Budapest/Washington. András Simonyi, früherer ungarischer Botschafter in den USA und langjähriger Strippenzieher im transatlantischen Netzwerk Ungarns, hat mit scharfen und teils bizarr anmutenden Äußerungen für Aufsehen gesorgt. In einem Interview mit dem ungarischen Sender ÖT und deren Propgramm „Ring“ bezeichnete Simonyi die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als „Verräterin“, warf ihr eine Appeasement-Politik gegenüber dem Kreml vor und stilisierte Donald Trump zum möglichen Friedensstifter im Ukraine-Krieg. Was auf den ersten Blick wie ein bizarrer Einzelkommentar eines pensionierten Diplomaten erscheint, offenbart bei näherer Betrachtung ein konsistentes Narrativ im ungarischen Regierungsumfeld – auch wenn die logische Widersprüche zu Ungarns Aussenpolitik eklatant sind: Man gibt sich europäisch aber untergräbt genau diese politische Linie.
Wer ist András Simonyi?
András Simonyi war von 2002 bis 2007 Botschafter Ungarns in Washington – zunächst unter sozialliberalen Regierungen, später als außenpolitischer Berater mit Nähe zur Orbán-Regierung. Nach seiner diplomatischen Laufbahn profilierte er sich als Lobbyist für transatlantische Rüstungskooperationen und arbeitete unter anderem mit der Lobbyorganisation Atlantic Council zusammen. Seine Vita changiert zwischen NATO-Nähe, wirtschaftsliberalen Netzwerken und einem zunehmend nationalkonservativen Grundton – eine Mischung, die im heutigen Fidesz-Kosmos sehr populär ist.
Trump als Friedensbringer?
Simonyi zufolge tritt Donald Trump als „Staatsmann“ auf und könne effektiv zwischen Putin und Selenskyj vermitteln. Einen möglichen Friedensprozess datierte er gar auf den kommenden Freitag: eine rein spekulative Bemerkung ohne diplomatische Substanz. Dennoch ist der Subtext bemerkenswert: Trump als pragmatischer Ordnungsmacht-Faktor, Europa als sicherheitspolitisch unreife „Fahrschüler“, Russland als durchhaltefähige Großmacht – diese Denkmuster erinnern frappierend an die außenpolitische Argumentation Viktor Orbáns.
Merkel als Zielscheibe
Merkel steht, obwohl längst nicht mehr politisch aktiv, für eine liberale und weitestgehend europäisch-solidarische Politik – sie diehnt nach wie vor als negative Projektionsfläche, ähnlicht George Soros. Simonyi warf ihr in Bezug auf den Minsk-Prozess eine „verratene“ europäische Politik vor und erklärte, sie habe Europa „an Putin verkauft“. Angesichts Ungarns ständiger Blockadepolitik gegenüber der EU in Sachen Ukraine wirkt das mehr als verwegen. Ihre jüngsten öffentlichen Einordnungen zur Russlandpolitik – insbesondere das Eingeständnis strategischer Fehleinschätzungen – dienen Simonyi offenbar als willkommenes Material für eine politische Generalabrechnung. Er forderte gar, der Kaufpreis ihres Buches solle „zurückerstattet“ werden, da „kein Verständnis“ für ihr Verhalten aufgebracht werden könne. Polemik.
Meloni und Merz: Neue Lieblinge der Rechten
Sein Lob galt unterdessen nicht etwa den führenden Stimmen europäischer Sicherheitsarchitektur, sondern zwei illustren Persönlichkeiten: Giorgia Meloni, Italiens postfaschistische Premierministerin, und Friedrich Merz, dem konservativen Merkel-Nachfolger in Deutschland. Beide würden Europa wieder in rationale Bahnen lenken, so Simonyi.
Dass Simonyi für diese Thesen ausgerechnet von Budapest aus spricht, wo die Regierung Orbán regelmäßig EU-Beschlüsse zur Ukrainehilfe blockiert und auch den NATO-Beitritt Finnlands verzögerte, offenbart eine doppelte Agenda. Während man sich rhetorisch als Fürsprecher europäischer Souveränität geriert, praktiziert die ungarische Diplomatie de facto Realpolitik zugunsten Moskaus. Der Preis ist hoch: seit Jahren wird von Ungarn gegen 26 Beschlüsse von 26 Mitgliedsstaaten ein Veto eingelegt.
Bitter wirkt Simonyi betreffend der reltiven Unwichtigkeit Orbáns in der Ukraine-Frage. So gab es scheinbar kein Gespräch nach dem Treffen Trumps mit Putin in Alaska. Dass Orbáns Nähe zu Trump nicht automatisch zu Einfluss führt, frustriert.
Politische Strategie mit historischem Zynismus
Simonyis Aussagen stehen gewissermaßen exemplarisch für einen politisch motivierten Geschichtsrevisionismus, in dem der Westen seine eigenen „Verräter“ ins Visier nimmt und gleichzeitig illiberale Bündnisse hoffähig gemacht werden. Das bekannte Muster: Zuerst die EU delegitimieren, dann ihre Institutionen blockieren, schließlich den autoritären Schulterschluss als gangbare Alternatie verkaufen.
Was bleibt, ist ein bemerkenswert offener Einblick in das strategische Denken jenes Teils der ungarischen Elite, der längst den Bruch mit westlicher Integrationslogik vollzogen hat – nur, dass er diesen Bruch rhetorisch als Rettung Europas verkauft, während Wirtschaftsdaten und Gesellschaftliche Indikatoren das Gegenteil nahelegen: Es gibt keine „Europa der Nationen“ – hinter der vorgegeben Alternative steht ein ordinärer Rückzug ins Nationale, ins kulturell-, wirtschaftlich- und gesellschaftlich-Abgekapselte. Dass ein ehemaliger Diplomat dabei zur publizistischen Attacke gegen eine der prägendsten europäischen Politikerinnen der Nachkriegszeit bläst, passt zum Gesammtzustand der ungarischen Außenpolitik.
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