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Orphan von Nemes László - Filmvorschau

Eine Filmische Reise in die Nachwehen der Revolution von 1956

Ungarn und Deutschland verbindet eine komplexe, von politischen Umbrüchen und persönlichen Tragödien geprägte Geschichte. Der ungarische Regisseur László Nemes, bekannt durch seinen oscarprämierten Holocaust-Film „Son of Saul“ (Saul fia, 2015), widmet sich in seinem neuesten Film nun einem anderen wichtigen Kapitel der ungarischen Vergangenheit: den Folgen der gescheiterten Revolution von 1956.

Sein jüngstes Werk, „Orphan“ („Árva“) spielt 1957 in Budapest, im bedrückenden Jahr nach der gescheiterten Revolution. Wo zuvor der Wunsch nach Freiheit laut wurde, herrscht nun eine Atmosphäre aus Angst, Trauer und Unterdrückung. Nemes erzählt die Geschichte eines jungen jüdischen Jungen, der nach dem Tod seiner Mutter nach Antworten sucht und dabei auf Geheimnisse stößt, die seine Identität ebenso erschüttern wie das kollektive Bewusstsein seines Landes.

Ein Kinostart in Ungarn ist laut IMDb für 23. Oktober 2025 geplant.

1957 – ein Jahr der Stille

Während in Deutschland das Jahr 1956 hauptsächlich als ein Wendepunkt des Kalten Krieges wahrgenommen wird, ist es für Ungarn tief in der nationalen Identität verankert – als traumatisches Ereignis mit Tausenden von Verhaftungen, zahlreichen Hinrichtungen und einer massiven Fluchtbewegung ins Ausland, darunter auch nach Deutschland. Genau in diese Atmosphäre führt Nemes’ Film hinein und stellt Fragen nach Identität, Schuld und Verantwortung, die über die Grenzen Ungarns hinausreichen.

Wie schon in seinem Meisterwerk „Son of Saul“, erzählt Nemes die Geschichte erneut aus der Perspektive eines Kindes. Statt der direkten Gewalt wie im Holocaust rückt diesmal die subtilere, psychologische Wirkung politischer Unterdrückung in den Vordergrund. Der junge Protagonist entdeckt dabei, dass die Vergangenheit seiner Mutter eng mit der gescheiterten Revolution und ihren Nachwirkungen verwoben ist.

Historische Tiefe und europäische Brücke

Für deutsche Zuschauer ist „Orphan“ besonders relevant, weil der Film universelle Themen wie Erinnerungskultur und die Verarbeitung kollektiver Traumata behandelt – Themen, die auch für Deutschland von großer Bedeutung sind. Nemes’ Film bietet damit eine Gelegenheit, die eigene Vergangenheit im Kontext eines Nachbarlandes neu zu reflektieren und besser zu verstehen.

Die Produktion des Films ist zudem ein europäisches Gemeinschaftswerk: Ungarn, Deutschland, Frankreich und Großbritannien arbeiteten an der Produktion zusammen, was die Bedeutung dieser gemeinsamen historischen Auseinandersetzung unterstreicht.

Die unverwechselbare Filmsprache Nemes’

Nemes’ filmische Handschrift ist unverkennbar: lange, intensive Einstellungen, emotionale Bildsprache und eine beklemmende Atmosphäre, die die Zuschauer tief berührt und nachhaltig prägt. Wie schon in seinen früheren Werken, so zeichnet sich auch „Orphan“ durch einen visuell eindringlichen Stil aus, der das historische Thema persönlich und unmittelbar erfahrbar macht.

Der Film entstand im Rahmen einer zehnwöchigen Drehzeit im Sommer 2024 in Budapest. Nemes scheut sich nicht davor, komplexe historische und menschliche Fragen direkt zu stellen – und trifft damit den Nerv einer Zeit, in der kollektive Erinnerung und politische Verantwortung neu verhandelt werden.

Kultureller Austausch und Verständigung

„Orphan“ ist nicht nur yet-another historischer Film: Es ist eine Möglichkeit für deutsche Zuschauer, die komplizierte und oft vernachlässigte Geschichte eines europäischen Nachbarn aus einer zutiefst menschlichen Perspektive kennenzulernen. Persönliche Schicksale stehen im Mittelpunkt, während die politische Realität subtil, aber unübersehbar Einfluss auf die privaten Leben nimmt.

Der Film wird demnächst auf der Streaming-Plattform MUBI verfügbar sein, wodurch diese wichtige historische Reflexion einem breiten, internationalen Publikum zugänglich gemacht wird.

Gerade für deutsche Zuschauer bietet sich mit Nemes’ neuem Film die Chance, tiefere Einblicke in ein zentrales Kapitel europäischer Nachkriegsgeschichte zu gewinnen – und dabei einen besonderen Beitrag zur kulturellen Verständigung zwischen Deutschland und Ungarn zu erleben.

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