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Kalter Herbst in Europa: Ungarn warnt in Kopenhagen vor Eskalation und blockiert Ukraine-Annäherung

Budapest/Kopenhagen/Kyiv. Im Rahmen des informellen EU-Gipfels der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Kopenhagen hat die ungarische Regierung ihren außenpolitischen Kurs bekräftigt: Ablehnung einer militärischen Lösung im Ukrainekrieg, Widerstand gegen eine EU-Mitgliedschaft Kyivs, Warnung vor sicherheitspolitischen Kompetenzverschiebungen in Richtung Brüssel. Ministerpräsident Viktor Orbán und Mitglieder seines Kabinetts zeichneten ein Bild wachsender Kriegsgefahr in Europa, die aus ihrer Sicht nicht von Russland, sondern aus den institutionellen Zentren der EU ausgehe. Rhetorische Eskalation im Vorwahlkampf.

Orbán im rhetorischen Kriegsmodus

Orbán erklärte, die kommenden Monate würden vom „Kriegsszenario“ Brüssels geprägt sein. Dieser Plan sehe vor, dass die Ukraine mit europäischer Hilfe militärisch gestärkt werde, um die russischen Streitkräfte auf der aktuellen Frontlinie zu stoppen, während die russische Wirtschaft durch Sanktionen zermürbt werde. Der Premier bezweifelte sowohl die wirtschaftliche Tragfähigkeit als auch die strategische Klarheit dieses Ansatzes. Europa verfüge nicht über die Mittel, diesen Plan umzusetzen, während gleichzeitig Geld für Modernisierung und Entwicklung fehle. Die gegenwärtige Strategie nütze ausschließlich den USA, deren Waffen gekauft würden.

In deutlicher Abgrenzung bekräftigte Orbán, Ungarn verfolge einen diplomatischen Lösungsansatz. Die ungarische Regierung fordere Verhandlungen mit Russland, unabhängig von den Vereinigten Staaten. Die Alternative sei eine Eskalation, in der Europa selbst zur Kriegspartei werde. Die geplante Integration der Ukraine in EU-Strukturen lehnte Orbán kategorisch ab. Diese sei aus ungarischer Sicht gefährlich, wirtschaftlich nachteilig und politisch nicht legitimiert. Er verwies auf ein angebliches Referendum in Ungarn, das eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine abgelehnt habe. Ein solches Referendum hat bislang jedoch nicht stattgefunden, wenn es nach demokratischen Qualitätsmerkmalen geht – Umfragen unter Fidesz-Anhänger sind kein Referendum, auch wenn Orbán den Unterschied nicht wahrhaben will.

Europapolitik bald ohne Ungarn?

Europaminister János Bóka kritisierte den Versuch der EU-Kommission, das Einstimmigkeitsprinzip in Erweiterungsfragen zu umgehen. Ein kurzfristig vom Tisch genommener Vorschlag hätte eine Zwei-Drittel-Mehrheit für einzelne Schritte der Ukraine-Annäherung vorgesehen. Aus ungarischer Sicht sei dies ein institutioneller Tabubruch. Brüssel verfolge laut Bóka bereits einen alternativen Plan, um über verfahrensrechtliche Umgehungen Fortschritte zu erzielen. Dem werde man sich entschieden widersetzen. Wie demokratisch ein Veto-Recht in einem von 27 Ländern besetzten Gremium tatsächlich ist, darüber lässt sich streiten. Dänemark und andere Länder haben die Geduld mit Ungarns Blockadekurs zugunsten Russlands verloren und fordern einen Entzug des Stimmrechts Ungarns – eine Maximalstrafe.


Bóka warnte zudem vor der geplanten Nutzung eingefrorener russischer Vermögen zur Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Summe dieser Vermögenswerte bezifferte er auf 140 bis 150 Milliarden Euro. Ein solcher Schritt sei rechtlich, finanziell und politisch riskant. Auch beim Thema Energiesicherheit warf Bóka der Kommission vor, strategische Entscheidungen ohne gesicherte Finanzierung und ohne ausreichende Rücksprache mit den Mitgliedstaaten zu treffen.

Militärische Provokationen

Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky betonte bei der Militärübung Adaptive Hussars 2025 in Ostungarn, dass die Streitkräfte des Landes gemäß einem langfristigen Plan aufgerüstet würden. Die Übung, bei der auch türkische Truppen und moderne Luftwaffesysteme beteiligt waren, diene der Vertiefung militärischer Zusammenarbeit mit NATO-Partnern. Ziel sei ein kampffähiges, professionelles Militär. Der Generalstabschef betonte die strategische Bedeutung solcher Fähigkeiten angesichts der geographischen Gegebenheiten Ungarns. Zur jüngsten Eskalation der Beziehungen zur Ukraine durch ungarische Drohnen über Transkarpatien schwieg der Verteidigungsminister.

In der Innenpolitik verteidigte Kanzleramtsminister Gergely Gulyás die Fortsetzung des Ausnahmezustands, der aufgrund des Ukrainekriegs verhängt wurde. Dieser werde planmäßig im Parlament diskutiert und laufe im November aus. Eine Beeinträchtigung der für 2026 angesetzten Wahlen sei ausgeschlossen. Gulyás wies darauf hin, dass auch in anderen Ländern Wahlen unter dieser Rechtslage durchgeführt worden seien. Zugleich nutzte er die Gelegenheit, die oppositionelle Tisza-Partei anzugreifen. Diese gefährde laut Gulyás die innere Sicherheit und plane Steuererhöhungen. Es handle sich um eine Partei von „Verrätern“, die Versprechen abgebe, die sie nicht einlösen wolle.

Demonstrativ Cool und schweigsam über die jüngste Verletzung der Souveranität der Ukraine: Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky.

Ukraine Bashing

In einem weiteren außenpolitischen Konflikt reagierte Budapest auf Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der Ungarn indirekt für seine Energiepolitik kritisiert hatte. Außenminister Péter Szijjártó forderte Respekt gegenüber Ungarn und erinnerte daran, dass innerhalb der EU keine Entscheidung ohne ungarische Zustimmung möglich sei. Die Ukraine sei auf diese Hilfe angewiesen, ob es ihr gefalle oder nicht. Wie lange das noch so bleibt hängt auch davon ab, wie weit Ungarn die Europäischen Partner noch irgendwie hinhalten kann: Dänemark und andere Staaten sind bereits für einen Stimmrecht-Entzug Ungarns, angesichts der Russlandfreundlichen Blockadepolitik seit dem Ukrainekrieg.

Orbán bekräftigte darüberhinaus erneut die grundsätzlich ablehnende Haltung Ungarns gegenüber der Ukraine. Eine Integration sei ausgeschlossen. Kyivs Lage sei zu instabil, das Land habe einen erheblichen Teil seines Territoriums verloren, sei im Krieg und habe keine definierten Ostgrenzen. Ungarn wolle helfen, aber sich nicht „an das Schicksal der Ukraine binden“.

Quellen: MTI.hu
Photos: MTI / Zoltán Fischer, János Mészáros

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