Budapest. Am Jahrestag des Aufstands von 1956 treten die Regierungs- und Oppositionsparteien mit Großveranstaltungen gegeneinander an – ein Symbol der politische Polarisierung.
Am Donnerstag versammeln sich in Budapest Zehntausende Anhänger von Fidesz unter Führung von Premierminister Viktor Orbán sowie gleichzeitig Anhänger des Herausforderers Péter Magyar und seiner Partei TISZA (Tisztelet és Szabadság) zu Großkundgebungen – der Auftakt zum Wahlkampf für die für April 2026 anberaumten Parlamentswahlen.
Die Wahlkampfveranstaltungen fallen bewusst auf den 23. Oktober: den Jahrestag des gescheiterten Aufstands von 1956 gegen die sowjetische Herrschaft. Für Fidesz ist dieser Tag zentral für die Selbstdarstellung – historisch antikommunistisch, mittlerweile jedoch mit einer bemerkenswerten Annäherung an Russland unter Orbán.
Der Aufstand von 1956
Der ungarische Volksaufstand von 1956 begann am 23. Oktober als studentische Demonstration in Budapest und weitete sich rasch zu einem landesweiten Protest gegen die sowjetische Besatzung und das kommunistische Regime aus. Innerhalb weniger Tage übernahmen Aufständische die Kontrolle über große Teile der Hauptstadt, forderten politische Reformen, Pressefreiheit und den Rückzug sowjetischer Truppen. Nach anfänglichem Zögern schlug Moskau den Aufstand mit massiver militärischer Gewalt nieder – tausende Menschen kamen ums Leben, Zehntausende wurden inhaftiert, rund 200.000 Ungarn flohen ins Ausland, die meisten nach Österreich. Das Ereignis blieb tief im kollektiven Gedächtnis des Landes verankert: als Symbol für Freiheitswillen, nationale Selbstbestimmung und den Preis politischer Unterdrückung.
Machtverhältnisse und Stimmung 2025
Seit 2010 regiert Fidesz ununterbrochen. Doch die Opposition unter Magyar erlebt starke Zuwächse: Laut einer Umfrage im Juni 2025 lag TISZA mit 51 % gegenüber Fidesz mit 36 % bei den entschiedenen Wählern. Andererseits mahnen Analysen: Noch 700000-800000 Wähler seien unentschieden – ihr Wechsel könnte das Ergebnis entscheiden.
Orbáns Lager verfügt über das etablierte Netzwerk aus Staatsmitteln, öffentlich geförderten Think-Tanks, einem großen, äußerst dominanten Teil der Medien und einer eingespielten Mobilisierungmaschinerie. Doch wirtschaftliche Belastungen – Inflation, stagnierendes Wachstum, geopolitische Risiken wie die Energieabhängigkeit von Russland – zeichnen sich als nicht zu ignorierende Schwachstellen ab.
Die Kampagnenstrategien
Fidesz setzt stark auf Symbolkraft, Mobilisierung durch Kulturkampf und Inszenierung: Der als „Friedensmarsch“ deklarierte Zug durch Budapest soll Größe zeigen und Orbán als Garant von Stabilität in Zeiten globaler und regionaler Turbulenzen darstellen. In diese Symbolpolitik fügt sich auch die von Orbán selbst beworbene, aber inzwischen verschobene beziehungsweise abgesagte Begegnung zwischen Donald Trump und Wladimir Putin in Budapest ein – ein Treffen, das der Premier im Vorfeld als diplomatischen Erfolg und persönlichen Beweis seines internationalen Einflusses präsentiert hatte. Der Ausfall gilt nun als Dämpfer für die außenpolitische Selbstdarstellung der Regierung. Zugleich wird im Inneren weiter auf Angst- und Polarisationsthemen gesetzt – Migration, Ukraine-Kriegsverwicklung, europäische „Brüsseler“ Einflussnahme – der gewohnte national-konservative Kulturkampf.
Die Opposition unter Magyar agiert hingegen mit Reform- und Anti-Korruptions-Narrativen: TISZA positioniert sich als neue politische Kraft, die eine Rückkehr zu Verlässlichkeit, europäischer Einbindung (EU und NATO) und wirtschaftlichem Aufbruch verspricht. So spricht Magyar von einem „Hungarian New Deal“, will Staatsvermögen rückkaufen und die Amtszeit des Premierministers auf maximal acht Jahre begrenzen. Zudem gelingt ihm auffällig gut die Mobilisierung junger Wähler – bei denen Fidesz laut Umfragen schwach ist.
Spannungsfelder im Wahlkampf
- Medien- und Meinungsmacht: Fidesz kontrolliert große Teile der Medienlandschaft absolut und nutzt sie zur Verstärkung eigener Botschaften.
- Unabhängigkeit der Institutionen: Beobachter sprechen von „frei, aber unfairen“ Wahlbedingungen.
- Ökonomische Lage: Eine stagnierende Wirtschaft, hohe Inflation und zunehmende Verschuldung schwächen das Lager von Orbán.
- Wahl-Unentschlossene: Die Unentschlossenen bleiben der Schlüssel zur Entscheidung – ihre Mobilisierung kann das Züglein an der Waage sein.
Früher Wahlkampfauftakt
Bis zum eigentlichen Wahltermin sind es noch viele Monate hin – vorraussichtlich mehr als ein halbes Jahr.
Der symbolträchtige Jahrestag von 1956 bietet beiden Lagern eine Bühne: Fidesz kann historische Legitimität inszenieren, TISZA kann den Führungsanspruch mit einem parallelen Großevent unterstreichen. Der enge zeitliche Zusammenfall erhöht die mediale Spannung und verdeutlicht die polarisierten Lagerverhältnisse.
Quellen: The Guardian, osw.waw.pl, politicalcapital.hu, Reuters
Photo: Deák-Ferenc-Platz mit dem Anker-Palast und der Basilika im Hintergrund. Takkk – Eigenes Werk, Wikimedia Commons


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