Wien/Budapest. Anlässlich des ungarischen Nationalfeiertags zum 20. August hat der Staatssekretär im Ministerium für EU-Angelegenheiten, Barna Pál Zsigmond, in Wien mehr oder weniger das ideologische Kernprogramm der Orbán-Regierung verlesen: unter dem Titel der „nationalen Solidarität“, wie es in der offiziellen Verlautbarung heißt. Adressiert war die Rede formell an die Auslandsungarn, politisch jedoch vor allem an die heimische Stammwählerschaft.
Zsigmond beschwor ein „tausendjähriges Erbe“, das „in unserem Blut“ liege,eine Formulierung, die sich bestens in die völkisch aufgeladene Symbolik der Regierung fügt. Der Verweis auf ethnisch definierte Geschichtskontinuität ist Teil eines staatlich gepflegten Nationalmythos, der Identität über Herkunft und Abgrenzung definiert, nicht über demokratische Mitbestimmung oder gesellschaftliche Teilhabe. Völkisch, nicht republikanisch ist das Staatsverständis der ungarischen Regierung angelegt. Dass diese Rhetorik ausgerechnet in Wien zum Einsatz kommt, dem einstigen Zentrum der k. u. k. Monarchie, ist wahrscheinlich kein Zufall.

In der Sache äußerte sich Zsigmond kritisch zur Europäischen Union, sprach von einem „Europa in der Krise“, beklagte mangelnde starke Führung und schwache wirtschaftliche Perspektiven. Brüssel wurde einmal mehr als bürokratischer Apparat karikiert, dem es an Interesse für die „Völker Europas“ mangele. Dass Ungarn seit Jahren in einer Vielzahl von EU-Verfahren steht, etwa wegen Verstößen gegen rechtsstaatliche Standards, Medienpluralismus und die Zweckbindung von Fördermitteln, wurde erwartungsgemäß nicht erwähnt.
Hinter der aufgeladenen Sprache steht die strategische Dauerinszenierung einer Regierung, die innenpolitisch in höchster not auf immer radikalere symbolische Mobilisierung setzt, wo strukturelle Antworten ausbleiben. Die Beschwörung der nationalen Einheit über Grenzen hinweg – gemeint sind wahrscheinlich vor allem die ungarischen Minderheiten in Rumänien, der Slowakei, Serbien und der Ukraine – folgt einer bekannten Dramaturgie, die tatsächliche Probleme der Diaspora oft nur als rhetorische Projektionsfläche nutzt. Man will national-romantische Effekte erhaschen vor der Wahl im Frühjahr 2026.
Europa als Bedrohung für die nationale Souveränität – ein Narrativ, das in Budapest seit mittlerweile jahrzehnten kultiviert wird. Die strukturellen Ursachen für die wirtschaftliche Stagnation, den Exodus junger Fachkräfte oder den sinkenden Bildungsstandard werden derweil systematisch ausgeklammert.
Europa ist wiedermal schuld.
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