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Várhelyi weist Spionagevorwürfe zurück – EU-Kommission prüft ungarische Geheimdienstaktivitäten in Brüssel

Budapest/Brüssel: Olivér Várhelyi, ungarischer EU-Kommissar und langjähriger Vertrauter Viktor Orbáns, steht im Zentrum neuer Vorwürfe über mutmaßliche Spionageversuche ungarischer Geheimdienste gegen EU-Institutionen. Die Kommission prüft die Vorfälle, Várhelyi bestreitet jede Kenntnis.

Treffen bei wachsenden Spannungen

Am Sonntag kam EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einem vertraulichen Gespräch mit Olivér Várhelyi zusammen. Thema waren Berichte, wonach ungarische Geheimdienste in den Jahren 2012 bis 2018 versucht haben sollen, Beamte der Europäischen Kommission in Brüssel anzuwerben, um an interne Dokumente zu gelangen.

Laut Kommissionssprecherin Paula Pinho habe die Präsidentin den Kommissar direkt gefragt, ob er von Anwerbeversuchen ungarischer Dienste wisse, während er die Ständige Vertretung Ungarns bei der EU leitete. „Der Kommissar sagte, er sei über solche Versuche nicht informiert gewesen“, so Pinho. Die interne Untersuchungsgruppe der Kommission setze ihre Arbeit fort.

Ein Sprecher wollte sich nicht dazu äußern, ob Várhelyi weiterhin Zugang zu vertraulichen Dokumenten habe, und verwies auf die „operative Sicherheit“ der laufenden Ermittlungen.

Spurensuche

Ausgangspunkt der Affäre ist eine Recherche des ungarischen Investigativportals Direkt36, das gemeinsam mit belgischen, österreichischen und deutschen Partnern die mutmaßlichen Spionagetätigkeiten aufgedeckt hatte. Demnach sollen Mitarbeiter des ungarischen Geheimdienstes „Információs Hivatal“ (IH) unter diplomatischer Tarnung in Brüssel tätig gewesen sein, teils direkt aus der ungarischen Vertretung heraus, die zwischen 2015 und 2019 von Várhelyi geleitet wurde.

Ein ungarischer Beamter bei der EU-Kommission berichtete den Journalist:innen, ein Beamte der Vertretung habe versucht, ihn bei einem Treffen in Budapest dazu zu bewegen, geheime Kommissionsdokumente weiterzugeben – mit einem Appell an die gemeinsame nationale Identität: „Wir sind beide Ungarn, wir arbeiten für dasselbe Ziel.“ Der Versuch blieb erfolglos.

Die mutmaßlichen Operationen fielen in eine Phase zunehmender Spannungen zwischen der EU und der ungarischen Regierung, die Orbán selbst als „illiberale Demokratie“ bezeichnet. Bereits damals warf Brüssel Budapest vor, demokratische Institutionen und die Unabhängigkeit der Justiz systematisch zu untergraben.

Kultur als Deckmantel?

Nach Informationen belgischer Medien wird auch das „Haus von Ungarn“ in Brüssel von den Sicherheitsbehörden beobachtet. Die Einrichtung, 2024 nahe dem Amtssitz des belgischen Premierministers eröffnet, soll offiziell ungarische Kultur, Wissenschaft und Musik fördern. Belgisches Sicherheits­personal stuft solche staatlich finanzierten Kulturhäuser jedoch als potenzielles Risiko ein. „Die kulturelle Mission ist oft nur eine sekundäre Aufgabe„, zitiert die Zeitung De Tijd einen Geheimdienstvertreter.

Budapest weist den Verdacht entschieden zurück. Das Außenministerium bezeichnete die Berichte als Teil einer „politisch motivierten Verleumdungskampagne„. Beweise für illegale Aktivitäten gebe es keine.

Politische Verantwortung

Olivér Várhelyi, der 2024 für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissar bestätigt wurde, war zuvor bereits in leitender Funktion an der ungarischen Vertretung in Brüssel tätig. Als enger Vertrauter Orbáns gilt er in EU-Kreisen als eine der umstrittensten Figuren der Kommission, insbesondere wegen seiner als parteiisch empfundenen Haltung gegenüber der ungarischen Regierung.

Die Kommission steht nun vor einem heiklen Balanceakt: Einerseits gilt die Unschuldsvermutung, andererseits steht das Vertrauen in die Integrität ihrer Mitglieder auf dem Spiel. Sollte sich herausstellen, dass diplomatische Einrichtungen systematisch für nachrichtendienstliche Zwecke genutzt wurden, wäre dies ein schwerwiegender Bruch mit den Grundsätzen europäischer Zusammenarbeit.

Quellen: The Guardian, Direkt36, De Tijd, Reuters, Euronews, derStandard
Photo: European Commission Audiovisual Service

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