Ungarns energiepolitische Rhetorik zwischen Zweckbündnissen, Abhängigkeiten und geopolitischem Isolationismus
Budapest/Bukarest/Brüssel. Die ungarische Regierung inszeniert sich weiterhin als Verteidiger nationaler Souveränität in Energiefragen: gegen Brüssel, gegen Kyiv, aber zunehmend auch gegen die Realität. Außenminister Péter Szijjártó verkündete in den vergangenen Tagen eine Reihe bilateraler Gespräche, energiepolitischer „Durchbrüche“ und weiterer Partnerschaften – ein genauerer Blick offenbart vor allem rhetorische Nebelgranaten, widersprüchliche Allianzen und ein wachsende geopolitische Selbstisolation.
Von wegen Gleichklang mit Rumänien
Nach einem Telefonat mit dem neuen rumänischen Energieminister Bogdan-Gruia Ivan erklärte Szijjártó, die energiepolitischen Interessen beider Länder seien „vollständig deckungsgleich“. Eine Behauptung, die sich bei näherer Betrachtung kaum halten lässt: Während Ungarn seine Energiepolitik weiterhin eng mit russischen Importen verknüpft und die Ukraine regelmäßig zum Sündenbock für eigene Versorgungslücken erklärt, zählt Rumänien zu den verlässlichen Partnerstaaten innerhalb der EU, die eine schnelle und nachhaltige Unabhängigkeit von russischen Energieträgern anstreben – sei es durch Offshore-Gasprojekte im Schwarzen Meer, LNG-Infrastruktur oder durch Beteiligung an paneuropäischen Netzen.
In Brüssel gilt Bukarest als konstruktiver Akteur- nicht als Gegner europäischer Energie- und Sanktionspolitik. Dass Rumänien in Budapest nun zum „Schlüsselpartner“ stilisiert wird, sagt deshalb wenig über echte Konvergenzen aber viel über Ungarns wachsende Notwendigkeit, überhaupt noch als kooperationsfähig zu erscheinen.
Neue Gasverträge, alte Abhängigkeit
Szijjártó kündigte den Abschluss eines neuen „langfristigsten westwärts gerichteten “ Gasvertrags an. Über Inhalte und Partner schweigt er sich aus. Was bleibt, ist der Eindruck eines angekündigten Manövers zur medialen Aufwertung der Regierungspolitik. Faktisch ist Ungarn weiterhin stark abhängig von russischem Erdgas und Rohöl, wie sich zuletzt erneut zeigte, als ukrainische Angriffe auf russische Energieinfrastruktur zeitweise die Lieferungen durch die Druzhba-Pipeline unterbrachen.
Dass die Versorgung aktuell nicht beeinträchtigt sei, wie Szijjártó betont, ändert nichts daran, dass der eigentliche Risikofaktor weniger in der Ukraine als im Festhalten an russischen Energielieferungen liegt. Während fast alle EU-Staaten – darunter auch Länder mit ähnlich abhängiger Infrastruktur – den Zeitgeist erkannt haben und an Alternativen arbeiten, behauptet Budapest weiterhin, es gäbe „physikalisch keine andere Möglichkeit“. Die Erzeugung dieses politischen Dogmas wird zum Sicherheitsrisiko für Ungarn.
Die Trump-Connection: Solidarität mit Widerspruch
Besonders grotesk mutet in diesem Kontext die außenpolitische Selbstvergewisserung über Washington an. Nachdem Donald Trump kürzlich in einem offenen Brief seine „Wut“ über die europäische Ukraine-Politik zum Ausdruck brachte und sich gleichzeitig demonstrativ mit der Orbán-Regierung solidarisierte,
“Viktor — I do not like hearing this. I am very angry about it. Tell Slovakia,”
beklagte er nur wenige Tage später öffentlich, dass europäische Staaten weiterhin russisches Öl kaufen: eine Praxis, die in der EU nahezu ausschließlich von Ungarn und der Slowakei beabsichtigt wird.
Budapest reklamiert diese Solidaritätsbekundung dennoch als Legitimation des eigenen Sonderwegs: internationale Unterstützung wird herbeigeredet, Kritik systematisch ausgeblendet oder gar als feindliche Kampagne abgetan.
Angriffslust statt Kooperation
Flankiert wird dies durch eine erneute Offensive gegen Brüssel. Fidesz-MdEP András Gyürk warf der EU „stratosphärische Doppelstandards“ vor, weil sie der Ukraine einen Kredit zur Gasbeschaffung ermöglicht habe, während russisches Gas in der EU sanktioniert werde. Dass der Großteil ukrainischer Importe über EU-Staaten mit russischem Gas vermischt wird, ist bekannt, aber keine gezielte Umgehung sondern Folge komplexer Infrastruktur.
Die Argumentation aus Budapest ignoriert zudem den Kern der EU-Sanktionspolitik: Sie zielt auf ein schrittweises, aber strukturiertes Zurückfahren der Abhängigkeit, nicht auf einen abrupten Totalboykott, der einzelne Mitgliedstaaten in eine Versorgungskrise stürzt. Ungarn poch auf rein nationale Interessen, während es europäische Hilfsmechanismen in Anspruch nimmt.
Unversöhnlich
Auch gegenüber der Ukraine bleibt der Ton konfrontativ. Szijjártó machte erneut deutlich, dass die Verantwortung für die verschlechterten Beziehungen „ausschließlich bei Kyiv“ liege – wegen angeblicher Minderheitenpolitik gegen die ungarische Volksgruppe in Transkarpatien. Die Einladung des ukrainischen Außenministers Andrii Sybiha nach Budapest wird unter diesen Vorzeichen spannend.
Parallel dazu zieht Szijjártó weitreichende Linien, wenn er von einem „Krieg gegen patriotische Politiker“ in Europa spricht – mit Verweisen auf Serbien, die Slowakei, Frankreich, Deutschland und Bosnien. Ein Narrativ, das über die Energiepolitik hinausweist und gezielt Ressentiments gegen westliche Demokratien befeuern soll.
Ein Kurs ohne Richtung, aber umso lauter
Ungarns energiepolitische Außenkommunikation ist ein taktisches Mosaik aus geopolitischer Selbstbehauptung, selektiver Fakteninterpretation und innenpolitischer Mobilisierung. Während der Verweis auf „technische Notwendigkeiten“ die russische Anbindung rechtfertigt, wird zugleich der Schulterschluss mit westlichen Rechtspopulisten gesucht – etwa durch Trump oder durch die ewige Rhetorik gegen Brüssel.
Es bleibt ein Sammelsurium aus unbelegbaren Thesen, Antagonismen und Zweckallianzen; der geopolitischer Preis wird nicht nur in Ungarn bezahlt. Als Randnotiz: ein Handelsabkommen der EU mit den MERCOSUR-Staaten wurde von Ungarn natürlich kritisiert und abgelehnt.
Quellen: MTI.hu
Titelbild: Jan Arrhénborg / AGA
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