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(c) Pester Lloyd / 40 - 2012   FEUILLETON 05.10.2012

 

Amen und Gute Nacht!

So infantil wie gefährlich: Was ein Kinderbuch aus dem heutigen Ungarn mit Orbáns Blut-und-Boden-Rede verbindet

In „Das muss ich wissen, weil ich ein ungarisches Kind bin" verklären und verbiegen die Autoren ungarische Geschichte und schüren schon bei den Kleinsten Ängste und Ressentiments.Finsterster Revanchismus und Nationalismus werden da als Gute-Nacht-Geschichten verpackt, Horthy wird als größter Held der Geschichte gefeiert und der Nachwuchs in eine Nationaltheologie eingeführt, die in der Schule ihre Fortsetzung findet. Das Werk ist keine Ausnahme, sondern Ausdruck des neuen Mainstreams, in einem Land, dessen Regierungschef mittlerweile Herrenmenschen-Parolen verbreitet.

Erst kamen antisemitische Blut-und-Boden-Schriftsteller wie Wass und Nyirö in den Schullehrplan, während Nobelpreisträger Kertész, als "Mensch nichtungarischen Herzens", Jude also, nurmehr unter den Literaturauszeichnungen aufgelistet wird, nun kommt der Revanchismus auch direkt in die Kinderzimmer. Nachdem er in seinem letzten Buch „Das muss ich wissen, weil ich Ungar bin”, den Erwachsenen rechtsextreme Ideologie für historische Tatsachen verkauft hat, sind nun die Kinder an der Reihe.

„Das muss ich wissen, weil ich ein ungarisches Kind bin. Ein geschichtliches Lesebuch für Kinder.”, lautet der Titel des neuesten Werkes von Mátyás Szabolcs. In einer 70 Seiten langen Ode erzählt er in kindgerechter Sprache und mit reichlich Bildmaterial veranschaulicht, die „Geschichte” des ungarischen Volkes, das von Attila dem Hunnen bis hin zu dem „tapferen und begabten” Miklós Horthy nur Helden aufzuweisen hat. Und wenn sie nicht gestorben sind...

Böse Jungs und virtuelle Wallfahrt

Am Beginn steht ein Aufruf zum Wallfahren: „Jedes ungarische Kind sollte, zumindest in Gedanken, die wichtigsten Erinnerungsstätten im Karpatenbecken bewandert haben, [...] erklärt Mátyás Szabolcs seine Intention, die er mit diesem Buch verfolgt. „Denn um unsere Geschichte und unsere Vergangenheit zu kennen, müssen wir zunächst unser eigenes Vaterland, das Karpatenbecken kennenlernen.” Doch bevor er die kleinen Magyaren auf die Hajj schickt, wird erklärt, warum dieses „Vaterland” nicht so ganz mit den auf den heutigen Landkarten eingezeichneten Landesgrenzen übereinstimmt: „Das Friedensdiktat von Trianon”,[...] der „allerschmerzhafteste Text überhaupt für ungarische Menschen”, ist dem ersten Kapitel vorangestellt und wird wiefolgt aufbereitet: „Stell dir vor, auf einmal stehen vier Nachbarjungen in der Tür”, fordert Szabolcs seine jungen Leser auf. „Sie bringen einen größeren Jungen mit, der auf der Straße lebt (alleine wären die vier Jungen nie gekommen, weil sie dazu immer viel zu feige waren). Nun kommen sie zu fünft in dein Zimmer, wo sie lachend sechs von deinen neun Spielzeugen einstecken und mitnehmen.” Genau dies, so Szabolcs, „ist Ungarn 1920 passiert.”

Der Hunnenkönig als Leseratte

Wie es überhaupt zu diesem Friedensschluss gekommen ist, dass Geschichte nicht einfach "passiert" und was Trianon mit der Lebensrealität der Ungarn im heutigen Europa noch zu tun haben soll, dazu kommt von Szabolcs nichts. Die „bösen Jungs” scheinen einfach aus dem Nichts erschienen zu sein. Viel wichtiger ist da die Aussage, dass sie sich die Spielsachen unrechtmäßig angeeignet haben und - noch viel wichtiger -, dass Ungarn sie sich zurückholen wird! Szabolcs zumindest beschließt dieses traumatische Kapitel mit dem „Ungarischen Credo”: „Ich glaube an einen Gott, ich glaube an ein Vaterland, ich glaube an die ewige göttliche Gerechtigkeit und an die Wiederauferstehung Ungarns. Amen.” - und Gute Nacht.

Weiter geht es mit der Beschreibung des Werdegangs der heldenhaften magyarischen Nation. Alles beginnt selbstverständlich mit der Landnahme, der Vereckei Höhe, „wo Árpád mit seiner Hauptarmee ins Karpartenbecken eingezogen ist”. Dieser Ort gehört für den Autor zu jenen 32 Stätten, „die jeder ungarische Mensch mindestens einmal im Leben gesehen haben sollte.”. Im Karpatenbecken, so will der Archäologe László Gyula, herausgefunden haben, „lebte bereits ein großes Volk, als Árpád dort ankam.” Dieser, auch das bestätigt Gyula, sei übrigens „höchstwahrscheinlich tatsächlich ein Nachfahre Attilas des Hunnen gewesen.” Aus der Vermischung der beiden Völker sind jedenfalls, auch daran besteht für Szabolcs kein Zweifel, die heutigen Ungarn hervorgegangen. Mehr zur neuen Rassentheologie.

Fakten sollten nicht den Mythos stören...

 

Belege fehlen, alles bleibt Behauptung. Höhepunkt des Machwerks ist die Darstellung der evolutionären und rassischen Überlegenheit der Magyaren, denn „wie zahlreiche Forscher”, deren Namen Szabolcs allerdings nicht nennt, angeblich belegen können, waren die Ungarn "damals schon das einzige Volk Europas" in dem nicht nur „Priester und Herrscher", sondern auch ein großer Teil "des gemeinen Volkes" lesen und schreiben konnte.” Daher ermutigt er die Kinder auch dazu, die "Schrift unserer Vorfahren” zu lernen. Diese Keilschrift, „gehört zu den ältesten Schriften der Welt” und „ist ein Schatz, den wir wir behüten müssen, da nur wir Ungarn ihn besitzen”.

Nur am Rande, jeden Mumpitz in diesem Buch zu widerlegen, würde alle Rahmen sprengen, doch nach seriösen Forschungen entstand diese Schrift im Mittelalter, weil die alten Osmanen sich damit helfen wollten, die ungarische Sprache, die eben noch keine kohärente Schrift kannte, für ihre Zwecke niederzuschreiben. Es existieren auch andere Theorien, einig sind sich die Forscher indes, dass die Alphabetisierungsrate in Ungarn keineswegs über den Schnitt anderer nomadischer oder agrarischer Völker der damaligen Zeit hinausragte. Wieso sollte sie auch?

Jede Menge Heldenblut

Auf der weiteren Reise durch das Karpatenbecken lernen die Kinder "die wichtigsten nationalen Symbole" und die „heiligen Lieder Ungarns” kennen. Letztere, so erfährt der Leser, „sollte jeder mitsingen, auch wenn er eine ganz schlechte Stimme hat. Denn sie sind das schönste Element unseres nationalen Zusammenhaltes.” Neben der Nationalhymne legt Szabolcs den Kindern besonders die Hymne der Székler ans Herz, die, wie er bedauernd feststellt, heute „kaum noch einer kennt”, weil man sie „so lange Zeit nicht in der Öffentlichkeit singen dürfte.” Im Széklerland, „einem der Gebiete, die Ungarn 1920 gestohlen wurden”, liegt außerdem Csíksomlyó, ein weiterer „heiliger Erinnerungsort der ungarischen Nation”, wo sich „einer der berühmtesten Wallfahrtsorten der Welt” befindet. Grund genug also, die heldenhaften Székler im Kampf um das geklaute Spielzeug zu unterstützen...

Aber auch sonst ist die ungarische Geschichte, zumindest so wie Szabolcs sie darstellt, „reich an Heldenblut”. Drei Kapitel sind „den Helden der ungarischen Geschichte” gewidmet. Die Leser lernen Heilige, Staatsmänner und „diejenigen, die unserem Land auf anderer Weise gedient haben”, kennen. Die Liste erstreckt sich vom Heiligen Stephan „über dessen Leben es eine Rockoper gibt, die du dir unbedingt anschauen solltest”, über János Hunyadi, „der Europa vor der Herrschaft der Türken bewahrt hat”, Ferenc Rákóczi, der einen „acht Jahre dauernden Freiheitskampf für das Vaterland” führte, und vielen, vielen anderen, bis hin zu Mária Wittner (einer völkisch entgleisten Fidesz-Politikerin) und Péter Mansfeld, den „Helden des Freiheitskampfes von 1956”, der offenbar ohne den Reformkommunisten Imre Nagy stattfand.

Lajos Kossuth, der „für die ungarische Freiheit gekämpft hat und dafür drei Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde”, wird ebenso als Held gefeiert, obwohl der alles andere als ein großungarisches Reich im Sinne hatte, wie der Graf István Széchenyi, der sich 1848/49 aus nachvollziehbaren Gründen auffallend zurückhielt und nach der Niederschlagung des Freheitskampfes „selbstverständlich wieder in der Regierung saß” und auch zu jenen gehörte, die mit dem "Ausgleich" 1867, dem erneuten Schulterschluss der ungarischen Magnaten mit den Habsburgern den Grundstein für Trianon legten. Aber wer wird schon so kleinlich und detailversessen sein? Die heldenhaften Ungarn im andauernden "Freiheitskampf” gegen - ausschließlich - äußere Unterdrückung. Fakten störten nur den Mythos, daher lässt man sie lieber weg.

Unter Sir Horthy war´s am besten

Das „blühendste Zeitalter”, so erfahren es die Kinder, erlebte Ungarn allerdings unter „Sir Miklós Horthy”. Diesem „ausgezeichneten Mann, und Träger des Ritterordens, der schon im Ersten Weltkrieg Zeugnis über seine Begabung und seinen Mut abgelegt hat”, schreibt Szabolcs, ist es zu verdanken, dass Ungarn, „obwohl es der Quelle seiner Rohstoffe beraubt worden war, die Weltwirtschaftskrise überstanden hat, und sich die soziale Ordnung und die Wirtschaft in unserem Vaterland nach dem Krieg wieder konsolidieren konnten”.

Besonders betont Szabolcs die Tatsache, dass es Horthy gelungen ist, „einige der gestohlenen Gebiete zurück zu bekommen”. Dass dies nur im Pakt mit Hitler, auf Kosten zahlreicher Menschenleben in diesen Gebieten und den Untergang zweier ungarischer Armeen am Don geschah, bleibt selbstverständlich unerwähnt. Auch mit Judengeesstzen und Judenghettos, Verfolgung Andersdenkender, Pfeilkreuzler-Terror und in die Donau geschossenen Landsleuten mag Szabolcs die Kinder nicht beunruhigen.

Nazis gegeb den Ton an, Nationalkonservative bilden den Background-Chor

Dieses "Kinderbuch", das dem Beobachter zunächst als ein singulärer Ausrutscher eines Radikalinskis erscheinen könnte, ist jedoch Ausdruck des neuen ideologischen Mainstreams in Ungarn, daher ist es auch in den meisten Buchhandlungen erhältlich. Mögen auch die Neofaschisten von Jobbik den Ton in punkto Revanchismus und Rassismus angeben, tönt hinter ihnen doch ein Backgroundchor, der zu großen Teilen von Anhängern und auch Spitzenpolitikern der Regierungspartei Fidesz-KDNP besetzt ist. Wir erinnern hier nur stichwortartig an: - die Nyirö-Feiern in Rumänien in Anwesenheit und mit aktiver Unterstützung des Parlamentspräsidenten László Kövér (Fidesz), - die haatsträubenden Äußerungen Orbáns zum Zweiten Weltkrieg (ein Bürgerkrieg zwischen christlichen Nationen), zu Horthy (ganz sicher kein Diktator, seine Ehrung ist Sache der Kommunen), - die Ernennung eines bekennenden Antisemiten zum Theaterdirektor durch den Oberbürgermeister von Budapest, Tarlós (Fidesz) - den völkisch verschobenen Rahmenlehrplan für die Schulen durch Rózsa Hoffmann (KDNP), - die Tiraden des "Journalisten", Hasspredigers, Orbán-Freunds und Fidesz-Mitgründers Zsolt Bayer etc. etc. Hier mehr zu alldem.

Premier Orbán vor wenigen Tagen in der “nationalen Gedenkstätte” Ópusztaszer, an seiner Seite ein junger Statist, im Hintergrund die Turulstatue.

Orbáns Rede in Ópusztaszer: Nationalismus als letzte Waffe der Versager

 

Aktueller Tiefpunkt dieser Entwicklung ist zweifellos die Blut-und-Boden-Rede Orbáns im "nationalen Gedenkpark" Ópusztaszér bei der Einweihung einer Turul-Statue (ein mythologischer Vogel, von den Pfeilkreuzlern ikonisiert) vor wenigen Tagen. Auszüge aus dieser unsäglichen Ansprache, die von übelstem Herrenmenschendenken geprägt ist und in der sich sogar die Ankündigung kommender Behauptungskriege finden lassen, fügen wir diesem Beitrag an. Die Auszüge decken sich in weiten Teilen mit den in diesem Kinderbuch vertretenen Thesen und sie sind auch genauso infantil wie gefährlich. Der Nationalismus erweist sich einmal mehr als letzte Waffe der Versager, als politisches Spielzeug, allerdings auch als gefährlichstes Instrument der Verlierer.

Orbán hat in der Wirtschaftspolitik versagt, als Demokrat und Staatenlenker sowieso, ihm schwimmen die Felle nach rechts davon, er schwimmt hinterher, mag das Land auch untergehen. - Im Vorwort des Kinderbuches schreibt der Autor in Sperrschrift: „ICH HOFFE, DASS AUCH IHR STOLZ DARAUF SEID, DASS IHR UNGARN SEID”, da schließlich „nur wenige Nationen so viele geistige Schätze besitzen, wie wir Ungarn.” Dieses Kinderbuch und dieser Regierungschef gehören ganz sicher nicht dazu.

Eva Gärtner / m.s.

Viktor Orbán bei der Denkmaleinweihung in Ópusztaszer

"Der Turul ist ein Urbild, das Urbild der Ungarn. Wir werden in es hineingeboren, so wie wir in unsere Sprache und Geschichte hineingeboren werden. Das Urbild gehört zum Blut und zum Heimatboden. Von dem Augenblick an, wo wir als Ungarn auf die Welt kommen, schließen unsere sieben Stämme den Blutbund, gründet unser heiliger Stephan den Staat, unterliegen unsere Truppen in der Schlacht bei Mohács, der Turul aber ist das Symbol der nationalen Identität der jetzt lebenden, der schon gestorbenen und der erst noch auf die Welt kommenden Ungarn. (...)

Diese Statue, die wir heute, am Tag des heiligen Michael, einweihen, ist das Denkmal des nationalen Zusammenhalts. Es erinnert daran, dass jeder Ungar jedem anderen Ungarn Rechenschaft schuldig ist. Die ungarische ist eine Weltnation, denn die Grenzen des Landes und die Grenzen der ungarischen Nation fallen nicht zusammen (...). Dieses Denkmal will uns sagen, dass es nur ein einziges Vaterland gibt, und zwar jenes, welches dazu fähig ist, alle Ungarn diesseits und jenseits der Trianon-Grenzen in einer einzigen Gemeinschaft zu vereinigen.

Heute ist der Tag des heiligen Michael. Die Heilige Schrift gibt uns für den heutigen Tag Folgendes auf, ich zitiere: "Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen." Zitat Ende. (...)

Wer die Zeichen der Zeit zu lesen vermag, der kann sie lesen. Eine Welt neuer Gesetze kommt auf den europäischen Kontinent zu. Das erste Gebot dieser im Entstehen begriffenen neuen Welt lautet: Die Starken vereinigen sich, die Schwachen zerfallen, das heißt, die Angehörigen starker Nationen halten zusammen, die der schwachen Nationen laufen auseinander. Ich wünsche jedem Ungarn, dass er Ohren haben möge zu hören und dass er die Zeichen lesen möge."

(Quelle: APA, Gregor Mayer)

 

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