild der systematischen Medienvereinnahmung in Ungarn. Die Untersuchung zeigt, wie Regulierung, öffentliche Medien, staatliche Werbung und Marktstrukturen zu einem politischen Machtinstrument transformiert wurden.
Budapest. Der neue Bericht zur Medienlage in Ungarn liefert eine präzise und schonungslose Analyse der Mechanismen, mit denen die Regierung von Viktor Orbán das mediale Ökosystem des Landes strukturell umbaut. Er ist nicht nur ein Lagebild, sondern ein Inventar staatlich orchestrierter Machttechniken, die Medienvielfalt, journalistische Freiheit und demokratische Kontrolle untergraben.
Pseudo-Regulierung – wie eine „unabhängige“ Behörde gelenkt wird
Ungarns Medienregulierer gelten auf dem Papier als unabhängig. Der Report zeigt jedoch, dass diese Unabhängigkeit ausschließlich juristische Fassade ist. Die Nationale Medien und Infokommunikationsbehörde (NMHH) und ihr Media Council wurden 2010 durch eine institutionelle Reform geschaffen. Seitdem kontrolliert Fidesz beide Gremien nahezu vollständig.
Die Ernennung der Leitungsposten erfolgt ohne Transparenz. Opposition und zivilgesellschaftliche Vertreter wurden systematisch ausgeschlossen. Mehrere zentrale Personalentscheidungen rund um die Wahljahre 2019 und 2022 zeigen, wie die Regierung langfristige Mehrheiten zementiert. Die vorzeitige Amtsniederlegung der früheren NMHH-Präsidentin ermöglichte 2021 die Wahl eines neuen Präsidenten für neun Jahre.
Die Entscheidungen des Media Council folgten durchgängig politischen Prioritäten. Frequenzen wurden bevorzugt an regierungsnahe Sender vergeben, in 75 Prozent der Fälle zwischen 2018 und 2021. Zusammenschlüsse unabhängiger Anbieter oder internationaler Verlage wurden blockiert. Gleichzeitig erhielten regierungsnahe Konglomerate nahezu freie Bahn.
Auch bei Einsprüchen zeigt sich die strukturelle Schieflage: 2024 entschied der Media Council drei Berufungsverfahren und bestätigte in allen Fällen seine ursprünglichen Beschlüsse. Im selben Jahr wurden neun neue gerichtliche Überprüfungen angestrengt, doch angesichts der engen rechtlichen Spielräume sind Erfolgsaussichten gering. Ein Rechtsmittel hat zudem keine aufschiebende Wirkung, was die praktische Wirksamkeit weiter begrenzt.
Eine Festung gegen Einsprüche und Transparenz
Die formal vorgesehenen Transparenzpflichten – Veröffentlichung von Entscheidungstexten, Entwürfen, Protokollen und schriftlichen Begründungen – werden nur in Teilen erfüllt. Zwar erscheinen Beschlüsse, aber ohne nachvollziehbare Begründung.
Mehrere Mechanismen, die eigentlich demokratische Kontrolle ermöglichen sollten, sind laut Report wirkungslos:
- Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz werden systematisch verzögert oder unvollständig beantwortet.
- Protokolle von öffentlichen Anhörungen, darunter jene zu Regelungsentwürfen oder Fragen des Jugendschutzes, werden nicht veröffentlicht.
- Auch Finanzdaten entsprechen nicht den Standards des FOI-Gesetzes.
Das Ergebnis ist ein normiertes System mit vorgeblicher Transparenz, das in der Praxis jedoch höchst intransparent ist.
Öffentlich-rechtliche Medien als Regierungsmedium
Ungarns öffentlich-rechtliche Medien sind laut Gesetz zur politischen Ausgewogenheit verpflichtet. Die Realität ist das Gegenteil. Der Report zeichnet ein Bild eines Systems, das seit 2010 politisch umgebaut wurde und inzwischen vollständig als Staatssender fungiert.
„Die öffentlich-rechtlichen Medien sind vollkommen gleichgeschaltet. Zwischen 2018 und 2022 bekam kein Oppositionspolitiker nennenswerten Sendeplatz im Staatsfernsehr: Nur einmal fünf Minuten für den Ministerpräsidentschaftskandidaten und einmal zehn Minuten für Budapests Bürgermeister Karacsony.“
– Ákoz Hadházy im Pester Lloyd Interview
Nach dem Wahlsieg von Fidesz verloren etwa 1600 Journalisten ihre Anstellung und wurden durch regierungs-loyale Mitarbeiter ersetzt. Die 2015 eingeführte Struktur aus Duna Media und MTVA ermöglicht eine weitreichende Steuerung von Programm und Ressourcen.
Der Report verweist auch auf Personalentscheidungen, die die Glaubwürdigkeit des Systems weiter beschädigten. So wurde Dániel Papp, der zuvor rechtskräftig wegen Manipulation eines Nachrichtenbeitrags verurteilt worden war, zum CEO von MTVA ernannt. Unter seiner Führung wurden Demonstrationen kleingeschnitten, sensible Themen auf Regierungslinie getrimmt und oppositionelle Stimmen gezielt reduziert.
Ein weiterer Punkt betrifft die Pflichtverbreitung: Ungarische Kabel-, Satelliten- und digitale Anbieter müssen vier Fernsehsender und drei Radiosender der PSM-Gruppe auf obersten Kanalplätzen verbreiten. In digitalen Systemen kommen drei weitere Programme hinzu. Diese Vorgabe wird vom Media Council überwacht und festigt die strukturelle Dominanz der Staatsmedien im Alltag des Publikums.
Verzerrte Kampagnen, mangelnde Kontrolle
Der Bericht verweist auf die OSZE-Beobachtung zur Wahl 2022, die eine systematische Benachteiligung der Opposition feststellte. Öffentliche Medien boten dem gemeinsamen Oppositionskandidaten lediglich die minimal gesetzlich vorgeschriebenen 300 Sekunden Sendezeit – gefolgt von einer Rede des Ministerpräsidenten.
2025 dokumentiert das Monitoring erneut klare Schlagseiten:
- 73 Prozent Airtime für Regierungsvertreter
- 27 Prozent für Opposition
- negative oder skandalisierende Darstellung des Tisza-Lagers
Der Medienrat sah darin keinen systematischen Verstoß. Bis zum 15. September 2025 gingen zwölf Beschwerden ein; elf wurden abgewiesen. Nur eine einzige Strafe wurde verhängt – eine symbolische Sanktion in Höhe von 100.000 Forint, wegen Ausstrahlung ungeschwärzter hetzender Inhalte.
Governance: Strukturelle Kontrolle
Der Bericht zeigt, wie die Governance so konstruiert wurde, dass politische Einflussnahme jederzeit möglich bleibt. Die Public Service Foundation, ihr sechsköpfiges Kuratorium und der fünfköpfige Aufsichtsrat sind parteipolitisch dominiert. Auch die Personalunion zwischen dem Präsidenten der Medienbehörde und dem Vorsitz des Media Council schafft enge Verbindungen zwischen Regulierung und Steuerung des PSM.
Über den Public Service Board, der eigentlich die redaktionelle Erfüllung der PSM-Aufgaben überwachen soll, heißt es im Bericht, dass seine Wirkung praktisch verpufft. Entscheidungen fallen per einfacher Mehrheit. Mitglieder können wiedergewählt werden. Wichtige Prüfungen werden routinemäßig ignoriert. Der strukturelle Kontrollverlust ist so umfassend, dass MTVA selbst nicht einmal vollständig den Regeln des Public Service Broadcasting unterliegt. Der Bericht bezeichnet das als eine „zentrale Lücke“, die nicht zufällig entstanden sei.
Finanzen und staatliche Werbung: Die ökonomische Architektur der Abhängigkeit
Die Budgets des öffentlich-rechtlichen Systems steigen kontinuierlich:
- 2023: 126 Mrd. HUF
- 2024: 142 Mrd. HUF
- 2025: 165 Mrd. HUF
Der Bericht betont, dass MTVA nur minimale externe Kontrolle unterliegt. Das Parlament, das den Haushalt absegnet, ist politisch homogen.
Im Bereich staatlicher Werbung zeigt sich ein noch deutlicheres Muster:
- Die Vergabe ist vollständig in der Hand des Nationalen Kommunikationsamts, das direkt dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán untersteht.
- Ausschreibungen und Rahmenverträge werden seit Jahren von denselben parteinahen Firmen gewonnen.
- Seit 2018 arbeitet der Staat exklusiv mit einer einzigen Unternehmensgruppe zusammen.
- KESMA-Medien erhalten 75 bis 80 Prozent ihres Umsatzes aus staatlicher Werbung.
Die Zahlen sind erdrückend: Zwischen 2015 und 2023 flossen staatliche Anzeigen im Wert von rund 440 Milliarden Forint in regierungsnahe Medien.
Innovative politische Kommunikationsformen wie das Netzwerk um das Megafon Center entziehen sich jeder Kontrolle. Der Bericht weist darauf hin, dass Megafon zwischen 2019 und 2023 mehr Geld für politische Onlineanzeigen ausgab als sämtliche anderen politischen Akteure in vergleichbaren EU-Ländern zusammen. Die Herkunft der Mittel ist unklar, ein Gericht bestätigte jedoch, dass die Behauptung, Megafon arbeite mit öffentlichen Geldern, nicht nachweislich falsch ist.
Medienkonzentration: Ein gelenkter Markt
Ungarn verfügt formal über Regeln zur Verhinderung übermäßiger Medienkonzentration. Die Realität ist jedoch eine krasse verdeckte politische Steuerung.
Der Bericht listet Etappen dieser Entwicklung:
Blockade der Axel-Springer–Ringier-Fusion 2011
Unkritische Genehmigung der Mediaworks-Expansion 2016
Blockierung des RTL-Central-Digital-Média-Zusammenschlusses 2017
Die Gründung von KESMA 2018 durch die Zusammenlegung von 476 Medien in einer Stiftung, die per Regierungsdekret als strategisch eingestuft wurde, markiert den Ursprung einer marktbeherrschenden Struktur, die der Wettbewerbskontrolle vollständig entzogen ist. Aktuell steht die geplante Übernahme des Ringier-Portfolios durch Indamedia im Fokus. Der Bericht merkt an, dass unklar bleibe, ob die Behörden die Transaktion nach EMFA-Kriterien prüfen werden. In Anbetracht der bisherigen Praxis sei Zurückhaltung zu erwarten.
Transparenz – oder das Fehlen derselben
Die Transparenzanforderungen im Medienrecht beschränken sich auf oberflächliche Kontaktinformationen. Weder Eigentümerstrukturen noch staatliche Zuwendungen müssen offengelegt werden.
Der Bericht beschreibt ein Umfeld, in dem Finanz- und Eigentumsstrukturen nur durch externe Recherchen nachvollziehbar sind. Die fragmentierten Register und fehlenden Offenlegungspflichten verhindern einen systematischen Überblick über politische Einflussnahmen.
Ein Pflichtenheft für ein unabhängiges Mediensystem
Der Bericht schließt mit einem umfangreichen Katalog an Empfehlungen, die sich an den Vorgaben des EMFA orientieren. Dazu zählen transparente regulatorische Ernennungen, unabhängige PSM-Gremien, eine vollständige Offenlegung staatlicher Werbeausgaben, eine zentrale Eigentumsdatenbank sowie objektive Verfahren zur Prüfung von Medienfusionen.
Den vollständigen Bericht können Sie hier einsehen und herunterladen: MEDIA CAPTURE
MONITORING REPORT: HUNGARY
Quellen: Media Capture Monitoring Report Hungary 2025, OSCE/ODIHR, Mérték Media Monitor
Photo: Hungary – Media Capture Monitoring Report 2025, Grafik: ipi.media



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