Brüssel/Kyiv. Im Schatten des Krieges und doch von europäischer Bedeutung: Die EU hat mit Wirkung vom 24. Juli 2025 sämtliche neuen Finanzhilfen an die Ukraine eingefroren. Präsident Volodymyr Zelenskyj unterzeichnete am 23. Juli das umstrittene Gesetz Nr. 12414. Dieses stellt die National Anti‑Corruption Bureau (NABU) und die Specialized Anti‑Corruption Prosecutor’s Office (SAPO) vollständig unter die Autorität der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wodurch sie ihre weitgehende institutionelle Unabhängigkeit verlieren.
In einer als diplomatischen Mitteilung informierte die EU die ukrainische Regierung am 24. Juli über die Suspendierung sämtlicher EU-finanzierter Programme. Darunter der EU‑Anteil aus dem ERA‑Kreditprogramm (Extraordinary Revenue Acceleration), darunter Gewinne aus rund 20 Milliarden Dollar an eingefrorener russischer Aktiva, sowie Finanzierungen der EBRD und EIB.
Das Ukraine‑Facility‑Programm, das nach dem Prinzip „Geld für Reformeinhaltung“ arbeitet, wurde noch nicht vollständig blockiert. Die Auszahlung der vierten Tranche wurde jedoch von ursprünglich 4,5 Milliarden Euro auf etwa 3,05 Milliarden reduziert, da mehrere Indikatoren dementsprechend ausfielen.
Korruptionsbekämpfung – quo vadis?
Selenskyjs Unterschrift unter Gesetz 12414 löste im gesamten Land Proteste aus: In Kyiv sowie in Odessa, Lviv, Dnipro und Ivano‑Frankivsk gingen Tausende auf die Straße, um gegen den Abbau demokratischer Antikorruptionsmechanismen zu protestieren.
Von EU‑Seiten wurde die Entscheidung als ein ernsthafter Rückschritt im Reformprozess gewertet. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte eine Erklärung, während die EU‑Kommissarin für Erweiterung, Marta Kos, den Schritt als „schwerwiegenden Rückschritt“ bezeichnete. Auch Frankreich und Deutschland drängten auf Rücknahme der Maßnahme.
Finanzielle Dimension
Bislang wurden unter dem Ukraine‑Facility‑Programm nur ca 3,7 Milliarden Euro von geplanten 12,5 Milliarden ausgezahlt. Bei ERA wurden 8 Milliarden von insgesamt etwa 18 Milliarden bereitgestellt.
Ein Versäumnis der verbleibenden Reformen – darunter die Dezentralisierungsreform, ARMA‑Gesetzgebung sowie Besetzungsverfahren im High Anti‑Corruption Court (HACC) – könnte bis zu 1,5 Milliarden an weiteren EU‑Zahlungen kosten.
Wie hoch die summierten Einbußen ausfallen können, zeigt eine Prognose von RRR4U: Bis zu 60 Milliarden Dollar könnten der Ukraine entgehen, falls NABU und SAPO dauerhaft in ihrer Unabhängigkeit untergraben bleiben.
Premierministerin Julija Swyrydenko bereitet sich auf Gespräche mit IWF und US‑Finanzministerium vor, um die entstandenen Finanzierungslücken für 2025/26 zu überbrücken. Allein 17,7 Milliarden werden benötigt, um die verteidigungsbedingten Ausfälle abzusichern.
Innen‑ und außenpolitische Signale
Die Ukraine, wirtschaftlich und militärisch vom Westen abhängig, kann sich keine Rückschritte in der Rechtsstaatlichkeit leisten ohne das Risiko erheblicher langfristiger Verluste der EU‑Integration und internationale Legitimität.
Zelenskyj betont, der Schritt diene dem Schutz vor russischem Einfluss und habe eine militärische Funktion. Doch ohne konkrete Belege wirkt das Argument allzu leicht wie ein Vorwand zur Schwächung und politischer Kontrolle über Korruptionsbekämpfungsinstitutionen.
Brüssel und die EU‑Regierungen haben die klare Erwartung formuliert: Gesetz 12414 muss vollständig rückgängig gemacht oder durch ein paketweises Reformgesetz mit Rückwirkung ergänzt werden. Es wird erwartet, dass die Wertevorgaben vollständig wiederhergestellt sein müssen, bevor neue Finanzmittel freigegeben werden.
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