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(c) Pester Lloyd / 46 - 2009  GESELLSCHAFT 15.11.2009
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Das Elend der Liebesdiener

Prostitution in Ungarn: zwischen Duldung und Illegalität

Ungarns Prostituierte sind im Europa-Vergleich extrem gering bezahlt, der Markt ist überschwemmt. Sie arbeiten und leben in einem erniedrigenden Graubereich zwischen "Duldungszonen", Behördengängelei und Umfeldkriminalität. Zwar gibt es offizielle Regelungen, die Illegalität, Zuhälterei und Menschenhandel verhindern sollen, doch werden die kaum umgesetzt. So sollen die Huren zwar Steuern zahlen, aber ein menschenwürdiges Dasein wird ihnen nicht gewährt.

Sogar in Bukarest verdienen die Prostituierten im Durchschnitt mehr als ihre Kollegen in Budapest. Das hat seinen Grund. Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne treiben Tausende ins sogenannte älteste Gewerbe der Welt. Ungarn ist zugleich Beschaffungsmarkt, Transitzone und umsatzstarker Gewerbestandort, dadurch landen hier viele junge Frauen und Männer aus ganz Osteuropa. Der Wettbewerb unter den Prostituierten und ihren "Managern" ist so hoch, dass die Preise und Minimalstandards enorm gedrückt werden.

Jede Fünfte minderjährig
- viele sind Roma

Offiziell registriert sind in Ungarn 15.000 Prostituierte. Die inoffiziellen Schätzungen gehen jedoch von mindestens 60.000 bis 100.000 Prostituierten in Ungarn aus. Laut einer Studie der Frauenakademie München e.V. kommen 60 Prozent von ihnen aus den vernachlässigten Provinzen des Landes, z.B. den Komitaten Borsod, Szabolcs oder Hajdu. Außerdem brachte, zuerst die Grenzäffnung und nun der EU-Beitritt zusätzlich viele Frauen, aber auch Männer aus Rumänien nach Ungarn, auch die Ukraine oder Serbien sind ein beliebtes Rekrutierungsgebiet. Jede(r) fünfte Prostituierte, Mädchen wie Junge, sind minderjährig, meistens zwischen 14 und 17 Jahre alt.

Auffällig ist außerdem, dass 60 Prozent der Frauen und 44 Prozent der Männer in der Prostitution zur ethnischen Minderheit der Roma gehören. Dadurch, dass vielen eine gute Ausbildung verwehrt wird, fällt es ihnen oft noch schwerer einen herkömmlichen Beruf zu finden. Während zum Beispiel etwa 95 Prozent der ungarischen Frauen und 93 Prozent der ungarischen Männer die Grundschule abschließen, haben nur 67 Prozent der Roma-Frauen und 62 Prozent der Roma-Männer einen Grundschulabschluss. Fast die Hälfte der Roma werden in Hilfsklassen, homogenen Roma-Klassen oder sogar Sonderschulen ausgegrenzt. Prostitution scheint für einige der einzige Ausweg aus der Misere zu sein. Doch dann kommt zur Not oft noch die Nötigung.

In Ungarn ist Prostitution erst seit 1999 legal. Das heißt für die im Milieu Arbeitenden, dass sie ihr Einkommen versteuern müssen, sich aber nicht mehr vor Ordnungshütern verstecken müssen. Doch die Realität sieht meistens ganz anders aus. Es gibt bestimmte gesetzliche Regelungen, welche die Prostituierten einhalten müssen. Von diesen Regeln werden sie so sehr eingeschränkt, dass es nur den Wenigsten überhaupt möglich ist, den Beruf legal auszuüben. Sobald die Regeln nicht eingehalten werden, muss mit Geldstrafen von 10.000 bis 150.000 Forint (40 bis 600 Euro) oder sogar einer Freiheitsstrafe von bis zu 60 Tagen gerechnet werden.

Der Teufelskreis der Illegalität

Wenn eine Frau oder ein Mann auf der Straße arbeiten möchte, ist dies nur in bestimmten Zonen erlaubt, auf Ungarisch „türelmi zóna“ (Duldungszone) genannt. Diese Zonen müssen von lokalen Autoritäten bemessen werden: Zu öffentlichen Institutionen wie Schulen oder Kindergärten müssen bestimmte Distanzen eingehalten werden. „Die Einrichtung dieser Zonen wurde gesetzlich beschlossen, umgesetzt wurden bisher jedoch nur sehr wenige. Die Bürgermeister der ungarischen Städte brechen damit das Gesetz“, empört sich Ágnes Földi, Vorsitzende der Hungarian Prostitues’ Interest Protection Association, kurz HPIPA. „Die meisten Bürgermeister wollen keine Duldungszone in ihrer Gemeinde. Die wenigen, die eine solche Zone durchsetzen wollen, müssen sich gegen große Proteste in der Bevölkerung behaupten.“, erläutert Földi.

Aber was bedeutet dieses "Sauberhalten" der Städte für die Prostituierten? Wenn jemand statt auf der Straße in einer privaten Wohnung seine Liebesdienste anbieten möchte, muss er oder sie Besitzer der Wohnung sein. In Mietwohnungen ist es verboten, sich zu prostituieren. „Eigentumswohnungen sind sehr teuer in Ungarn. Wie soll jemand, der aus Geldnot in die Prostitution getrieben wird, sich eine eigene Wohnung leisten können?“, kritisiert Ágnes Földi die Bestimmungen der Regierung. Zuhälter dagegen haben dieses Geld, was wieder erniedrigende Abhängigkeiten schafft.

Die Gründung einer Non-Profit-Organisation, die ungarischen Prostituierten im alltäglichen Leben hilft, war laut Ágnes Földi unabdingbar, da die Regierung so gut wie keine Unterstützung bietet. Seinen Körper zu verkaufen bedeutet in Ungarn für viele ein Leben in der Illegalität. Allein in Budapest gibt es nach Auskünften der HPIPA etwa 500 illegale Bordelle. Neben dem Illegalitäts-Problem haben die Prostituierten mit der extrem niedrigen Bezahlung zu kämpfen. Auch schon vor der Wirtschaftskrise waren ungarische Liebesdienste die günstigsten in ganz Europa. Ein Freier zahlt für eine halbe Stunde Sex laut einer Studie des Instituts SEXES durchschnittlich lediglich 8000 HUF (etwa 30 Euro). Sogar Bukarest ist mit etwa 10000 HUF (etwa 37 Euro) teurer. Ágnes Földi sieht die Problematik wie folgt: „Die hohe Arbeitslosenrate in Ungarn treibt zu viele in die Fänge von Zuhältern.“ Wirtschaftlich ausgedrückt: Das Angebot ist höher als die Nachfrage, der Markt ist überfüllt, die Preise werden im Wettbewerb immer weiter gedrückt.

Wirkliche Legalisierung senkt die Umfeldkriminalität

In Ungarn ist eine Verbesserung der Schulbildung für Menschen aus benachteiligten Regionen und für Roma eine längst fällige Maßnahme. Die oben genannten Zahlen zeigen, dass eine sehr geringe Schulbildung viele in die Prostitution treibt. Gleichzeitig ist aber mit einem Ende des Sex-Gewerbes kaum zu rechnen. Schließlich waren Nachfrage wie Angebot stets vorhanden. Somit sollte man versuchen, die Situation der Prostituierten so weit wie möglich zu verbessern. Ein Preisanstieg für Liebesdienste ist aber unwahrscheinlich. Man kann Prostituierten in Ungarn jedoch helfen, indem endlich mehr Duldungszonen eingerichtet werden. Dort können Prostituierte ihrer Arbeit legal nachgehen und sich auch aus dem Griff der Zuhälter befreien. Eine Art Rotlichtviertel wirft schließlich auch nicht zwingend ein schlechtes Licht auf eine Stadt. Beispiele sind Hamburg oder Amsterdam, in denen das Rotlichtviertel Lebensmittelpunkt und Touristenattraktion in einem sind. So müssten die Frauen und Männer, von denen viele schon von ihrer Scham verfolgt werden, nicht auch noch auf der Flucht vor der Polizei sein.

Sabine Pollmann

Internetauftritt der HPIPA: http://swannet.org/

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