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(c) Pester Lloyd / 43 - 2011  POLITIK 26.10.2011

 

Selbsternannte Heilsbringer

Zur Spaltung der "Sozialisten" in Ungarn

Die neu ausgerufene Partei der Demokratischen Koaltion (DKP) von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány will der nationalen Front die Stirn bieten und die Demokratie in Ungarn retten. Dabei ist gerade ihr Gründer das größte Hindernis für schlagkräftige Koalitionen links der nationalistisch-konservativen Hegemonie. Das Geschehen in Ungarn bebildert den schleichenden und notwendigen Niedergang der Parteiendemokratie.

Orbán und Gyurcsány, Antipoden und Zwillinge.

Ende letzter Woche befreite Ex-Premier Gyurcsány sich, seine Anhänger und Gegner von einem jahrelangen Krampf als er endlich erklärte, mit zehn weiteren Abgeordneten "seiner" MSZP eine neue Fraktion zu gründen, als "Konsequenz aus der Unfähigkeit der MSZP sich zu erneuern". Mit dieser Erneuerung meinte Gyurcsány nichts weniger als die Unterordnung unter seine Führung, einen Anspruch, den er, trotz Aufgabe des Vorsitzes vor 3 Jahren, nie wirklich abgelegt hatte. Nun weiss man aber immer noch nicht, wer von beiden, MSZP oder DKP als gesundender Körper weiterleben wird, wer als abgetrenntes Körperteil fortbestehen muss. Die Sache ist noch nicht entschieden.

Die neue "Formation", die als Keimzelle der Partei der "Demokratischen Koalition" anzusehen ist, will "westlich orientiert, bürgerlich, Mitte-Links" sein, versucht also den Spagat zwischen sozialstaatlicher Solidarität, proeuropäischer (auch neoliberaler) Offenheit und der Einbeziehung der gesellschaftlichen Mitte durch eine möglichst undogmatische Positionierung. Die neue Partei, die aus der parteiinternen Plattform "Demokratische Koalition" gegründet wird, soll die Sammlungsbewegung von der Mitte ab nach links darstellen, die dem nationalkonservativen Block die Stirn bieten kann. Und diese "Aufstellung" kann den Verdacht kaum abschütteln, mehr ein Kind des Marketings als jenes der Menschenliebe zu sein, versucht sie doch alte, untergegangene Kräfte (Linksliberale, gemäßigte Konservative etc) mit der gänzlich antagonistischen Idee eines wirtschaftsliberalen Sozialstaates zu ködern, dessen naturgegebenen Untergang wir derzeit in ganz Europa auszuhalten haben.

Die Grundidee kann man dabei als wahltaktisch clever und strategisch richtig beschreiben, allein die Führungsfigur ist gleichzeitig ihr größter Pferdefuß. Denn jeder Politiker, der eine öffentliche Koalition mit Gyurcsány eingeht, begeht heutzutage politischen Selbstmord, so gründlich wird seine Person mit einer gescheiterten Ära gleichgesetzt. Alle Unbill der letzten 20 Jahre, die moralisch wie materielle Quasi-Insolvenz des politischen Systems in Ungarn, wurde und wird auf den Schultern des "Self-made-billionaire", des Privatisierungsgewinnlers und "Volksbetrügers" Gyurcsány abgeladen. Die intensive Propaganda der ungarischen Rechten schaufelte dabei nur die letzte Elle, die aus den tiefen Abgründen der sozial-liberalen Regierungen endgültig das Grab der sowieso nicht sehr lebendigen Linken in Ungarn bildete.

Die Zukunft der MSZP - Neustart oder Totalabsturz?

Was wird aus der MSZP? Gyurcsánys Vorwurf, die Funktionärsschicht habe es versäumt, die notwendigen innerparteilichen, programmatischen wie personellen Reformen anzugehen, trifft zu, unterschlägt aber, dass es seine Spaltungsarbeit war, die das Parteipräsidium unter der nur scheinbaren Führung des taktisch naiv agierenden Parteichefs Attila Mesterházy in Schach hielt, aus Angst, jeder nächste Schritt könnte der letzte, der in den Abgrund sein. Die Beharrungstaktik, eher Schockstarre, hielt seit der Wahl an, der politische Gegner richtete in der MSZP seither weniger Schaden an als deren eigene Funktionäre. Nichtzuletzt wäre der endgültige Abgang des vor allem bei NostalgikerInnen beliebten Gyurcsány von der politischen Bühne die wichtigste Voraussetzung für eine wirkliche Erneuerung gewesen.

Die MSZP wird sich als klassische Linkspartei profilieren wollen und über kurz oder lang auch den Gyurcsány-Truppen wieder Avancen machen, denn beiden Seiten ist klar, dass nur eine Geschlossenheit der Linkskräfte, bei gleichzeitiger Offenheit zu anderen Gruppen, eine Chance bietet, den monolithischen Block der Rechten von der Stelle, womöglich an den Rand zu schieben. Politische Analysten sehen in der Abspaltung eine Art Befreiungsschlag für die MSZP. Möglicherweise ein Irrtum, denn nun, da das interne Thema Nr. 1 abhanden gekommen ist, muss die MSZP sich selbst und ihrer Rolle den Wählern gegenüber stellen, was sie womöglich zu dem Schluss der völligen Nutzlosigkeit führen könnte. Wie man aus dieser Konstellation in einem bipolaren Machtkampf zwischen Demokratischer Koalition und MSZP Kräfte wie die LMP oder andere bürgerlich-liberale Gruppen ansprechen will, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.

Geburtskomplikationen

Mit der Abspaltung der zehn MSZPler verbleiben 49 Abgeordnete bei den Sozialisten, nur noch drei mehr als die Neofaschisten von Jobbik. Die neue Gruppe wird von Csaba Molnár geleitet, womit man sicherstellt, dass die Führung erhalten bleibt, sollte Gyurcsány doch eines Tages im Gefängnis landen, was eines der großen "Staatsziele" der Regierungsparteien darstellt.

MSZP-Chef Mesterházy, der zuletzt ziemlich entnervt regelrecht um die Abspaltung bat, sieht die MSZP nun "stärker" als zuvor, da man nun nicht länger in internen Richtungskämpfen verstrickt sei. Gleichzeitig forderte er die Abtrünnigen auf, ihre Mandate zurückzugeben, die sie schließlich auf den Parteilisten der MSZP errungen haben. Die Mandate zu behalten, wäre Betrug am Wähler. Diese Resolution ist lediglich pflichtschuldiger Symbolik entsprungen, denn Mandate sind an die Person und deren Gewissen gebunden, sogar, wenn dieses gar nicht vorhanden ist.

Unterwegs in eigener Mission

Gyurcsány schmiss sich in seiner Neugründungsrede einmal mehr in die Pose des Volksbefreiers. Er wolle die "Gesellschaft aus einem Albtraum erwecken", der sowohl das Land wie auch die Bürger "in die Abhängigkeit einer Einparteienregierung" gestürzt habe. Er wolle, im Gegenteil dazu, seinen Traum verwirklichen, in dem jede Person sich "im Klaren über ihre eigene Verantwortung" ist. Große Worte, die sich vor allem die Funktionäre seiner Administration hätten in ihre Stammbücher schreiben sollen, bevor es zu spät war. Freilich macht es ihm die heutige Regierung leicht, sie des Abbaus der Demokratie und des Rechtsstaates zu zeihen, einfach deshalb, weil sie Demokratie und Rechtsstaat abbaut. Gyurcsány bezeichnete die neue Verfassung als "illegitim" und die wichtigsten Verfassungsorgane und Staatsrepräsentanten als "Diener Orbáns". Damit hat er genauso recht, wie ein Dieb seinen Kollegen als Dieb zu bezeichnen das Recht hat.

Siamesische Zwillinge

Gyurcsány ist der Kreator und oberste Repräsentant eines gescheiterten Systems, das kaum jemand in Ungarn wieder zurück haben will. Ihm genügte es nicht, damit in die Geschichte einzugehen, so wie sein Widergänger Orbán sich nie mit seinen zwei schmerzlich erfahrenen Wahlniederlagen (2002 und 2006) abfinden konnte und nun befleißigt, ein System zu schaffen, dass ihm in Zukunft die Schmach einer Niederlage erspart, auf Kosten demokratischer Grundnormen.

Beide, Orbán und Gyurcsány, prangern die Frevel ihrer Kontrahenten an, beide tun so, als könnte Ungarn nur mit ihnen gesunden und merken dabei nicht, dass sie dem Land nur Pest oder Cholera anbieten. Es wird nicht leicht für das ungarische Volk, sich aus der kranken Logik dieser selbsternannten, verhaltensauffälligen Grabenkämpfer (samt ihrer reflektionsunwilligen Claquere in den europäischen Schwesterparteien) zu befreien, ohne dabei den lauernden Quacksalbern vom rechten Rand in die Hände zu fallen.

Denn nur die Befreiung aus der Umarmung solcher und jener selbsternannten Heilsbringer kann das Land letztlich in eine Normalität führen, die - nicht nur in Ungarn - nicht mehr in der heutigen Parteiendemokratie und im alten Lagerdenken liegen kann, weil die Realität sich nicht mehr in die alten Lager noch Parteien konstruieren lässt. Immerhin sei dies eine nützliche und reich bebilderte Lehre aus den beschämend subeuropäischen Verhältnissen, die heute in Ungarn herrschen.

M.S.

 

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