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(c) Pester Lloyd / 38 - 2017      POLITIK      18.09.2017

Staatsfeind Geist: Parlament in Ungarn identifizert Volksverräter

Es kuriseren wieder Listen. Listen von "Aufrührern" und "Staatsfeinden". Drei Aktivisten und Künstler wurden jetzt vom Parlament mit völlig absurden Unterstellungen als "nationales Sicherheitsrisiko" eingestuft. Die Betroffenen nennen es eine "Paranoia und reale Angst" des Fidesz vor Machtverlust. Wohl auch vor dem Intellekt an sich. Doch die offene Diffamierung von Oppositionellen als Volksfeinden ist nicht nur eine so ernste wie absurde Sache, sondern Attribut einer Diktatur. Ungarn, ein Schritt weiter auf dedm Weg in den Faschismus.

Listen sind nichts Neues. Vor Jahren schon führte Fidesz-Generalsekretär Kubatov eine
Gesinnungliste ein, auf der eine ganze Armada von Callcentern die politischen Vorlieben der Wähler festhielt. Am Gesetz vorbei, aber ohne Konsequenzen. Das Amt des Ministerpräsidenten führt schon lange eine Schwarze Liste mit "Ungarn feindlich gesinnten Journalisten", diese gereicht den darauf Genannten eher zur Ehre, denn zur Last. Bisher. Die Liste der "aus dem Ausland finanzierten, von Soros-Organisationen unterstützten" Nichtregierungsorganisationen ist sogar Gesetz, also formaljuristisch rechtens.

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Abb. www.444.hu

"Soros", das ist heute der universelle Stempel, das Kainsmal für den Volksverräter schlechthin, des äußeren Feindes, der sich eine fünfte Kolonne in Ungarn zusammenkauft, um die Kultur und Identität der Ungarn zu vernichten. Eine Strategie, die ausgelutscht erscheint, aber bis zum Exzess ausgedehnt wird, weil sie offenbar funktioniert, dem Fidesz den harten Kern von 25-30% Wahlberechtigter zusammenhält, die in Ungarn genügen, um die absolute Macht zu behaupten. Orbán kündigte gerade persönlich an, eine "Nationale Konsultation" über den "Soros-Plan" abzuhalten, weil sonst die Umvolkung, wörtlich "der Austausch der Bevölkerung mit kulturfremden, nichtchristlichen Elementen" unaufhaltbar sei.

 

Die Interpretation des inneren Volksfeindes vertiefte jetzt der Fidesz-Vize Szilárd Németh, der die NGOs bezichtigte "zivilen Ungehorsam zu fördern und Aufwiegelei zu betreiben", die "vom Ausland finanzierten Organisationen stellen ein ernsthaftes Risiko dar", denn sie würden "offen dazu beitragen, die innere Ordnung Ungarns zu zerstören." Mehr informellen Charakter hatte eine Liste des ungarischen Internet-"Stürmer" 888.hu, eines Hetzportals, das Orbáns persönlicher Medienguru Árpád Habony betreibt. Dort erschien ein "dreckiges Dutzend" für ausländische Medienhäuser arbeitende Journalisten, die man als Volksverräter denunziert.

Eine neueQualität erbrachte jedoch die jüngste Sitzung des Parlamentsausschusses für Nationale Sicherheit. Dort wurden drei "Aktivisten" als "potentielle Vorbereiter staatsfeindlicher Aktiviäten" benannt, "gegen die die ungarischen Autoritäten vorbereitet" sind. Bei den drei Delinquenten handelt es sich um Gábor Vágó, einst Abgeordneter für die LMP und heute ein Bürgerrechtler, der seine Stimme vor allem für die CEU und die NGOs erhob. Dann wäre da Márton Gulyás, der bekannt wurde, als er für das werfen eines Farbbeutels an den Präsidentenpalast
in einem Schauprozess zu 500 Stunden Sozialarbeit verdonnert wurde. Er ist Mitbegründer der stilprägenden Theatergruppöe Krétakör, dessen Gründer und Chef, der international gefragte Theaterregisseur Árpád Schilling, ebenfalls als Sicherheitsrisiko eingestuft wurde.

Letzterer entgegnete in einem Artikel nur halb belustigt, dass es doch eigenartig sei, dass der Ministerpräsident "das Land an die Russen verkaufe, er aber als nationales Sicherheitsrisiko eingestuft" werde. Schilling räumte ein, dass "meine Verbrechen, die mich zum subversiven Subjekt werden ließen", darin bestanden, ein Referendum gegen Korruption beantragt und mit einer Demo die Ruhe in Orbáns-Heimatort Felcsút gestört zu haben.

Die Opposition wies daraufhin, dass die Einschätzungen der Vertreter der Regierungspartei durch keinerlei "Erkenntnisse der Geheimdienste" gedeckt seien, es gebe keine Hinweise auf "Aufruhr oder gewalttätige Aktionen seitens der Opposition".
Die Organisation von Gulyás "Gemeinsames Land" hat zu "zivilem Ungehorsam aufgerufen", wenn am 23. Oktober die oppositionellen Vorschläge zu einer Reform des Wahlrechts im Parlament abgelehnt werden.

 

Selbst der Vertreter der Liberalenfresser Jobbik im Parlamentskomitee, Mirkóczki, bescheinigte der Regierung "reine Panikmache", "es gibt schlicht keine Hinweise auf Versuche, die verfassungsmäßige Ordnung im Lande im Herbst zu stürzen." Vor solchen hatte bereits vor Wochen Orbáns Propagandaminister Rogán gewarnt, wollte diese aber vor dem Komitee weder konkretisieren noch verifizieren. Die Drei Volksfeinde sind sich indes einig, dass "die Paranoia des Fidesz bedeutet, dass sie Angst haben. Sie spüren, dass ihre Macht bedroht ist" und es sei eine Art "Auszeichnung" offiziell als jene anerkannt zu werden, die etwas gegen den Machtmissbrauch der Orbán-Kräfte unternehmen.

"Die Sache ist gleichzeitig komisch und beängstigend", meint Schilling: "Der Tag ist gekommen, endlich habe ich den prestigerächtigsten Orden der Fidesz-Regierung erhalten: die Medaille des Verräters!" Doch es ist auch der Tag gekommen, in dem Opposition als feindliche Handlung definiert wird, es ist nur noch ein kleiner Schritt bis zu jener Art "präventiven Maßnahmen" und einer Pogromsitmmung, von der die Geschichte in ihren dunkelsten Kapiteln zu berichten weiß.

red.


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