Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Vor der Wahl 2026: Orbán inszeniert Stärke vs Tiszas Reformplan

Budapest. Viktor Orbán gibt sich kämpferisch gelassen: Im Gespräch mit Politico deutet er an, eine Wahlniederlage ohne Zögern hinzunehmen.

Orbáns gelassene Fassade

Viktor Orbáns jüngstes Interview mit Politico, geführt von Axel Springer CEO Mathias Döpfner, war als Stärkeprobe gedacht, als souveräne Selbstverortung eines Mannes, der seit fast 20 Jahren das Land dominiert. Herausgekommen ist ein Dokument bemerkenswerter Nervosität. Die wiederkehrende Botschaft, er habe genügend Erfahrung im Oppositionsdasein und fürchte eine Wahlniederlage nicht, klingt weniger nach Gelassenheit als nach Pflichtformel eines Politikers, der die Umfragen nicht mehr zu seinen Gunsten drehen kann.

Normalität herstellen

Die Aussage, er sei nicht nur Rekordhalter im Amt des Ministerpräsidenten, sondern auch im Oppositionsführer, wirkt wie ein Versuch, den eigenen Machtverlust historisch zu rahmen. Das Publikum soll glauben, Orbán kenne beide Seiten des Systems und könne notfalls artig Platz machen. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Fidesz ein solches Szenario hart bekämpfen würde. Die vergangenen Jahre zeigen, wie eng Regierung, staatliche Verwaltung, öffentlich finanzierte Stiftungen und Medienlandschaft miteinander verwachsen sind. Der Ministerpräsident präsentiert sich dennoch als alter Fahrtenführer, der jede politische Landschaft bereits durchschritten hat: „Don’t be afraid. I know how to continue.“

Europa als Fremdmacht

Das Interview offenbart zugleich das Fortbestehen der Regierungsstrategie, die politische Arena von innenpolitischen Fragen abzukoppeln und stattdessen ein geopolitisches Drama zu inszenieren. Der eigentliche Gegner sei nicht Péter Magyar, sondern Brüssel. Die EU sei ein „Gefahr für uns“, eine Kraft der wirtschaftlichen Erpressung. Orbán deutet an, die Wahl in Ungarn sei lediglich ein Schauplatz europäischer Einflussnahme, eine Wiederauflage des polnischen Machtwechsels, orchestriert von einem Zentrum, das er seit Jahren als feindliche Entität beschreibt. Dass diese Darstellung die realen Konflikte über Rechtsstaatlichkeit, öffentliche Ausschreibungen und Korruption systematisch entstellt, gehört längst zur Folklore des ungarischen Regierungslagers.

Die zugrunde liegende Unsicherheit

Doch der Interviewtonfall verrät mehr als die üblichen Schlagworte. Die Behauptung, Europa wolle „unsere Söhne“, „unsere Waffen“ und letztlich die nationale Souveränität, zielt auf jene Wählerschichten, die materiell längst spüren, wie fragil das existierende Wirtschaftsmodell ist. Die populistische Dämonisierung Brüssels hat die Aufgabe, ökonomische Verantwortung zu verschieben. Orbáns Politik, geprägt von hoher Abhängigkeit von russischer Energie, stagnierender Produktivität und Schwächung von Kontrollinstitutionen, bleibt hinter dem rhetorischen Feuerwerk unsichtbar.

Magyar als der Gegner, der keiner sein darf

Besonders auffällig wirkt der Versuch, Péter Magyar aus der Erzählung zu drängen. Der Oppositionsführer, der in den Umfragen stabil vor Fidesz liegt, soll im Diskurs des Ministerpräsidenten keine Hauptrolle spielen. Orbán erklärt, sein eigentlicher Gegner sitze nicht in Budapest, sondern in Brüssel. Doch je insistenter er dies behauptet, desto deutlicher wird, dass die Angst vor einer innerungarischen Alternative größer ist als die Abneigung gegen europäische Institutionen. Magyars Aufstieg trifft einen empfindlichen Punkt: Er formuliert eine Kritik, die nicht aus der traditionellen Oppositionslogik stammt, sondern aus dem System selbst – ein Stilbruch, der Orbáns Lager destabilisiert.

Tisza baut Strukturen, während Orbán redet

Während Orbán im Interview den politischen Kampf als globale Systementscheidung zeichnet, arbeitet die Tisza Partei an der praktischen Mechanik eines Machtwechsels. Péter Magyar kündigte auf Facebook den parteiinternen Nominierungsprozess an: Kandidaten stellen sich auf lokalen Seiten vor, abgestimmt wird Ende November, die endgültige Liste folgt am 30. November. Der Ablauf wirkt unscheinbar, markiert aber den Aufbau jener professionellen Struktur, die Fidesz lange monopolisiert hat. Magyar spricht von einem Land „voll von Menschen, die bereit für die Veränderung sind“ und setzt damit bewusst auf fachlich verankertes Personal. Während Orbán seine Position über geopolitische Bedrohung legitimiert, richtet Tisza den Fokus auf Korruption, Funktionsdefizite und institutionelle Erneuerung.
Quellen: Politico.eu, MTI.hu

Gib den ersten Kommentar ab

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Unabhängig - Pluralistisch - Traditionsreich - Europäisch - Die Zeitung für Ungarn und Osteuropa