Kyiv. Nach massiven Protesten und wachsendem internationalen Druck korrigiert die ukrainische Regierung einen umstrittenen Gesetzesbeschluss. Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnete am Donnerstag ein neues Gesetz, das die Unabhängigkeit zentraler Antikorruptionsbehörden wiederherstellt – und damit eine Eskalation im Verhältnis zur EU vorerst abwendet.
Vor kaum einer Woche hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) sowie die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAPO) der Aufsicht durch den Generalstaatsanwalt unterstellen sollte – ein Schritt, der international als massiver Rückschritt gewertet wurde. Die EU reagierte umgehend und fror mehrere Integrationszahlungen ein. Es drohte ein politischer Erosionsprozess im Zentrum der ukrainischen EU-Ambitionen.
Nun also der Rückzieher: Mit 331 Stimmen bei null Gegenstimmen votierte die Rada am Donnerstag für ein neues Gesetz, das die Unabhängigkeit der beiden Institutionen explizit garantiert. Präsident Selenskyj sprach von einer „richtigen Entscheidung“ und würdigte zugleich die Proteste, die diesen Kurswechsel erzwungen hatten. „Es ist sehr wichtig, dass der Staat auf die öffentliche Meinung hört“, erklärte er.
In der Hauptstadt Kyiv hatten sich tagelang Hunderte, überwiegend junge Demonstrierende versammelt – ein bemerkenswertes Signal unter Kriegsrecht und anhaltendem russischem Raketenbeschuss.
„Einheit ist im Krieg wichtig, aber noch wichtiger sind die Werte, die unsere Soldaten verteidigen“, sagte eine 19-jährige Studentin gegenüber dem Guardian.
Die Rücknahme des Gesetzes markiert nicht nur ein innenpolitisches Einlenken, sondern ist auch als diplomatisches Signal an Brüssel zu verstehen. Mehrere EU-Vertreter hatten zuvor in ungewöhnlich deutlicher Form vor „verheerenden Folgen“ für die europäische Perspektive der Ukraine gewarnt. Der Protest gegen die Demontage der Korruptionsbekämpfung war damit zu einem Lackmustest für die demokratische Substanz des Landes geworden.
Hintergrund der ursprünglichen Gesetzesinitiative dürften aktuelle Ermittlungen von SAPO und NABU gegen 31 aktive Abgeordnete gewesen sein. Deren Ausschaltung wäre ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit des ukrainischen Reformprozesses gewesen – insbesondere mit Blick auf den EU-Beitrittskandidatenstatus, der an rechtsstaatliche Fortschritte gebunden ist.
Durch das Einlenken der Regierung ist eine unmittelbare institutionelle Krise abgewendet. Die Frage aber bleibt, wie tragfähig die politischen Grundlagen des ukrainischen Reformkurses im Kriegszustand tatsächlich sind und wie viel Druck aus Brüssel künftig nötig sein wird, um Rückschritte zu verhindern. Die ukrainische Demokratie hat ihre Vitalität demonstriert. Sie bleibt unter Beobachtung.
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