(c) Pester Lloyd / 46 - 2009
GESELLSCHAFT 12.11.2009
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Luthers letztes Aufgebot
Die Lutheraner in Ungarn, eine religöse Minderheit zwischen allen Kirchenstühlen
„Jeder kennt hier jeden. Die Familien sind uralt und alle irgendwie miteinander verwandt“, meint der 14 jährige Jakob. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse,
die es der lutheranischen Gemeinschaft in Ungarn ermöglicht bis heute zu existieren. Lediglich drei Prozent der Gesamtbevölkerung stellen die 300
lutheranischen Gemeinden in Ungarn. Die Mehrheit ist katholisch, eine weitere große Gruppe stellen die Reformierten, die sich auf die Lehren Calvins berufen.
Lutheraner vor allem in größeren Städten
Im 14. Bezirk von Budapest befindet sich eine 78 Jahre alte lutheranische Kirche. Zwar
steht sie im Schatten des massiven neuromanischen Gotteshauses der Reformierten einen Straßenzug weiter, doch gelten die Mitgliederzahlen hier als relativ gefestigt und
stabil. In den größeren Städten haben es die Lutheraner leichter sich zu treffen und zu organisieren als auf dem Lande, wo die meisten Lutheraner oftmals auf das Angebot
der Reformierten oder der Katholiken zurückgreifen müssen. Hinzu kommt, dass der 14. Bezirk, als jüngster Bezirk Budapests gilt und somit für Nachwuchs gesorgt ist.
Die Kirchenführung richtet sich stark an Jugendliche. Über 37 Schulungsinstitutionen,
das heißt Schulen und Kindergärten, nennt die Kirche ihr eigen. Eine hohe Zahl für eine so kleine Gemeinschaft und so kommt es, dass die Lutheraner ihr Angebot auch
Gläubigen anderer Konfessionen zur Verfügung stellen. Selbst in Jakobs Pfadfindergruppe befinden sich 20% reformierte Jugendliche. Die Idee zu einer solchen
Gruppe kam vor zwölf Jahren. Ein junges Gemeindemitglied war so sehr von der katholisch dominierten Pfadfinder Bewegung begeistert, dass sich die Kirche prompt
entschied eine eigene Pfadfindergruppe zu gründen. Diese Spontanität und Unkompliziertheit können als weiterer Garant für das Fortbestehen der Kirche in Ungarn gewertet werden.
Die familiäre Wirklichkeit
Die Gemeinde im 14. Bezirk wirkt zunächst sehr liberal, so scheint es Usus zu sein, in
katholische oder reformierte Familien einzuheiraten. „Es ist nötig, weil wir so wenige sind, dennoch ist es mit Problemen verbunden“ meint eine junge Pfarrerstochter.
Jeden ersten Sonntag im Monat findet an der kleinen Kirche an der Bocskai út ein Gottesdienst für eben solche Familien statt. Neben Konflikten bei der Taufe der
Kinder, steht oft die Frage des Kirchenganges im Raum. Nicht selten besuchen die Ehepartner dann getrennt ihre Stammkirchen. An diesen Sonntagen können sie den
Gottesdienst gemeinsam feiern und später bei Kaffee und Kuchen Erfahrungen mit anderen konfessionellen Mischehen austauschen. „Es geht, darum wo man sich wohl,
ja heimisch fühlt“, sagt die Pfarrerstochter, um zu erklären, warum es nicht möglich sei immer konfessionsübergreifend zu feiern.
Zwischen den Kirchenstühlen
Die Lutheraner stehen oftmals zwischen allen Kirchenstühlen, sie widerstreben
katholischen Dogmen und ihren überladenen Ritualen, die sie als Fehlinterpretation des Wort Gottes ansehen. Ihnen sind die kalvinistischen Lehren aber oftmals zu radikal, so
dass es die Pfarrerstochter sogar dazu verleitet diese Richtlinien „puritanisch“ zu nennen. Zwar möchten und müssen die Lutheraner bei ökumenischen Veranstaltungen
mit Anhängern anderer Konfessionen sprechen, um ihre Existenz in ganz Ungarn auch in Zukunft zu wahren, so scheinen sie doch relativ fest, bei ihrer
ungarisch-lutheranischen Perspektive zu bleiben, die da lautet, entschieden, aber auch kompromissbereit zu sein, wo es nötig ist.
Tibor Wilhelm Benedek
Adresse: 1114 Budapest, Bocskai út 10. Tel./Fax: 361 2159 E-Mail: kelenfold@lutheran.hu
Homepage: www.kelefold.lutheran.hu
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