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(c) Pester Lloyd / 33 - 2015     GESELLSCHAFT    13.08.2015

 

Zum 13. August: Ein Zaun ist nicht genug - Aktuelles, Widerwärtiges und Ermutigendes von der "Flüchtlingsfront" in Ungarn

Das Niedrigste und das Edelste wird im Menschen wach in Zeiten der Krisen und des Chaos´. Ungarn exerziert diese alte Weisheit gerade in allen denkbaren Facetten durch. Hilfsbereitschaft, blanker Hass, Geschäftemacherei, Menschenfreundlichkeit und schlichte Dummheit wechseln sich fließend ab. Derweil zieht die Karawane der Flüchtlinge weiter, weil sie muss. Die Menschen wollen leben. Um sie aufzuhalten, will sich Orbán, der Führer Absurdistans, sogar auf einen Wettstreit mit dem Islamischen Staat einlassen. Die CDU steht an seiner Seite.

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Errichtung der provisorischen “temporären Sperranlage” zu Serbien durch ungarisches Militär, im Einsatz sind aber auch vom Staat zwangsverpflichtete Sozialhilfeempfänger und reguläre Häftlinge.

Ein Zaun ist nicht genug. Entlang der 177 Kilometer Grenze zu Serbien sollten doch besser zwei parallel verlaufende "zeitweise Grenzbefestigungen zum Schutz der Interessen der ungarischen und europäischen Menschen" errichtet werden, sagte Orbáns Kanzler Lázár mit einer Wortschöpfung, die an den "antifaschistischen Schutzwall" der DDR erinnert - passenderweise am heutigen Jahrestag desselben.

 

Zwar seien bisher nur "relativ wenige Grenzdurchbruchsversuche" verzeichnet worden (ein paar kriegsgestählte IS-Terroristen überwanden die Drei-Käse-Hoch-Absperrung mit Hilfe eines Baumstammes, der Rest waren überwiegend Rehe, die aber verreckten), doch, so Lázár bei einer "Fachkonferenz", man wolle den "Menschenschleppern und illegalen Wirtschaftsmigranten" ein "unmissverständliches Zeichen" geben.

So gesehen baut Ungarn nun also drei Zäune: einen provisorischen 1,50 Meter niedrigen aus NATO-Draht, damit Orbáns Terminsetzung eingehalten werden kann, dann den eigentlichen 3,50 Meter hohen Zaun aus Maschendraht mit Stacheldrahtkrone, Überwachungskameras sowie Lázárs Bonuszaun, zu dessen Ausstattung es noch keine Detailinformationen gibt. Aber die Spezifikationen werden ihm die sektkorkenknallenden Zulieferer sicher bald mit dem Provisionsscheck zustellen.

Alle 1,5 bis 2 Kilometer wird es übrigens eine Tür im Zaun geben, für spontane Begegnungen, Handel oder Grillfeste? Nein, für ad hoc-Rückabschiebungen durch die Grenzpolizei, ein seit 1. Jul gesetzlich gedecktes Vorgehen. Mehrere neue Flüchtlingscamps, ebenfalls stachelumdrahtet und mit bewaffneten Securities bewacht, Konzentrationslager also, sollen in Grenznähe und möglichst weit weg von bewohnten Orten entstehen.

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Natürlich keine Problemlösung, aber eine Linderung und ein Zeichen, dass man Probleme so oder so - oder gar nicht angehen kann.

Staatssekretär Gulyás deutete gestern an, dass die pauschale Verhaftung von Flüchtlingen, die Ungarn bis 2013 praktizierte, Flüchtlinge vom Eintritt in Ungarn abgehalten habe. Seit die "EU strengere Regeln für die Inhaftierungen anlegt" (die schon immer bestanden, aber von Ungarn ignoriert wurden und weniger mit der EU als mit dem Völkerrecht und der Flüchtlingskonvention zu tun haben), gebe es mehr Flüchtlinge. Zu "besten Zeiten" brachte Ungarn 75% der Ankömmlinge in Haft, einschließlich Kinder, erst die UNO, die EU und das eigene Oberste Gericht mussten einschreiten. Heute sind es 12-15%. Dass für den wieder anschwellenden Strom Flüchtender jedoch ganz andere Faktoren eine Rolle spielen, ist dem Staatssekretär egal, wenn die Behauptung dem Zweck dient, erneute kommende Masseninternierungen - es ist nichts anderes - rechtfertigen zu können.

Die Lage ist nun so: seit Ungarn den Zaunbau ankündigte, verdreifachte sich der tägliche Grenzeintritt von rund 600 auf ca. 1.800 Menschen - Menschen, - darunter viele, auch kleine Kinder, die man üblicherweise mitnimmt, wenn in der Heimat die Bomben fliegen und der IS die Messer wetzt, - die bei sengender Hitze durch die Puszta streifen und sich von der Polizei einsammeln lassen. Dann folgt die Registrierung, danach ziehen jene, die nicht verhaftet werden, weiter nach Budapest und von dort gen Westen - oder in eines der ungarischen Lager. Bis der Zaun fertig ist, werden auch die neuen Fluchtrouten - dann eben über Kroatien und Rumänien nach Ungarn fertig sein. Was bauen wir in Ungarn dann? Selbtschussanlagen?

Ex-Staatspräsident László Sólyom, ein Konservativer, der für Fidesz nicht plebejeisch, dumm und gehorsam genug war und deshalb 2010 abgesäbelt wurde und der sich vorgestern demonstrativ beim Verteilen von Hilfsgütern an Flüchtlinge in Malteser-Outfit ablichten ließ, musste sich von Orbáns Sturmtrupplern der CÖF (Bürgereinheitsfront, eine mit öffentlichen Geldern abgefüllte "NGO", bekannt für ihre "Friedensmärsche" zum Schutze Orbáns vor EU-Putschplänen etc.) zurechtweisen lassen. Nächstenliebendes Engagement sei ja ganz nett, so CÖF, der Ex-Präsident setze jedoch ein "unverantwortliches" Zeichen, laufe seine Handlung nämlich der "Regierungsintention" zuwider "die Belastung der Ungarn durch die Flüchtlinge so gering wie möglich zu halten." Daher müsse man leider auch seine Einladung, mitzutun, ablehnen. Schließlich ist CÖF damit beschäftigt das Land zu beschützen.

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Kekse für Flüchtlingskinder, verteilt durch einen Ex-Präsidenten, das ist für Orbáns Kampftruppe CÖF schon fast Landesverrat.

Die gerade - am untätigen Bürgermeister vorbei - eingerichteten Transitzonen für die durchreisenden Flüchtlingsmassen an den Budapester Bahnhöfen beginnen zu arbeiten und lindern etwas die größten Nöte (Wasser, Windeln, Nahrung, Telefon, Internet nach Hause, Kontaktaufnahmen zu Ämtern). Die Exekutivkräfte tun das bei tätiger Mithilfe von NGO´s und vieler privater Helfer, übrigens nicht nur in Budapest, sondern auch im Süden, wo den Flüchtlingen nicht nur Hass, sondern mitunter auch eine ausgestreckte Hand mit einem kühlenden Getränk und einem Lächeln entgegen"schlägt". Es gibt Leute, die nach Feierabend mit ihrem Auto Essen zu den Mitmenschen in ärgster Not bringen und es gibt etliche Leute, die - gesteuert über ungarische Schlepperagenturen - die Flüchtlinge zum Taxitarif nach Bayern fahren, wie wir von der dortigen Justiz hören. Gruppen im Süden Ungarns organisieren Menschenjagden, andere vermitteln Aushilfsjobs und private Unterkünfte - unentgeltlich. Das Widerlichste und das Edelste wird im Menschen wach in Zeiten der Krise. Gäbe es von Letzterem nur so viel wie von Ersterem...

Dass Flüchtlinge in Budapest zu tausenden auf öffentlichen Plätzen und Parks campieren (müssen) ist für die rassistische Landeshälfte schon unerträglich genug, völlig inakzeptabel aber ist es, dass sich die Fremden dabei auch noch gesittet benehmen, mit Einheimischen Fußball spielen, ihre Kinder mit Kreide (!) auf dem Asphalt malen und ungarische Spielplätze benutzen. "Bürgerwehren" und einschlägig verdorbene Lokalpolitiker arbeiten Hand in Hand daran, die ganze Stadt zu einer Sperrzone für Nichtungarn zu machen. Das Widerwärtige hat die Macht in Ungarn heute.

Dafür soll ungarisches Blut fließen, wünscht sich sogar die Jobbik, sozusagen der linke Flügel des Fidesz. Mit einer Aktion am Nationalfeiertag des 20. August ruft man zu Ungarischen Blutspenden für ungarische Bedürftige auf. Man beobachte nun gespannt, ob das Rote Kreuz oder andere Organisationen sich bereit erklären, diese reinrassische Abzapfaktion technisch mitzutragen. Einige Ärztevertreter wiesen dezent daraufhin, dass Blutspenden üblicherweise (und aus vielen Gründen) ohnehin nur von eigenen Staatsbürgern genommen werden. Die Frage wäre jetzt, wie weit muss der Magyarennachweis zurückreichen, bis das Blut "rein" genug für Jobbik-Ansprüche ist? Massenproteste gegen diese Blut-und-Blöden-Aktion? Keine.

Apropos "unmissverständliche Zeichen": Es ist zu hören, dass die ungarische Regierung im September ihre famose Plakataktion gegen "Flüchtlinge und Terroristen" auf zwei der zentralen Herkunftsländer, nämlich Syrien und Afghanistan ausdehnen will. Die ungarischsprachigen Plakate kamen bei den Ankommenden offenbar so toll an, dass die daheim gebliebene Verwandschaft auch ein paar der in optimistischem blau gehaltenen Schattenspender orderte. So werden dann im September also neben den Kundmachungen des Islamischen Staates in Syrien und Afghanistan, die zur Einhaltung der (angeblichen) Gesetze Mohammeds bei schlimmster Strafe mahnen, lustige Sprüche der ungarischen Regierung zu lesen sein, die zur Einhaltung der christlichen Regeln des Heiligen Orbán mahnen.

Ihr passt einfach nicht hierher, so lautet die Botschaft der magyarischen Nationaltheologie, die Staatsdoktrin und Zwangsneurose in einem ist. Es ist ja auch nur logisch, dass sich Afghanen, Syrer und Iraker von muslimischen Barbaren unterdrücken lassen sollten. Die Ungarn bevorzugen schließlich auch ihre Landsleute für diesen Zweck. Alles muss seine Ordnung haben. Ungarn tritt damit bald in einen verbalen Wettstreit mit dem Islamischen Staat, wer die größere abschreckende Wirkung entfalten kann. Und da sage noch einer, Orbán hätte in fünf Jahren nichts erreicht?!

 

Nachtrag: Zum heutigen Jubiläum des 13. August (Hurra!) gratulieren wir vor allem der deutschen CDU/CSU, die durch einige ihrer Figuren die Errichtung des Grenzzauns, just am Vorabend des 13. August als "richtig und notwendig" qualifizierte und Kritik an Orbán als heuchlerisch bezeichnete. Damit hat sie endlich Ulbricht-Niveau erreicht. (Die SPD ist durch ihr Schweigen und Nichtstun da längst drüberweg.) Der alte Spitzbart hat damals genauso wenig kapiert, warum die Leute abhauen wollten wie die "Christ"-"Demokraten" heute kapieren wollen, warum so viele kommen und was wirklich dagegen zu tun wäre. Nun, Ulbrichts System kollabierte 28 Jahre nach dem Mauerbau, nachdem das Volk den Politikern die Macht aus der Hand genommen hatte. Es besteht also doch Hoffnung!

red. / m.s. / cs.sz.

Eine umfangreiche Linksammlung und Chronologie zur Flüchtlingsthematik in Ungarn finden Sie hier.

 


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