Budapest. Arbeitgeberverbände in Ungarn fordern eine Neuverhandlung des Mindestlohnabkommens, das im November 2024 zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeberseite für die Jahre 2025 bis 2027 geschlossen wurde. Das Abkommen sieht eine gestaffelte Anhebung des Mindestlohns um neun Prozent ab 2025, 13 Prozent ab 2026 und 14 Prozent ab 2027 vor. Nun argumentiert die Arbeitgeberseite, die ökonomischen Annahmen, auf deren Grundlage die Vereinbarung unterzeichnet wurde, hätten sich in einem Maße verändert, das ein Festhalten am Vertrag fragwürdig erscheinen lässt.
Arbeitgeber warnen vor Überforderung der Wirtschaft
László Perlusz, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes VOSZ, verwies auf das deutlich geringere Wirtschaftswachstum denn ursprünglich prognostiziert. Während bei Vertragsabschluss mit einem BIP-Zuwachs von rund 3,4 Prozent gerechnet worden war, liegt die aktuelle Prognose für 2025 unter einem Prozent. In dieser Lage sei die für 2026 vorgesehene Lohnsteigerung um 13 Prozent für viele Unternehmen nicht machbar. Arbeitgeber argumentieren außerdem, dass die Wettbewerbsfähigkeit in einer deutlich geschwächten Konjunktur durch zu starke Kostensteigerungen bei den Lohnkosten zusätzlich gefährdet werde.
Gewerkschaften setzen auf Unternehmensgewinne als Maßstab
Auf Gewerkschaftsseite wird die schwierige Lage nicht geleugnet. Imre Palkovics, Vorsitzender des Arbeitnehmerverbandes MOSZ, räumte ein, dass schwaches Wachstum und anhaltend hohe Inflation die Voraussetzungen für Neuverhandlungen geschaffen hätten. Er lehnt jedoch eine direkte Koppelung der Mindestlohnentwicklung an das BIP ab. Stattdessen schlägt er vor, die Löhne stärker an der Gewinnentwicklung der Unternehmen in den ersten drei Quartalen auszurichten. Damit ließe sich die reale wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besser abbilden. Zudem verweist Palkovics auf eine aktuelle Analyse des Wirtschaftsministeriums, nach der die Unternehmensprofitabilität in Ungarn im europäischen Mittelfeld liegt, während die Lohnkostenentwicklung nach wie vor zu den schwächsten in der EU zählt. Deshalb pochen die Gewerkschaften darauf, dass die zumindest für 2026 vereinbarte Erhöhung des Mindestlohns nicht geändert wird.
Politischer und wirtschaftlicher Kontext
Während die Regierung Orbán in den vergangenen Jahren regelmäßig mit kräftigen Lohnsteigerungen für MindestverdienerInnen soziale Akzente setzte, droht angesichts der konjunkturellen Abkühlung nun eine Belastungsprobe. Die Arbeitgeberseite drängt auf eine Anpassung des Vertrags, um aus ihrer Sicht überzogene Lohnsprünge zu vermeiden. Die Gewerkschaften wiederum sehen in einem Zurückrudern nicht nur eine Gefährdung der Kaufkraft, sondern auch einen Vertrauensbruch in das erst kürzlich etablierte Dreijahresmodell.
Neuverhandlung oder Kompromiss?
Ob es tatsächlich zu Nachverhandlungen kommt, hängt von der Auslegung der im Vertrag verankerten Anpassungsklausel ab. Diese erlaubt eine Neubewertung, wenn die ökonomischen Eckdaten signifikant von den Annahmen abweichen. Möglich wäre ein Kompromiss, etwa in Form einer gestreckten Anhebung oder durch staatliche Entlastungen, die die Kostensteigerungen für Unternehmen abfedern würden. Der Disput testet wie flexibel Sozialpartnerschaft und Regierung auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können, ohne den sozialen Frieden weiter zu gefährden.
Quellen: MTI.hu
Photo: Imre Palkovics über munkastanacsok.hu
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