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„Die Kraft von Liebe und Einheit“ – Skurriles PR-Spektakel in Budapest – Orbán beim Treffen der Digitalen Bürgerkreise

Rhetorische Höchstleistungen

Budapest. Beim ersten nationalen Treffen der sogenannten Digitalen Bürgerkreise (Digitális Polgári Körök – Digital Civic Circles) inszenierte sich Viktor Orbán am Samstag in der Papp László Sportarena als Friedensprophet, Vaterlandsretter und spiritueller Mentor und verlor sich dabei zwischen Pathos, Populismus und bizarren Botschaften. Mit Slogans wie „Make Hungary Great Again“ und dem bemerkenswert esoterischen Bekenntnis „Wir glauben an die Kraft von Liebe und Einheit“ versuchte der Ministerpräsident, seine autoritäre Herrschaft in eine patriotische Erweckungserzählung umzudeuten. Ein skurriler Auftritt, der viel über den Zustand der Regierung aber wenig über die Zukunft des Landes erzählt.

Ein Festival der Selbstbeweihräucherung

Während auf den Rängen Fahnen geschwenkt wurden und rechte Influencer Autogramme gaben, inszenierte sich Viktor Orbán in gewohnter Manier als Vater der Nation – und zugleich als ihr einziger legitimer Sprecher. Zwischen seinen üblichen Warnungen vor Brüssel, Migranten und „globalistischen Eliten“ verkündete er einen neuen Leitsatz: „Wir glauben an die Kraft der Liebe und Einheit.“

Eine Formulierung, die in ihrer Widersprüchlichkeit besticht – nicht zuletzt, da Orbán in den vergangenen 15 Jahren mit systematischer Spaltung, mediengelenkter Hetze und nationaler Abschottung regiert hat. Dass gerade er nun zur Einigkeit aufruft, kann man als zynischen Scherz oder als gelungenen PR-Schachzug deuten. Beides wäre plausibel.

Vom Bibó-Kolleg zur Bibelrhetorik

Die Inszenierung von Orbán als Prophet einer „großen, reichen, siegreichen“ Nation kulminierte in einer bemerkenswerten Rückblende: „Als ich jung war, dachte ich, dass wir Ungarn das 20. Jahrhundert verloren haben – aber das 21. Jahrhundert gewinnen werden.“
Was wie eine Vision klingt, verklärt die Realität: Orbán selbst war es, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als liberaler Aktivist für Demokratie eintrat. Seine Wandlung zum nationalkonservativen Machttechnokraten ist inzwischen Legende – doch die Rückkehr zu gefühligen Botschaften, zur Sprache von Hoffnung und Gemeinschaft, weckt Erinnerungen an seine jugendlichen Jahre.

Nur dass es sich heute um die synthetische Version eines Gefühls handelt, das von der Bühne herab verordnet wird – nicht mehr aus Überzeugung, sondern zur Mobilisierung.

Da hat wer von Donald Trump abgeschaut: Martialischer Auftritt auf dem DPK (Digitális Polgári Körök – Digital Civic Circles). Photo: MTI.hu

„Make Hungary Great Again“

„Wir werden Ungarn groß machen“, verkündete Orbán – und zitiert damit ungeniert den Slogan des wieder-amtierenden US-Präsidenten Donald Trump. Dass Orbán dabei seit 2010 ununterbrochen an der Macht ist, scheint in seiner Erzählung keine Rolle zu spielen. Meint er gar Trianon? Es bleibt bewußt vague – schlussendlich hat die Fidesz die Verantwortung über die letzten fünfzehn Jahre, also auch über das kleine Ungarn, dass sich metaphorisch aufdrängt.

„Unsere Feinde wollten uns klein und arm halten – für alle Ewigkeit“
, so Orbán. „Doch wir haben entschieden, dass es diesmal nach unserem Willen geht.“

Wer genau diese Feinde sein sollen, bleibt ebenso vague wie vieles an diesem Tag. Brüssel wird wie immer zum Sündenbock stilisiert, die Opposition als destruktiv gebrandmarkt, allen voran Péter Magyar und die TISZA-Bewegung. Ihnen wird unterstellt, Ungarn dem IWF und den „Multis“ auszuliefern, wie Bau- und Infrastrukturminister János Lázár ausführte: „Wer Magyar wählt, bekommt den IWF zurück.“ Immerhin: George Soros scheint mittlerweile aus dem Schneider.

Digitale Bürger Top-Down

Die Digitalen Bürgerkreise geben sich als offene Bewegung von unten, tatsächlich jedoch handelt es sich um eine Top-down-Initiative, die an frühere Strukturen wie die Polgári Körök erinnert – ebenfalls ein Netzwerk zur politischen Mobilisierung unter Fidesz-Flagge.
Laut Parteichefin Alexandra Szentkirályi gehe es darum, „Frauen eine Stimme zu geben“, insbesondere in Sicherheitsfragen. Feministische Anliegen seit jeher ablehnen aber sich nun frauenfreundlich geben – das passt ins Bild des neuen, weichgezeichneten Patriotismus.

Auch im Auftritt des Fidesz-Europaabgeordneten Tamás Deutsch zeigte sich die Widersprüchlichkeit: Er bezeichnete den ehemaligen Generalstabschef Romulusz Ruszin-Szendi, heute TISZA-Verteidigungssprecher, als gewaltbesessen, weil dieser bewaffnet zu einem townhall-Treffen erschienen sei. Die „Kultivierung von Gewalt“ nannte Deutsch „empörend“.

Pathos, Propaganda, Personalismus

Orbáns Auftritt vereinte alle Elemente, die seine Reden seit Jahren prägen: Feindbilder, historische Mythen, ökonomische Versprechungen und moralische Überhöhung.
Er kündigte erneut Steuererleichterungen an – darunter die vollständige Steuerfreiheit für Mütter mit zwei oder mehr Kindern -, das „größte Wohnbauprogramm Europas“ und eine „fantastische Nationenbau-Offensive“. Gleichzeitig warnte er vor einem „brutaleren Wahlkampf als je zuvor“, ausgelöst angeblich durch die „Hass-Propaganda“ der Opposition. Die Felle drohen davonzuschwimmen: Tisza dominiert in Wahlumfragen hartnäckig.

Am Ende stand der Vorschlag, das nächste Treffen am 23. Oktober als Friedensmarsch abzuhalten – unter dem „offenen Himmel des lieben guten Gottes“. Wer im Inneren autoritär regiert, gibt sich gern als Friedensstifter.

Skurril, skurriler, Orbán.

Ein Satz bleibt hängen

„Wir glauben an die Kraft von Liebe und Einheit“ – diese Worte hätte man vor 30 Jahren vielleicht einem liberalen Studentenführer wie dem jungen Orbán abgenommen. Heute wirken sie wie ein Zitat von einem Althippietreffen. Sie passen nicht zu einem System, das Medien zerschlägt, kritische Stimmen kriminalisiert und Oppositionelle diffamiert.

Quelle: MTI.hu
Abdruck frei bei Quellenangabe: Pester Lloyd – www.pesterlloyd.net
Kontakt zur Redaktion: [email protected]

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