Die ukrainische Staatssicherheit (SBU) hat erstmals eine Agentenzelle der ungarischen Militärnachrichtendienste enttarnt – ein diplomatischer Schlagabtausch mit Budapest ist die Folge. Hinter dem Spionageskandal steht mehr im Raum.
Mit der Festnahme zweier mutmaßlicher Agenten der ungarischen Militäraufklärung in der Westukraine erreicht der schwelende Konflikt zwischen Budapest und Kiew eine neue Eskalationsstufe. Die Vorwürfe wiegen schwer: Spionage gegen ein Land im Krieg, gezielte Ausforschung militärischer Schwachstellen, Aufbau eines Nachrichtennetzwerks mit Blick auf einen möglichen ungarischen Militäreinmarsch. Budapest dementiert vehement, reagiert jedoch mit der Ausweisung ukrainischer Diplomaten – und verstärkt so den diplomatischen Bruch inmitten eines geopolitischen Krisenraums.
Die Geschehnisse
Die Sicherheitsbehörde der Ukraine (SBU) veröffentlichte am 9. Mai Details einer verdeckten Operation, bei der ein Netzwerk der ungarischen Militäraufklärung (Katonai Nemzetbiztonsági Szolgálat) in der Oblast Transkarpatien aufgedeckt worden sein soll. Demnach wurden zwei Agenten verhaftet, darunter ein ehemaliger Soldat und eine frühere Angehörige der ukrainischen Sicherheitskräfte. Die Zelle habe seit 2021 Informationen über militärische Verteidigungsstellungen, Luftabwehrsysteme und gesellschaftspolitische Stimmungen in der mehrheitlich ungarischsprachigen Region gesammelt.
Die Zielsetzung des Netzwerks war laut SBU bemerkenswert konkret: Erkundung der Reaktion der Bevölkerung und Sicherheitsorgane auf ein mögliches Einrücken ungarischer „Friedenstruppen“ – ein Szenario, das die politische Fantasie übersteigt, jedoch aus ukrainischer Sicht einen alarmierenden Präzedenzfall darstellt.

Budapest reagiert – Dementi und Gegenmaßnahme
Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó wies die Vorwürfe kategorisch zurück. In einem auf Facebook verbreiteten Statement sprach er von „ukrainischer Propaganda“, die einzig dem Zweck diene, Ungarn international zu diskreditieren. Als Vergeltungsmaßnahme erklärte die Regierung Orban zwei ukrainische Diplomaten in Budapest zur persona non grata.
„Wir tolerieren keine ständigen Verleumdungen durch die Ukraine gegen das ungarische Volk“, so Szijjártó. Der Minister deutete an, dass die ukrainischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der ungarischen Blockade westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine stehen könnten – ein langjähriger Streitpunkt zwischen den Regierungen Orban und Selenskyj.
Politischer Kontext: Zwischen Ethnokratie und Territorialphantasien
Der Vorfall muss im Kontext der ungarisch-ukrainischen Beziehungen gesehen werden, die seit Jahren durch Streitigkeiten über Minderheitenrechte, Sprachpolitik und militärische Kooperationen belastet sind. In der westukrainischen Oblast Transkarpatien leben schätzungsweise 150.000 ethnische Ungarn. Budapest beansprucht seit Jahren eine Schutzmachtrolle für diese Bevölkerungsgruppe, unterstützt sie finanziell und ideologisch – und provoziert damit regelmäßig die ukrainische Regierung.
Orban hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine 2022 mehrfach als Außenseiter innerhalb der NATO und EU profiliert. Während Brüssel und Washington militärische Solidarität mit Kiew bekunden, pflegt Budapest weiterhin bilaterale Kontakte mit Moskau und verzögert EU-Hilfsmaßnahmen.

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Sicherheitslage und internationale Implikationen
Die von der SBU geschilderten Aktivitäten – darunter das Ausspähen von S-300-Raketensystemen, die Suche nach Waffen auf dem Schwarzmarkt sowie Versuche zur Rekrutierung weiterer Informanten – lassen auf eine strategische Tiefe der Operation schließen, die weit über passive Nachrichtengewinnung hinausgeht.

Sollten sich die Vorwürfe letzlich bestätigen, stünde Ungarn im Verdacht, ein aktives Interesse an der Destabilisierung ukrainischer Souveränität zu verfolgen – oder zumindest, unter dem Deckmantel des Minderheitenschutzes, operative Vorbereitungen für territoriale Einflusssicherung zu treffen.
Eiszeit oder Eskalation?
Der diplomatische Fallout des Skandals wird über Wochen hinaus Wirkung zeigen. Bereits jetzt wird in Kiew laut über eine Begrenzung der ungarischen diplomatischen Präsenz nachgedacht. Der NATO dürfte der Vorgang höchst unangenehm sein – insbesondere im Hinblick auf die Kohärenz der Ostflanke.
Ein tieferes Zerwürfnis zwischen Ungarn und der Ukraine spielt letztlich nur einem Akteur in die Hände: dem Kreml, der in der Fragmentierung europäischer Solidarität seinen strategischen Gewinn sucht.
Zitate
„Dies ist das erste Mal in der Geschichte, dass wir eine ungarische Agentenzelle auf ukrainischem Boden nachweisen konnten.“ – SBU-Erklärung, 9. Mai 2025
„Die Ukraine verbreitet regelmäßig unwahre Anschuldigungen gegen uns. Wir lassen uns das nicht gefallen.“ – Péter Szijjártó, ungarischer Außenminister
Chronologie der Ereignisse
Datum | Ereignis |
---|---|
2021 | Agent aus Beregovo in „Standby-Modus“ versetzt (laut SBU) |
September 2024 | Aktivierung der Operation durch ungarischen Agentenführer (laut SBU) |
März 2025 | Zweites Treffen, Spezialtechnik übergeben (laut SBU) |
Mai 2025 | Veröffentlichung durch SBU, Verhaftung zweier Agenten |
9. Mai 2025 | Ungarn weist zwei ukrainische Diplomaten aus |
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