Budapest/Brüssel. Während die EU ihre Energiearchitektur neu ordnet, stellt sich die ungarische Regierung offen gegen den europäischen Kurs und zieht vor den Europäischen Gerichtshof.
Ungarn legt juristischen Einspruch ein
Außenminister Péter Szijjártó kündigte in Brüssel an, dass Ungarn den neuen RepowerEU-Beschluss mit dem die EU bis Ende 2027 vollständig aus russischem Erdgas aussteigen will, vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten werde. Der Entscheidung liege ein „Brüsseler Diktat“ zugrunde, welches Ungarns Energiesicherheit gefährde und zu „drastischen Preissteigerungen“ führe. Die Regierung habe mit den juristischen Vorbereitungen bereits begonnen.
Die politische Einigung in Brüssel sieht vor, zentrale Elemente des RepowerEU-Pakets durch qualifizierte Mehrheitsentscheidung zu verabschieden. Ein ungarisches Veto ist damit ausgeschlossen. Szijjártó sprach von „Betrug„, da aus seiner Sicht energiepolitische Entscheidungen, die nationale Sicherheit berührten, einstimmig getroffen werden müssten.
Technische Abhängigkeiten
Ungarn bezieht nach wie vor den Großteil seiner fossilen Energie über russische Infrastruktur. Für Öl ist die Druzhba-Pipeline entscheidend, für Erdgas die über den Balkan geführten Lieferungen via TurkStream. Der häufig verwendete Begriff South Stream ist historisch und beschreibt ein gescheitertes Vorgängerprojekt; tatsächlich fließen die ungarischen Gasimporte über TurkStream und die regionalen Weiterleitungen.
Der Außenminister argumentierte, Ungarn könne ohne russische Energie „physisch nicht sicher versorgt“ werden. Dass alternative Vorkehrungen – Ausbau der Interkonnektoren, langfristige LNG-Verträge, Diversifizierung regionaler Leitungen – seit Jahren vernachlässigt wurden, ist allerding auch Fakt. Die Möglichkeit, Ungarns Abhängigkeit schrittweise zu reduzieren, ist politisch nicht ausgeschöpft worden.
Die US-Ausnahme
Erst im November erhielt Ungarn eine Ausnahmeregelung von den US-Sanktionen gegen die russische Ölindustrie. Während die ungarische Regierung von einer unbefristeten Ausnahme sprach, formulierten US-Stellen die Maßnahme vorsichtiger und zeitlich erst mal auf ein Jahr begrenzt.
Laut Szijjártó prüft auch die Slowakei, ebenfalls stark über Druschba angebunden, rechtliche Schritte gegen die RepowerEU-Regelung. Beide Länder argumentieren, dass eine schnelle Abkopplung unverhältnismäßige wirtschaftliche und soziale Verwerfungen auslösen würde. In Brüssel verweist man hingegen darauf, dass die EU nur durch Mehrheitsentscheidungen handlungsfähig bleibe und dass die Pipelineabhängigkeit einzelner Staaten kein dauerhaftes Blockaderecht begründen könne.
Das Brüsseler Diktat
Der Begriff „Diktat“ gehört seit Jahren zum Repertoire der Regierung, insbesondere dort, wo europäische Entscheidungen die außenpolitische Nähe Ungarns zu Russland berühren. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gilt die Energiepolitik als neuralgischer Punkt in der europäischen Einigkeit – mit Ungarn als beständigem Ausreißer.
Die juristische Dimension ist dabei nur ein Element. Der Streit verweist auf tiefere Brüche: Die EU versucht, Strategiekapazitäten zu bündeln und geopolitisch unabhängiger zu werden. Ungarn hält hingegen an bilateralen Verträgen mit Moskau fest und pflegt einen politischen Kurs, der Brüssel als Bedrohung und russische Energie als stabilisierende Normalität darstellt.
Quellen: Reuters, Financial Times, EU-Institutionen, MTI.hu
Photo: Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel ist der Hauptsitz der Europäischen Kommission. Von Wikipedia




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